Wer eine Reise tut, muss selber schieben...

Siem Reap liegt nicht nur vor den Toren Angkors, sondern auch am grössten See Südostasiens: dem Tonle Sap. Eine faszinierende Lebenswelt, denn die Menschen die auf und um das Wasser herum leben, haben sich den extrem schwankenden Wasserständen angepasst. Für sie ist der See Wohnort, Verkehrsweg, Nahrungs- und Einkommensquelle in einem. Die Bewohner leben in Hausbooten oder haben ihre Häuser auf schwimmenden Bambusplattformen gebaut. Andere Dörfer bestehen aus Stelzenhäusern. 170 schwimmende Dörfer soll es angeblich geben mit rund 80 000 Bewohnern. Aber nicht nur den Menschen bietet der Tonle Sap einen Lebensraum, auch unzählige Wasservögel nisten hier.

 

Wir werden am Morgen früh vom Hotel zum Schiffsbüro in der Innenstadt gefahren, dort dürfen wir dann in einen Pickup umsteigen, auf dessen Ladefläche zwei Sitzbänke angebracht waren. Das Gepäck wurde irgendwo zwischen die Beine verstaut und dann ging die rund 30 minütige Fahrt durch Aussenbezirke der Stadt und kleine Ansiedlungen los. Wir kamen auch an einfachsten Unterkünften vorbei, welche eine Mahlzeit vom Feuer und eine Hängematte für die Nacht anbieten. Alles ist sehr ursprünglich und obwohl wir erst wenige Kilometer von der Stadt entfernt sind, scheinen wir uns um Jahrhunderte in der Zeit zurückbewegt zu haben. Leider aber treffen auch hier jahrhundertlang bewährte Abfallentsorgungsmethoden auf modernen Müll, der sich so nicht mehr vernichten lässt, denn er verrottet nicht und lässt sich auch kaum verbrennen und wenn, na dann entwickeln sich gifte Gase. Kein schöner Anblick.

 

Mit rund 16 Millionen Menschen ist Kambodscha relativ dünn besiedelt, jeder Fünfte lebt jedoch in der Stadt. Obwohl die Wachstumsrate in den vergangenen Jahren unter 2% gesunken ist, sind mehr als 30% der Bevölkerung unter 15 Jahre alt. Verglichen mit den Nachbarstaaten ist Kambodscha in religiöser und ethnischer Hinsicht ein homogenes Land, über 90% sind Khmer und Anhänger des Theravada Buddhismus (was sie nicht davon abhält auch ihren Geisterglauben zu pflegen). Obwohl sich die Lebenssituation stetig verbessert, zählt Kambodscha nach wie vor zu den ärmsten Ländern in Asien und die durchschnittliche Lebenserwartung liegt bei rund 63 Jahren. Obwohl die Analphabetenrate stetig abnimmt, brechen noch immer viele frühzeitig die Schule ab, um zum Einkommen ihrer Familie beizutragen, besonders schlimm ist die Situation in der Regel für Mädchen. Obwohl vor Gesetz die Gleichberechtigung der Geschlechter gilt, lässt die Situation der Frauen zu wünschen übrig. Der jahrzehntelange Bürgerkrieg hat zu einem leichten Frauenüberschuss geführt und so gibt es nicht wenige, welche unverheiratet bleiben oder sich aus ökonomischen Gründen mit der Rolle als Nebenfrau begnügen, sollten sie keine Anstellung als billige Arbeitskraft in einer Textilfabrik oder auf einer Baustelle finden.

 

Am See angekommen steigen wir um in ein grösseres Langboot, fast so gross wie ein Limmatschiff, nur dass die Seiten offen sind und Gepäck sowie weitere Passagiere auf dem Dach transportiert werden. Als Luxuszugabe: hinten neben dem lärmenden und extreme Hitze produzierenden Motor gibt es eine kleine Toilette, was einem erlaubt, genügend Wasser zu trinken während der Fahrt. Es ist sehr warm, doch der kühlende Fahrtwind ist angenehm. Etwas erstaunt sind wir jedoch über die kraftvolle Fahrweise des Kapitäns, die Bugwelle geht bis 1cm unter die Rehling. Bald stellen wir aber fest, dass er wenigstens in der Nähe von Fischern und ihren Netzen etwas abbremst.

 

Der Tonle Sap ist der grösste und angeblich einer der fischreichsten Süsswasserseen in Südostasien und wird von mehreren Zuflüssen im Norden gespeist, der südliche Ablauf ist der Tonle Sap Fluss, welcher bei Phnom Penh in den Mekong mündet. In der Regenzeit schwillt der See von 25'000km2 auf 100'000km2 an und die Seetiefe steigt von rund 2 auf 14 Meter. Der Grund ist ein einzigartiges Naturphänomen: die Fliessrichtung des Tonle Sap Fluss ändert sich. Der Beginn der Regenzeit im Juni fällt mit der Schneeschmelze im Himalaya Gebirge zusammen, in dem der Mekong entspringt. Der Mekong führt zu dieser Zeit viermal mehr Wasser als üblich und diese überzähligen Massen drücken den Fluss hoch und füllen den Tonle Sap See. Am Ende der Regenzeit, wenn die Wassermassen im Mekong wieder abnehmen, fliesst der Tonle Sap See wieder über den Tonle Sap Fluss ab und der Wasserpegel sinkt. Dieses Naturphänomen macht aus dem Tonle Sap See ein einzigartiges Ökosystem und die Felder werden regelmässig mit nährstoffhaltigen Sedimenten gedüngt. Inzwischen wird die gesamte Gegend halt auch mit Plastik und anderem, nicht abbaufähigem Zivilisationsmüll geflutet. Interessanterweise stellen wir aber fest, dass es bereits Bewohner gibt, die die Problematik erkannt zu haben scheinen und wir sehen, wie Plastikflaschen gesammelt und in riesigen Säcken gelagert werden. Wir fragen uns einfach was nun damit geschieht.

 

Das Wasser wirkt in keiner Weise sauber, wir fragen uns auch, wie gesund der Fisch aus diesen Gewässern noch sein kann. Für die Menschen hier, ist dieses braune Element aber der Lebensmittelbunkt. Sie brauchen das Wasser für alles, zum Abwaschen, sich selbst Waschen, als Kochwasser und Toilettenspülung. Flaschenwasser wird verkauft, wir gehen aber davon aus, dass sich die wenigsten Flaschenwasser wirklich leisten können.

 

Erst fahren wir in weiter Entfernung an schwimmenden Dörfern vorbei und dann verengt sich die Wasserstrasse zur Breite des Rheins bei Schaffhausen, aber mit flachen Ufern, die erahnen lassen, wie weit der See sich ausdehnen kann, wenn Hochwasser ist. Hier kommen wir näher an die Wohnhäuser heran, aber es handelt sich nicht nur um Wohnhäuser, denn es sind autonome Dörfer und so beobachten wir wie jemand einen neuen Haarschnitt auf schwankenden Planken bekommt, wie Kinder mit Booten zur Schule fahren und in ihren Schuluniformen in schwankende Schulen gehen, es gibt Lebensmittelgeschäfte, Fischfabriken (bzw. wir sehen, wie der frische Fang von der ganzen Familie auf der Terrasse ihrer schwankenden Unterkunft verarbeitet wird) aber auch Kleiderboutiquen. Verkaufsware wird  von Haus zu Haus geschippert (so wie der Eierverkäufer früher bei uns) und die Frauen halten da und dort noch ein Schwätzchen, bevor es mit dem mit Gemüse beladenen Boot zum nächsten Haus geht. Der Mann verdreht derweil die Augen oder mahnt zur Eile.

 

Die Angst, das Dorf Leben wie in einem Zoo vorgeführt zu bekommen erwies sich bald als unbegründet, denn wir stellten fest, dass auch unser vornehmlich von Touristen genutzte Boot, Einheimische und deren Waren transportierte. Es fungiert dabei wie die lokalen Busse an Land als Warentransport und bringt Personen und Post von A nach B, lädt dort was ab und nimmt wo anders wieder was mit. Eine Wasserstrasse im wahrsten Sinne des Wortes. Einmal kommt uns sogar eine Art Migroswagen entgegen (die nicht mehr so Jungen unter uns erinnern sich sicher, dass Migros mobile Einkaufsläden hatte und damit von Dorf zu Dorf fuhr), nur dass dieser hier nicht von Migros war und ausserdem nicht auf Rädern sondern eben auf einem Schiff aufgebaut war. Von Aussen konnte man einige der Waren sehen, zum Einkaufen selbst muss man aber sein Boot am Einkaufsschiff vertäuen und kann dann umsteigen und durch die Auslage gehen. Es ist spannend dem Leben zuzuschauen und wir stellen fest, was an Land das Moped, ist hier auf dem Wasser das Langboot mit ihren Speed Motoren. Ziemlich witzig finde ich auch die halb schiefen Hühnerställe, die an Boyen vor den schwimmenden Häusern vertäut sind. Sie geben den Tieren auf einer Seite trockene Füsse und auf der anderen Seite Zugang zu Wasser.

 

Wir fahren durch verschiedene Wasserkanäle, die mal enger, dann wieder weiter werden. Man muss sich hier gut auskennen, um die Orientierung nicht zu verlieren. Mal kommen wir an schwimmenden Fischerhütten vorbei, dann wieder an Besiedlungen und am Ende nochmals zu einem grösseren schwimmenden Dorf. Auch hier machen die modernen Errungenschaften der Zivilisation nicht halt: von weitem dröhnt aus Boxen, so hoch wie das schwimmende Haus selbst, Popmusik. Am Flussufer stehen weitere Häuser auf extrem hohen Stelzen und uns wird klar, wie hoch der Wasserstand werden kann, aber auch wie niedrig dieser derzeit sein muss. Unser Ziel ist Battambang und hierhin führt nur ein kleiner Fluss, also erst hatte dieser noch die Breite der Thur, doch bald schon liegen wir tief in einem Bachbett und die Behausungen liegen auf den Ufern weit über unseren Köpfen. Der Fluss wird zu einem Bach von der Grösse der Töss und hier sollen wir also mit unserem Limmatschiff durch. Na prima, ob das gut geht?

 

Der Flusslauf ist extrem kurvenreich und manchmal braucht das Schiff die gesamte Kurve und muss versuchen nicht hinten oder vorne am Ufer anzustehen und dann passiert es. Wir fahren auf eine Sandbank. Der Kapitän gibt Schub, aber nicht rückwärts, sondern vorwärts und so sitzen wir dann richtig fest. Nix geht mehr und der Kapitän und sein Bootsmann springen ins knietiefe Wasser, schieben und drücken. Ich schüttle nur den Kopf und erinnere mich daran, wie ich vor ein paar Jahren im Niger ebenfalls ins Wasser gesprungen bin, um dem Jungen des dortigen Kapitäns aus einer ähnlichen Situation zu helfen. Der Gedanke ist halb gedacht, da springt tatsächlich einer der Passagiere ins Wasser und hilft mit. Oh Wunder, sie bekommen das Schiff soweit frei, dass sie es zum Ufer drehen können und bitten nun alle Passagiere von Bord zu gehen. Die einheimischen Passagiere schienen sich das gewohnt zu sein und auch den Weg zu kennen. Einige der Passagiere, darunter auch Markus und ich, bleiben beim Boot und helfen schieben. Irgendwann bekommen wir das nun bedeutend weniger tief im Wasser liegende Boot frei und wir können um die nächsten Biegungen fahren, bis wir uns wieder mit den zu Fuss weitergegangenen Passgieren treffen. Unterwegs müssen wir noch zweimal ins Wasser und schieben.

 

Langsam ist es später Nachmittag und der gesamte "ins Wasser und schieben bzw. zu Fuss weiter" Ablauf wiederholt sich noch einmal. Diesmal wird unsere Fahrt aber so abrupt gestoppt, dass einige Passagiere blaue Flecken davontragen. Man will ja nicht zimperlich sein, aber man kann sich irgendwie über den Fahrstil des Kapitäns wundern. Einer der Touristen holt sich noch eine kleine Schnittwunde beim Schieben, tolle Sache in dem sauberen Wasser. Zum Glück hab ich Desinfektionsmittel im Tagesgepäck und verarzte ihn. Die einheimischen Passagiere sind schlauer, die warten und lassen die Touristen schieben. Doch dann geht die Fahrt endlich wieder flüssig weiter und wir können uns ab einer menschlichen Eigenschaft, die sich in allen Regionen der Welt findet, freuen: lachende Kinder, die sich über ein vorbeifahrendes Schiff freuen sowie aufgeregt winken und dann über das ganze Gesicht strahlen wenn man zurückwinkt.

  

Es ist schon fast am Eindunkeln, da kommen wir noch weit ausserhalb der Stadt Battambang an. Offensichtlich ist der Zugang zur Anlegestelle in der Stadt verschüttet und somit endet die Fahrt hier. Nach etwas härteren Verhandlungen einigen wir uns mit einem TukTuk Fahrer auf einen gemeinsamen Fahrpreis für 6 Personen (wir vier und zwei Franzosen) und das gesamte Gepäck. Völlig überladen holpern wir über Erdstrassen und erreichen etwa 20 Minuten später die Innenstadt und unser Hostel. Wie sich herausstellt haben wir einen guten Griff getan. Das Lucky Hostel ist nicht nur sehr zentral und dennoch ruhig gelegen, die Zweibettzimmer mit Privatbad zu 8 CHF die Nacht sind auch sauber und ansprechend eingerichtet (Ikea lässt grüssen). Sogar einen Duschvorhang gibt es hier, eine echte Rarität in Südostasien, kein Witz. In der Regel kennt man hier keine Duschwanne, sondern nur Nasszellen. Sprich, ist man am Duschen, dann wird immer das gesamte Bad geflutet und die Toilette nass. Aber etwas Gutes haben wir in Asien kennen gelernt: Wasser-WC-Besen. Eigentlich nichts anderes als eine kleine Handdusche neben der Toilette, mit dem gezielten Wasserstrahl kann man dann hygienisch alle Spuren beseitigen, ohne einen schmuddeligen Besen zu hinterlassen.

 

Battambang ist eine Provinzhauptstadt und soll mit einigen der am besten erhaltenen Handels- und Kolonialgebäude des Landes aufwarten. Im Reiseführer steht was von beschaulicher Stadt, doch so würden wir diesen Ort nicht nennen. Es ist eine aufstrebende Provinzhauptstadt mit teils noch alter Bausubstanz, welche aber in keinster Weise geschützt oder gepflegt würde. Trotzallem haben sich hier einige Künstler angesiedelt und so gibt es auch Kaffees und Bistros, wo man gleichzeitig Kunsthandwerk kaufen kann. Wir frühstücken in einem solchen Kaffee, welches sich in einem alten Kolonialhaus befindet, und machen anschliessend einen Spaziergang durchs Zentrum. Erfreulicherweise stellen wir fest, dass die Bewohner offensichtlich einen Preis als eine der saubersten Städte in Kambodscha erhalten haben, und auch daran interessiert sind, diesen zu behalten. So sehen wir sogar Strassenfeger, mehr und grössere Abfalleimer als sonst und am aller Erfreulichsten: einige Grünstreifen und kleine Parkanlagen, die man zu pflegen scheint. Hoffen wir, dass dies die ersten Anzeichen eines Wandels sind. Am Nachmittag geht es per Bus für eine letzte Nacht zurück nach Siem Reap, von wo wir am kommenden Tag unsere Weiterreise über die Grenze nach Thailand starten werden. Davon aber mehr im nächsten Bericht.