Küste und die Metropole HCMC

In Hué haben wir unsere überraschend bequemen Pritschen im Nachtzug bezogen und es uns im Viererabteil so bequem wie möglich gemacht. Der Schaffner schaut noch vorbei, bringt Feuchttücher, eine Rolle WC Papier und Wasser für jeden von uns mit und dann ziehen wir die frisch bezogenen Decken über uns. Als wir die Augen wieder aufmachten und ins freundliche Morgenlicht blinzelten, stellten wir schnell fest, dass sich das Landschaftsbild geändert hat. Alles ist hier im Süden viel trockener, Landschaft wie Vegetation. Reisfelder mit hellgrünen, jungen Sprösslingen und Dragon Fruit Palmenplantagen, welche bewässert werden müssen, ziehen vorbei.

 

Unser Ziel ist Mui Ne, ein Fischerdorf mit einem gleichnamigen, touristisch voll erschlossenen Strand etwas mehr als 200km nördlich der Metropole Ho-Chi-Minh-City (oder abgekürzt HCMC). Der Küstenabschnitt ist bekannt für bunte Felsen, rote und weisse Sanddünen sowie ein blaues Meer in welchem die Krabbenfischer noch immer auf traditionelle Art mit ihren runden Korbboten fischen gehen. Der Strand ist wegen des Windes bei Kitsurfern beliebt, zudem lockt der Fairy Stream, welcher wie die Dünen durch Fotos von Profifotografen bekannt wurde.

 

Nachdem wir uns im sauberen Zimmer über einem kleinen Supermarkt frisch gemacht, und beim sehr zuvorkommenden und perfekt Englisch sprechenden Leiter des Supermarktes unsere Busticket für die Weiterfahrt organisiert hatten, gingen wir an den Strand. Na ja, nicht eben das was wir wohl von einem perfekten Strand erwarten würden. Einem Rinnsal von zweifelhafter Wasserqualität und eindeutig unfeinem Parfum entlang, ging es durch einen Palmenhain in dem ein paar abgemagerte Kühe sich durch die aufgerissenen, aufgestapelten Abfallsäcke durchfrassen. Am Strand angekommen fanden wir einen wunderbar feinsandigen, hellen Sandstrand vor, mit Plastikmüll und rostigem Armierungseisen sowie sonstigem Zivilisationsmüll. Wir folgten dem Strand trotzdem so gut als möglich und kamen an verschiedenen Resort-Strandabschnitten vorbei, die uns aber genauso wenig überzeugen mochten wie der restliche Strand. Den badenden, vornehmlich asiatischen Gästen schien es aber zu gefallen: ist ja auch toll hier, denn hier kann man beim Abkühlen im blauen Nass von zweifelhafter Wasserqualität locker weiter rauchen und den Zigarettenstummel gleich neben sich im Meer versenken, während die liebe Ehefrau den leergetrunkenen Plastikbecher in den feinen Sand wirft... Nicht unsere Welt.

 

Ein schöner Strand ist wohl Definitionssache, doch kann man sich einen Strand schön-trinken? Wir finden eine kleine, ruhige Bar zwischen einigen Wohnhäusern. Ganz vorne erwarten uns unbelegte Sonnenliegen und so setzten wir uns und bestellen eine Runde Cocktails. Langsam wird die Abendstimmung immer schöner, also bestellen wir uns noch eine zweite Runde Cocktails und beginnen den Sonnenuntergang zu geniessen. Von unserer leicht erhöhten Warte aus sehen wir nichts vom Plastik am Strand, sondern nur aufs Blau des Meeres und die langsam untergehende Sonne hinaus. Eine Palme im Blickfeld und schon kann man sich das Postkartenmotiv denken. Wir beobachten den Sonnenuntergang und die Sicht auf die Korbfischer, die ihre kreisrunden Boote (welche heutzutage nicht mehr aus Korbwaren sondern aus Plexiglas sind) zu Wasser lassen und mit gekonnten Paddelbewegungen der Ruder in den Sonnenuntergang gleiten. Faszinierend, diese altbewährte traditionelle Rudertechnik, ich würde wohl dauernd im Kreis fahren.

 

Am nächsten Morgen wollen wir zur frühen Morgenstunde zum nur 100 Meter entfernten Fairy Stream, nebst dem Strand und den Sanddünen im Landesinnern zum ATV fahren, die Sehenswürdigkeit von Mui Ne. Leider regnet es als wir am frühen Morgen aus dem Fenster schauen und so gehen wir nicht um 6.30 Uhr sondern erst um 9 Uhr zu diesem Bach, notabene bei trockenem Wetter. Die Wolken verziehen sich langsam, als wir dem schokobraunen Bächlein folgen und so ergeben sich ein paar schöne Fotos der bunten Sandsteinklippen oberhalb des Baches. Die Füsse im kühlen Nass ergeben sich dank des Sonnenlichtes einige bezaubernde Ausblicke auf das faszinierende Farbenspiel, doch leider ist der Fairy Stream gleichzeitig ein gutes Beispiel dafür, dass die Schönheit der Natur für viele zu wenig der Attraktion ist, für andere aber auch zu wenig wert, um damit respektvoll umzugehen. Wir geben zu, geblendet durch historische Kunst und Kultur, stil- und bedeutungsvolle Rituale und moderne, sehr ästhetische Kochkunstvideo, waren wir wohl im Glauben, dass sich diese vermeintliche Ästhetik im Alltag der Asiaten widerspiegelt. Dem ist aber definitiv nicht so. Lärm, Müll und Verschandelung der Landschaft scheinen als modernes Kulturgut zu gelten und keinen zu stören. Wirklich schade, aber ist das nicht ganz allgemein ein weltweiter Trend der so hochgelobten Globalisierung und Industrialisierung?

 

Ein spätes Frühstück gibt es am Essensmarkt im Zentrum der Touristenstrasse. Beim Schlendern entlang der wenig reizvollen Hauptstrasse stellen wir zwei Dinge fest: Zum einen scheint hier Modern Talking (wie an so vielen anderen Orten in Vietnam) hoch im Kurs zu liegen, denn wir hören aus verschiedenen Lautsprechern sicher dreimal am Tag Brother LuiLuiLui & CheryChery Lady. Na dann halt. Doch noch unerwarteter für mich ist, dass ich hier, mitten in Vietnam, meine spärlichen Russisch Kenntnisse auffrischen kann: es ist nämlich alles (auch die Speisekarten) in Englisch und Kyrillisch angeschrieben. Zum Glück hat unser Supermarkt/Hotel eine schöne, schattige Dachterrasse, die den Blick über die erste Häuserzeile hinweg auf die Spitzen der Palmblätter und das dahinter glitzernde Meer freigibt. Mit ein bisschen Abstand und einem Cider bzw. Bier in der Hand lässt sich hier gut den Nachmittag verbringen, bevor wir zum Abendessen im benachbarten, einfachen aber guten Knoblauch (ja das Restaurant hiess Garlic) Restaurant vorbei schauen.

 

Tagsdrauf dauert die Fahrt von der Küste bis nach Ho-Chi-Minh City (kurz HCMC) knappe 4 Stunden. Noch einmal dürfen wir in einem Schlafbus voller Pritschen Platz nehmen und mit hochgelagerten Beinen bis in die Metropole fahren. Auf der Fahrt kommen wir immer mal wieder durch moderne Städte, die wie aus dem Boden gestampft wirken. Zwischen den mehrspurigen und neuwertigen Fahrbahnen mit Gehsteig finden sich Rasenstreifen und Blumenrabatten, doch es stellt sich die Frage: wie wird hier die Müllentsorgung organisiert? Und wenn der Müll eingesammelt wird, was passiert danach damit? Wie sorgsam wird mit der neuen Infrastruktur umgegangen, wird sie gepflegt oder wie lange geht es, bis die Gegend abgewohnt und die Gebäude und Infrastruktur heruntergekommen wirken?

 

Mopeds sind auch hier, wie im gesamten Land der Motor der Wirtschaft und Statussymbol einer Gesellschaft. Es wird damit alles verladen und transportiert, doch amüsanter ist, wo man mit dem Moped überall hinfährt: Gleich ins Büro (das Moped neben dem Bürotisch des Reisebüros geparkt), ins ebenerdige Wohnzimmer (das Moped neben dem Fernseher und einen halben Meter neben dem Sofa platziert) oder im kleinen Handwerksbetrieb, sofern man dort arbeitet und was abliefern muss. Für Touristen bedeutet das im Gegenzug, dass ein Moped überall und jederzeit aus einer Türe herausgeschossen kommen kann. Ausserdem scheinen die Fahrer keine Bremsen zu kennen, sondern nur die Hupe. Hupen gehört übrigens konstant dazu, Hupen beim Überholen bedeutet: Achtung ich komme, mach keine komischen Bewegungen. Und ganz wichtig (obwohl uns HCMC dabei viel geordneter vorkommt als Hanoi): keine Angst und kein Zögern beim Überqueren einer mehrspurigen Strasse. Mit Blickkontakt stetig weiter gehen heisst das Rezept, so fahren die Mopeds nämlich geordnet hinter einem durch, ein regelrechtes Schwarmverhalten, doch wenn man in der Strassenmitte zögert oder gar anhält, dann wird die ganze Welle der Mopeds nervös und sie fahren einem fast um.

 

Die Stadtautobahn nach HCMC hat sogar einen eigenen, abgetrennten Moped Streifen. Alles wirkt geordnet und sauberer als erwartet. Im Zentrum werden wir beim Office der Busgesellschaft ausgeladen und buckeln unsere Rucksäcke. Es ist drückend heiss, aber die 20 Minuten zu Fuss sind schnell geschafft und so stehen wir bald vor unserer Unterkunft. Das Hotel "My Anh 120 Saigon" (Achtung Verwechslungsgefahr, oft heissen Hotels in der gleichen Strasse extrem ähnlich, haben miteinander aber wenig zu tun) entpuppt sich als moderne Unterkunft in einer ruhiger Seitengasse im Zentrum, unweit eines Stadtparks in dem mit Ausdauer Leibesübungen gemacht werden und wo es unterirdisch einen riesigen Food Court gibt. Ganz allgemein müssen wir sagen, dass wir in Vietnam positiv überrascht wurden betreffend guten, sauberen Zimmern zu sehr anständigen Preisen (rund 25 - 35 CHF pro Nacht und Zimmer mit Frühstück). Auch die Verpflegungsmöglichkeiten sind gut und preiswert.

 

Auch in HCMC sehen wir ein Cong Ca Phe, welches inspiriert von der sozialistisch geprägten Kindheit des Gründers, traditionellen Kaffee und andere Spezialitäten anbietet. Vietnamesischer Kaffee (Ca Phe genannt) ist beliebt, da in Vietnam selbst ausgezeichneter Arabica- und Robustakaffee angebaut wird. Bekannt und eine Delikatesse ist auch der Wiesel- oder Civetkaffee, dessen Bohnen von einem kleinen wieselähnlichen Tier gefressen und dann ausgeschieden werden. Die so fermentierten Bohnen sollen ausgezeichnet schmecken, doch schon die traditionelle Variante des Kaffees ist nicht ganz nach unserem Geschmack, denn er wird mit fast gleichem Anteil Kondensmilch getrunken. So nehmen wir unser Frühstück in der ABC Bakery ein, einer französisch inspirierten Bäckerei und Confiserie Kette. Nach dem Frühstück trennen sich dann unsere Wege: Markus, Jeannine und ich machen sich auf den Weg ins War Remanants Museum und Adi, der sich die nicht leicht zu verdauenden Bilder und Dokumentationen nicht antun will, geht zurück ins Hotel, bzw. macht einen Bummel durch die Stadt und holt uns am Museum ein paar Stunden später wieder ab.

 

Der einstige Name "Museum der amerikanischen und chinesischen Kriegsverbrechen" beschrieb die Exponate besser, schreckte jedoch viele Besucher ab. 1994 wurde der Name geändert und nun strömen Besucher aus der ganzen Welt hierher und verlassen das Museum oft verstört und in Tränen aufgelöst. Tatsächlich gehen einem die Fotos der dokumentierten Grausamkeiten ganz schön nahe, selbst wenn einem die meisten Fakten nicht unbekannt sind. In unterschiedlichen Sälen werden Fakten der Kriegsverbrechen, persönliche Augenzeugenberichte, Reportagen von Kriegsreportern und Spätfolgen der eingesetzten Waffen dokumentiert. Die Ausstellung beginnt mit Berichten der Haftbedingungen auf Con Dao, einer Strafkolonie Insel ähnlich Robben Island vor Kapstadt, und endet mit hoffnungsvollen Ausblicken der Organisation White Doves, welche sich für die geschädigten Kinder einsetzt und der Ausstellung Requiem, welche der Versöhnung gewidmet ist. Um jedoch zu verstehen, wie es zum Vietnam Krieg kam, muss man einen genaueren Blick auf die Geschichte des Landes werfen.

 

Vietnam lässt sich nicht nur geografisch, klimatisch und geologisch sondern auch historisch in drei Regionen aufteilen: Nord-, Zentral- und Südvietnam. Nordvietnam ist geschichtlich betrachtet die Wiege der Viet-Nation, Zentralvietnam wurde ursprünglich von den Cham besiedelt und Südvietnam war ab 1859 das französische Cochinchina und auch erst kurz davor durch Vietnamesen besiedelt worden. Die ehemaligen Gebiete (vornehmlich das Mekong Delta) des Angkor Reiches (heute Kambodscha) war während des amerikanischen Krieges (bei uns als Vietnam Krieg bekannt) die Hochburg der Vietcong. Das Mekong Delta ist zudem die Reiskammer der Nation und dem Export dieses Überschuss an Reis verdankt Vietnam seinen derzeitigen Wirtschaftsboom. Die Gesamtbevölkerung Vietnams ist, bedingt durch die 30-jährigen Freiheitskriege, die erst 1975 endeten, sehr jung. Zwei Drittel der der Bewohner sind jünger als 30 Jahre und etwa ein Drittel Zeitzeugen der Kriege. Als Nord- und Südvietnam 1975 wiedervereinigt wurden, hatte das Land eine Bevölkerung von 48 Mio Einwohnern (rund 20'000 km2 weniger Landfläche als Deutschland), heute sind es fast doppelt so viel.

 

In seiner bewegten Geschichte wurde das Land der Viet und seiner Mitvölker (54 verschiedene ethnische Gruppen leben im Land) mehr als einmal geteilt und wieder vereint. Die Chinesische Besatzung im ersten Jahrtausend n. Chr. brachte den Konfuzianismus ins Land, Anfang des zweiten Jahrtausend n. Christus etablierten sich verschiedene Königsdynastien im Norden des Landes und der Buddhismus begann Fuss zu fassen. Die Cham aus Zentralvietnam versuchten genau wie die Mogolen aus dem Norden immer wieder in das nördliche Gebiet einzudringen, wurden aber auch immer wieder erfolgreich vertrieben. Dann kamen die Missionare und deren Verfolgung war für Frankreich ein willkommener Anlass sich ab 1858 militärisch in Vietnam zu engagieren. Das eigentliche Ziel der Intervention aber war, einen Handelsweg nach China zu sichern. Die Franzosen erzwangen die Kontrolle über viele Gebiete Südvietnams und gründeten die Kolonie Cochinchina. Wenige Jahre später wurden Zentral- und Nordvietnam zum Französischen Protektorat erklärt. Die Kolonialmacht stand von Anfang an einer widerstandsbereiten Bevölkerung gegenüber.

 

Kurz nachdem der letzte Kaiser der Nguyen Dynastie 1926 den Thron von Hué bestiegen hatte, gründete Ho Chi Minh in Hongkong die Kommunistische Partei Vietnams (aus welcher die Viet Minh hervorging). Die Folgen des zweiten Weltkrieges machten auch vor Vietnam nicht halt. Die Schwäche des von Deutschland besetzten Frankreichs, machte sich Japan zunutze und übernahm ab 1940 die Kolonie. Nach der Kapitulation Deutschlands 1945 ging der Freiheitskampf in Vietnam weiter und die Alliierten unterstützen nun die Viet Minh (unter anderem mit Waffen), welche als einzige Kraft gegen Japan übrig geblieben war. Unabhängig davon beschlossen die Siegermächte im Sommer 1945 die provisorische Teilung Vietnams am 17. Breitengrad, in Nord- und Südvietnam.  Wenige Tage später (nach dem Atombombenabwurf auf Hiroshima und Nagasaki, zogen sich die Japaner aus Vietnam zurück und die Viet Minh starteten eine gross angelegte Offensive, der König dankte ab und übergab am 25. August 1945 die Macht offiziell an die Viet Minh. Am 2. September rief Ho Chi Minh (heute als Gründervater der Nation verehrt und daher auch Namensgeber von HCMC), die Unabhängigkeit aus. In seiner Unabhängigkeitserklärung bezog er sich auf Prinzipien der amerikanischen und französischen Ideale von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Wiederum ungerührt davon, setzten die Siegermächte am 13. September ihren Entschluss bezüglich Trennung von Süd- und Nordvietnam in die Tat um und etablierten ihre Präsenz vor allem im Süden. Nordvietnam kam immer stärker unter den Einfluss Chinas und die Viet Minh bekamen noch mehr Zulauf wodurch sie dem Druck der Westmächte standhalten konnten.

 

Danach begann das grosse Spiel der Politik. Obwohl Wahlen abgehalten wurden, welche Ho Chi Minh, und seine Partei bestätigten, wollten die Franzosen ihre Präsenz nicht abgeben und bildeten den Separationsstaat Südvietnam, (mit Hauptstadt Sai Gon). Um ihre Präsenz zu rechtfertigen, versprachen sie nur noch bis 1950 im Land zu bleiben, und die südvietnamesische Regierung zu unterstützen. Das gefiel der gewählten Regierung im Norden (Demokratische Republik Vietnam / DRV) überhaupt nicht und als es zu Zollkonflikten und weiteren schweren Auseirandersetzungen zwischen Nord und Süd kam, erklärte sich Frankreich 1946 für die Kontrolle und Sicherheit beider Landesteile verantwortlich. Die Regierung der DRV rief daraufhin den nationalen Notstand aus und zog sich in die Berge des Nordens zurück. So begann der erste Indochinakrieg, in Vietnam französischer Krieg genannt. Die Viet Minh entschieden sich für eine Guerillataktik und Frankreich glaubte das Land in einem Blitzkrieg erobern zu können. Die USA unter Eisenhower lehnte die Unterstützung Frankreichs ab und so mussten die Franzosen 1954 kapitulieren, die Kolonialmacht in Vietnam war beendet und mehr als 300'000 Todesopfer waren zu beklagen. An der Genfer Indochina Konferenz wurde noch im gleichen Jahr bestimmt, dass Vietnam, Laos und Kambodscha ab nun als souveräne Staaten anerkannt werden sollten und 1956 freie Wahlen in beiden vietnamesischen Landesteilen zu planen seien, um die Wiedervereinigung des Landes voran zu treiben. Die einzigen zwei Parteien, die nicht unterzeichneten, war die Regierung Südvietnams und die USA.

 

Somit blieb das Land gespalten. Im Norden unter Ho Chi Minh wurde mit dem Wiederaufbau des Landes begonnen und in dessen Zuge die radikale Umgestaltung der Wirtschaft nach sozialistischem Vorbild vorangetrieben. Eine Bodenreform enteignete die Grossgrundbesitzer, Menschen wurden in Umerziehungslager gesteckt und als Folge davon begann eine grosse Völkerwanderung innerhalb des Landes. Sympathisanten der Kommunisten gingen in den Norden und Menschen, welche Repressalien von eben diesen zu erwarten hatten, flohen in den Süden. Ho Chi Minh gestand jedoch Fehler ein, überdachte seine Kollektivierungspolitik, liess viele Gefangene frei und Ende 1958 begann der Aufbau von Genossenschaften. Im Süden sorgten derweil die Amerikaner dafür, dass ihr Wunschkandidat (Ngo Dinh Diem) zum Ministerpräsidenten ernannt wurde und verstärkten ihren Einfluss auf Südvietnam, indem sie ihren Verbündeten Diem dazu bewogen, die einstigen Vorrechte der Franzosen auf die USA zu übertragen. Diem lehnte die Genfer Beschlüsse sowie freie Wahlen ab und forderte stattdessen die Negierung der DRV. Die Vetternwirtschaft im Süden uferte immer mehr aus, die Unzufriedenheit wuchs und der Polizeistaat war allgegenwärtig. So formierte sich im Süden Vietnams eine eigenständige Widerstandsbewegung, welche vom Norden Unterstützung erhielt. Ab 1959 brachte der Norden über den Ho Chi Minh Pfad Menschen und Material in den Süden, mit dem Ziel den Süden zu befreien und die Einheit des Landes wiederherzustellen.

 

Auf diese Bewegung reagierten die Amerikaner mit dem Abwurf der ersten Napalm- und Chemiebomben zum Zwecke der Vernichtung der Ernte in den Rückzugsgebieten des Widerstandes. Die Repressalien unter dem südvietnamesischen Regime Diems wurden immer schlimmer, und 1963 kam es auf Druck der Weltöffentlichkeit zum Sturz des Despoten. Die Amerikaner liessen ihn fallen, und eine Zeit der Putsche und Gegenputsche begann. Erst mit der von Amerika unterstützen Machtergreifung durch General Thieu Mitte 1965 beruhige sich die Lage. Zu dieser Zeit war aber bereits der Vietnamkrieg ausgebrochen, der im Land selbst amerikanischer Krieg heisst. Nachdem China 1949 kommunistisch geworden war, befürchteten die USA, dass weitere Staaten wie Dominosteine umkippen würden. Der kalte Krieg verwandelte Vietnam in eine heisse Hölle.

 

Das Regime im Süden rüstete mit Hilfe der Amerikaner auf, im Norden bekamen die Truppen der DRV Unterstützung von China und Russland und unterstützen über den Ho Chi Minh Pfad ihrerseits die Freiheitskämpfer der NLF im Süden. In der Presse wurden die DRV und die NLF bald unter dem Namen Viet Cong (vietnamesische Kommunisten) zusammengefasst. Getrieben vom Ehrgeiz, Südvietnam nicht den Kommunisten zu überlassen, verstärkte Amerika Anfang 1964 seine Militärhilfe, in anderen Worten, die Bombardierungen der nordvietnamesischen Städte. Innerhalb weniger Jahre befanden sich mehr als 500'000 amerikanische Soldaten im Einsatz in Vietnam. Sie kämpften im Dschungel, bei unerträglicher Hitze und auf unbekanntem Boden. Militärisch überlegen, stand die Bevölkerung aber eher auf Seiten der Freiheitskämpfer und so kam es nicht zum erwünschen schnellen Sieg. 1968 stoppte US Präsident Johnson die Entsendung neuer Truppen und der zukünftige US Präsident Nixon versprach im Wahlkampf den Krieg schnell zu beenden, indem er die "Vietnamisierung des Krieges" beschloss. Das bedeutete den stufenweisen Abzug amerikanischer Truppen und die Aufrüstung der Südvietnamesen.

 

Im Westen wuchs unterdessen der Widerstand gegen den Krieg, doch 1970 marschierten Truppen Südvietnams und der USA in Kambodscha ein um kommunistische Stützpunkte zu zerstören. Anstelle den Krieg zu beenden, wurde dieser ausgeweitet. Aufgrund massiver weltweiter Proteste, verweigerte der Kongress die Mittel für einen Einmarsch in Laos, Bomben fielen trotzdem. Ende 1970 standen über eine Million Südvietnamesen unter Waffen und moderne Waffentechnik machte die Luftwaffe Südvietnams zur viertgrössten der Welt. Der Wahnsinn erreicht seinen Höhepunkt, doch die nordvietnamesischen Truppen bleiben erfolgreicher. Zwischen 1974 und 1975 übernahm die nordvietnamesische Arme Stadt für Stadt und drang von Zentralvietnam immer weiter in den Süden vor. Um Ostern 1975 beginnen die letzten Tage des amerikanischen Krieges und Ende April kapituliert der Süden. Die letzten amerikanischen Militärhubschrauber heben vom Dach der Botschaft ab und damit endet nicht nur der Vietnamkrieg, sondern auch die 30-jährige Zeit der Befreiungskriege. Seit 1976 ist das Land wiedervereinigt und heisst nun Sozialistische Republik Vietnam. Hauptstadt wurde Ha Noi und zu Ehren des ersten Präsidenten wurde Sai Gon in Ho Chi Minh Stadt unbenannt.

 

Angesichts der sich auflösenden sozialistischen Staaten in der Welt und der eigenen wirtschaftlichen Situation, sah sich Vietnam zu wirtschaftlichen Veränderungen gezwungen. Man suchte ein Modell, das die Planwirtschaft mit der Marktwirtschaft koppelte, die Wirtschaft ankurbelte und damit den Lebensunterhalt der Menschen gewährleistete. Der neue Weg scheint Erfolg zu haben: seit 1991 stieg das Pro Kopf Einkommen von 130 USD auf 2100 USD im Jahr. 1994 wurde das US Embargo aufgehoben und das Land vom Tourismus entdeckt. 2007 bekam Vietnam die Mitgliedschaft in der WTO und befindet sich nun auf dem besten Wege, eine wichtige Rolle als industrialisierte Nation zu spielen.

 

Doch die Folgen und Spätfolgen dieser Kriege und der Kriegsverbrechen, welche in dieser Zeit verübt wurden, hallen noch heute nach. Con Dao (mausert sich in diesen Tagen auf Grund seiner Vergangenheit grad zu einer sehr kontroversen Ferieninsel) war während dem französischen Indochinakrieg eine Gefängnisinsel, ähnlich Robben Island in Südafrika, nur wurden hier die Grausamkeiten und Verbrechen an den meist politisch Gefangenen auf die Spitze getrieben. 120 Asphalt Zellen, 60 Sonnen Zimmer (der Bruthitze ausgesetzt) und die sogenannten Tiger Käfige beherbergten Tausende von Gefangenen, Tote und Sterbende dicht auf dicht. Vor allem in den Tiger Käfigen wurden die Gefangenen aufs brutalste gefoltert.

 

Ich stehe vor einem Bild, auf welchem zwei Folterknechte einen Gefangen verhören und es drängen sich mir drei Gedanken auf: Wie kommt die Menschheit dazu zu glauben, dass sie was Besseres sei? Nur Menschen, keine anderen Tiere, denken sich solche Grausamkeiten aus, selbst eine Katze, die mit der Maus spielt, bevor sie sie frisst, wirkt dagegen friedvoll. Als zweites stelle ich fest, die Menschen lernen nichts aus der Geschichte, und die Geschichte und deren Grausamkeit widerholt sich auf allen Kontinenten. Wie in Argentinien gab es auch in Vietnam so genannte Todesflüge, wo Gefangene lebend aus dem Flugzeug gestossen und so entsorgt wurden. Menschen wurden zerstückelt, verstümmelt und an den Genitalien verletzt, bis sie die Ohnmacht für ein paar Momente aus der Hölle der Schmerzen befreite, nur um danach zu Tode gefoltert zu werden. Wozu das alles? Was erhoffen sich die Folterer denn davon? Und dann frage ich mich auch, was denn den beiden Folterknechten durch den Kopf gehen mochte. Die wenigsten sind doch von Anfang an so abgestumpft oder psychisch krank, daran Freude zu empfinden, warum also lassen sie sowas zu? Machen sie mit noch grösserer Intensität weiter, weil sie Angst haben ansonsten selbst auf der Folterbank zu landen? Wie emotional abgestorben oder Gehirn gewaschen muss man denn sein solche Befehle auszuführen? Die Spätfolgen psychischer und physischer Art dieser Menschen, egal ob Täter oder Überlebende, müssen grausam sein.

 

Was für Grausamkeiten die USA gegenüber den Menschenrechten während des Krieges verübt und mit welcher Gewalt sich die Freiheitskämpfer gewehrt haben, wird beim weiteren Besuch des Museums offensichtlich. Doch noch heftiger sind die Spätfolgen, welche sich auch in der heutigen Generation Kinder noch etablieren. Durch den Einsatz von Agent Orange, einer von vielen illegal genutzten Chemiewaffen, welche experimentell von den USA in Vietnam eingesetzt wurden, kommen auch heute noch hunderte von Kindern mit extremen körperlichen Behinderungen zur Welt. Deformationen und Schädigungen im Erbgut betreffen aber nicht nur die Kinder der Vietnamesen, sondern auch Kinder und Enkelkinder der rund 2.6 Millionen US Veteranen und weiteren Alliierten, welche dem Gift ebenso schutzlos ausgesetzt waren. Tausende von Klagen von Individuellen und Gruppen wurden an die US Gerichte gerichtet und 1984 sprach sich der Federal Court für einen Vergleich aus. 197 Millionen USD gegen die Einstellung aller Sammelklagen gegen die Firmen, welche Agent Orange produziert hatten (darin eingeschlossen Dow Chemical). Es dauerte jedoch noch bis 1996 bis die US Regierung die Gefahren, welche von Agent Orange ausgingen, anerkannte.

 

Landminen kosten auch heute noch vielen Menschen das Leben oder machen sie zu Krüppeln. Schon 1967 wurde in Stockholm festgestellt, dass die USA verantwortlich gemacht werden kann für die verübten Kriegsverbrechen, den Einsatz verbotener Waffen und Foltermethoden, welche klar gegen jedes Gesetz der Genfer Konventionen verstossen. Eine Verurteilung gab es jedoch nie. Viele der damals äusserst brutal vorgehenden Offiziere sind heute hochangesehene Politiker. So auch US Senator Bob Kerrey, welcher erst 2001 zugab, 1969 in einem Dorf zwei über 60jährige Zivilisten ohne jeglichen Grund aus ihren Hütten gezerrt und geköpft zu haben, bevor er und seine Truppe deren 3 Enkelkinder aus ihren Verstecken zerrten, zwei gleich umbrachten und das dritte ausweideten (ekelhafte Vorstellung). Weitere 15 Bewohner, darunter auch schwangere Frauen wurden erschossen, weitere Mädchen vergewaltigt oder ebenfalls ausgeweidet. Ein einziges Mädchen überlebte schwer verletzt und konnte sich retten. Männer waren keine im Dorf. Dieses Vorgehen der US Truppen erinnert an den Umgang mit den First Nations in ihrem eigenen Land ein Jahrhundert früher. Wie krank müssen die Soldaten dieser Einheit gewesen sein, und wenn sie es vorher nicht waren, wie geschädigt waren sie danach? Aber auch hier zeigt sich, wie gut Werbung funktioniert: Plakate mit Bauern in Reisfeldern unter denen stand "The Enemy, Viet Cong" oder "Bong the Cong" und "Only Agressiveness and Fire Power will win" waren in allen Camps angebracht und die Soldaten glaubten ihren Anführern, wie sie ihnen schon ein Jahrhundert früher glaubten, als es hiess "nur ein toter Indianer ist ein guter Indianer".  

 

Noch immer gibt es Leute in den USA, die versuchen den Krieg als Erfolg zu verkaufen, defacto ist er aber ein Desaster auf der ganzen Linie, die Gegend wurde über Jahrzehnte destabilisiert, die Spätfolgen bei Menschen und Natur sind immens und die Bilanz des Krieges erschreckend: 17 Jahre Krieg und fast 3x soviel Bomben wie im zweiten Weltkrieg, dazu die unschätzbaren Spätfolgen der experimentellen Waffen und Giftgase. Die einzigen die sich davon unberührt zeigen sind der Staatsapparat und geldgierige, machthungrige Politiker in den sich selbst zivilisiert nennenden Ländern. Wie Kleriker glauben sie die Welt zu ihrer Doktrin bekehren zu müssen und wiederholen die gleichen Fehler und Grausamkeiten wieder und wieder an allen Ecken und Enden dieser Welt.

  

Nach dem Besuch des Museums machen wir einen Bummel durch die Innenstadt, besprechen bei einer Nudelsuppe unsere Eindrücke und konzentrieren uns auf die hier (entgegen Hanoi) noch gut sichtbaren und ansprechend renovierten, französischen Kolonialbauten. Da gibt es unter anderem die Kathedrale Notre Dam, das Opernhaus, bedeutende Hotels aus der vorletzten Jahrhundertwende sowie das 1891 eröffnete Hauptpostamt. Der Wiedervereinigungspalast hingegen ist ein typisches Beispiel für die 60-er Jahre Architektur und war bis zum 30. April 1975 Sitz der südvietnamesischen Präsidenten. Das Zentrum erinnert in der Tat eher an eine moderne asiatische Metropole als an das undurchdringliche Chaos in Hanoi. Zum Abschluss unserer Vietnam Reise gibt es noch einen guten Fruchtsaft in einem Kaffee an der Uferpromenade des Saigon Flusses, mit Blick auf die Bauprojekte der stetig wachsenden Stadt und ihren ambitiösen Immobilienvorhaben. Für den kommenden Tag haben wir ein Busticket nach Kambodscha und hoffen, dass unser Besuch in Kambodscha wettertechnisch unter einem besseren Stern steht als die Reise durch Vietnam.