Hoi An, ein Städchen voller Lampions

In einem kleinen aber guten Touristen Van fahren wir von Hué nach Hoi An. Der direkteste Weg wäre durch den neu angelegten Tunnel, doch unser Verbindungstransfer mit englisch sprachigem Touristenführer führt uns zuerst vorbei an einer schönen, gedeckten Holzbrücke (Thann Toan Bridge) in einem kleinen Dorf, macht einen Halt an der Küste bei Lang Co Beach und fährt über den Wolkenpass, der natürlichen Trennlinie und Wetterschneise zwischen Nord- und Südvietnam. Die Küste liegt hier an einer ausgedehnten Brackwasserlagune, in welcher Perlen gezüchtet werden. Die Küste selbst präsentiert sich uns leider in grauem Nieselregen, genauso wie der Wolkenpass, der heute seinem Namen alle Ehre macht und den Blick auf das Umland verschleiert. Die regnerische Fahrt wird erneut bei den Marmorbergen ausserhalb von Da Nang unterbrochen. Auch fallen uns wieder Buddhas mit einer Art Hakenkreuz auf der Brust auf. Etwas erstaunt lesen wir später nach, dass es sich dabei um das hinduistische Symbol Swastika handelt, was Glücksbringer bedeutet. Es ist ein Kreuz mit vier etwa gleich langen, einheitlich abgewinkelten Armen und symbolisiert ein abstraktes Abbild von vier Radspeichen. Dieses Rad symbolisiert den ewigen Kreislauf und gilt auch als Zeichen der Reinkarnation. So macht das Ganze natürlich mehr Sinn.

 

Die Marmorberge bestehen aus fünf einzeln und unvermittelt emporragenden Kalksteinfelsen, mit reichem Marmorvorhaben in ihrem Inneren. Bei leichtem Nieselregen fahren wir mit dem Touristenaufzug auf den sogenannten Wasserberg (Nui Thuy Son), was sprichwörtlich zum Wetter passt. Oben angekommen meint es der Wettergott dann gut mit uns, und wir können zumindest den Regenschirm zuklappen. Bald fällt uns auch auf, dass es hier auf der Südseite des Wolkenpasses, tatsächlich wärmer ist als im Norden. Die teils schön verzierten Pagoden und Schreine in den kleinen Felsennischen und Höhlen sind bald besichtigt und können irgendwie nicht sonderlich beeindrucken, auch die Sicht auf die Grossstadt Da Nang und die vorgelagerte Küste ist definitiv und vorallem wegen des Wetters kein Highlight. Aus Da Nang soll wohl ein mondäner Badeort am Meer werden, doch derzeit erinnert die bei Windsurfern beliebte Küste eher an eine riesige Baustelle.

 

In der Abenddämmerung und bei leichtem Nieselregen erreichen wir unsere schöne Unterkunft am Rand der Altstadt von Hoi An. Den Pool des Hotel HoiAn Nostalgia werden wir wegen des andauernd wechselhaften Wetters leider nicht nutzen können, aber im Restaurant können wir dafür schon mal die Spezialitäten der Region verkosten und uns jeden Morgen am reichhaltigen und wirklich guten Frühstücksbuffet für den Rest des Tages stärken. Zum Abendessen probieren wir "White Roses", ein gutes regionales Gericht (heisst eigentlich Banh Bao). Die kleinen gefüllten Teigtaschen erinnern an Ravioli, doch sie haben die Form einer Rose und sind mit Garnelen und Hackfleisch gefüllt. Auch Cao Lau schmeckt gut. Dieses Gericht besteht aus braunen Nudeln, welche nach altem Familienrezept hier in Hoi An hergestellt werden. Dazu gibt es Scheiben vom Schwein, Mungobohnensprossen, viele Kräutern und knusprige Teig Croutons, alles serviert in einem Schüsselchen mit einer dunklen, aromatischen Sauce.  

 

Am ersten Vormittag ist es warm genug, dass wir die Jacken nicht brauchen und trocken genug, dass der Schirm geschlossen bleiben kann. Wir spazieren in die Altstadt und bekommen einen ersten Eindruck des seit über 200 Jahren kaum veränderten Städtchens. Die niedrigen, zweistöckigen Häuser, die eine interessante architektonische Mischung aus vietnamesischen, chinesischen und japanischen Einflüssen aufweisen, werden abends mit schönen, bunten Seidenlampions beleuchtet. Doch schon den Tag über ist es schön, durch die verkehrsberuhigten Gässchen zu spazieren und die angenehm entspannte Atmosphäre auf sich wirken zu lassen. In den ebenerdigen Geschossen befinden sich extrem  viele Souvenirläden, Restaurants, Kaffees und Geschäfte aller Art. Die Geschäftslokale sind aber ansprechend gestaltet und gut ins Gesamtbild integriert, die Namensschilder der Geschäfte alle einheitlich auf Holztafeln notiert. Wir denken, das ist ein fairer Preis, der die Stadt zahlen muss, damit sie so erhalten bleibt, wie sie ist. Zum Glück wohnen auch noch einige Einwohner in den ersten Etagen der Häuser und so verkommt die Stadt nicht gänzlich zu einer Disneyland Kulisse.

 

Nebst der so genannten japanischen Brücke, einer gedeckten, gebogenen Holzbrücke aus dem frühen siebzehnten Jahrhundert, gibt es viele alte Häuser, die man auch von innen besichtigen kann, sowie schön dekorierte chinesische und vietnamesische Versammlungshallen und Tempel. Seit vielen Generationen wohnen einige der Familien, die Teilräume ihrer Häuser dem Publikum öffnen, in eben diesen Häusern und können auf eine lange Tradition, in der Regel als Kaufmannsleute, zurückblicken. Im Innern der Häuser hat es immer einen schönen Innenhof mit Lichteinfall, der zur guten Belüftung und dementsprechend der Erholung dient. Das sich daran anschliessende Hinterhaus mit Wohn-, Schlaf- und Wirtschaftsräumen hat oft einen Hinterausgang auf die nächste Parallelstrasse. Sehr gefallen hat uns das Haus Duc An, welches noch heute die alte Apotheke im Eingang beherbergt und über einen schönen Innenhof und geschnitzte Möbel mit Perlmutt-Intarsienarbeit verfügt.

 

Hoi An war im 16. und 17. Jahrhundert ein internationales Handelszentrum im Süden von Vietnam. Handelsschiffe aus teils entfernten Gegenden kamen in die Stadt, und mit ihnen Händler aus Japan, China, Holland und Indien. Sie alle prägten das Gesicht der Stadt und einige wurden hier sesshaft. In einem der Häuser (41 Nguyen Thai Hoc) hat sich heute ein Kleidergeschäft und im hinteren Bereich ein Kaffee etabliert. In diesem schön restaurierten Haus wurde auch der Film "The Quiet American" gedreht und die Familie lebt noch immer in den oberen Räumen. Im geschmackvoll dekorierten Holzhaus wurde schon vor über 200 Jahren mit Betel Nüssen, Zimt, Zucker und Bohnen gehandelt und Güter nach Hong Kong, China und Europa exportiert. Der Eingang wird von geschnitzten Fischen flankiert. Das chinesische Wort Fisch und das Wort "mehr als genug" sind sehr ähnlich und daher gilt das Symbol des Fisches als Glückszeichen und wenn es am Eingang angebracht ist, dann gibt es im Haus im positiven Sinne "mehr als genug" von allem. Hoi An hat aber auch mehr als genug Wasser. Am ersten Tag unseres Besuches läuft der Fluss, der durch die Stadt fliesst, fasst über und im Garten des Hauses sind Spuren vom letzten Hochwasser zu sehen. Hoi An hat eine lange Tradition an Fluten, welche das Städtchen immer wieder in ein kleines Venedig verwandeln. Fast jährlich werden die Häuser direkt am Fluss von der Flut heimgesucht und 1964 stand das Wasser 10cm unterhalb der Balkone im ersten Stock. 1998 gab es gar 8 Fluten innerhalb der zweimonatigen Regenzeit. Die Bewohner der Stadt scheinen sich jedoch mit diesen Fluten arrangiert zu haben.

 

Da es bereits am Nachmittag des ersten Tages wieder zu regnen beginnt, verziehen wir uns in die grossen Verkaufsräume der Yaly Couture Schneiderei, welche uns im Hotel empfohlen wurde. Hoi An ist der Ort in Vietnam, in dem man sich preiswert massgeschneiderte Kleidung anfertigen lassen kann. Eigentlich wollte Adi nur einen Mantel schneidern lassen, am Ende jedoch hat er dazu auch noch einen Anzug, Jeannine einen Mantel, ich zwei Etuikleider sowie ein Kostüm mit Hose und Markus einen Übergangsmantel und einen Trenchcoat. Tja, wenn einem die Shoppinglaune mal packt... ausserdem fanden wir die Beratung und Auswahl an Stoffen sehr gut und die Effizienz und Präzision der Schneider hat uns sehr beeindruckt.

 

Am nächsten Morgen ist es trocken und so fahren wir wie vereinbart zu viert mit unserem Privatchauffeur Richtung Ruinenstadt My Son, welche rund 45km von Hoi An entfernt, in einem schönen Seitental landeinwärts gelegen ist. Die Bauweise dieser Tempelanlage konnte ohne Mörtel realisiert werden, alleine durch das genaue anpassen der Steine (ähnlich wie bei den Inkas in Südamerika), und die Ausgrabungsstätte ist eine der wenigen verbleibenden Zeugnisse der Cham Kultur. Ab dem 2. und 3. Jahrhundert entstand an der Küste Vietnams die Cham Kultur. Die Cham trieben regen Handel mit den umliegenden Staaten (den Khmer im Westen und den Dai Viet im Norden), als Küstenstaat aber zudem mit anderen Völkern und im Speziellen mit Südindien. Somit waren sie kulturell stark von der indischen Kultur beeinflusst, was sich insbesondere in der Übernahme hinduistischer Glaubensvorstellungen (Verehrung von Shiva) und in der Kunst ausdrückt.

 

Aus Champa, dem Reich der Cham, waren in My Son mehr als 70 Tempel, in der Regel aus einem zentralen turmartigen Bauwerk und kleineren umliegenden Gebäuden bestehend, erhalten geblieben. Der berühmteste Turm war 24 Meter hoch, und mit Bildhauereien von Löwen und Elefanten verziert. Er wurde 1969, als das Gebiet während des Vietnamkrieges von US amerikanischen Flugzeugen bombardiert wurde, zerstört. Während dieser Bombardements wurden insgesamt 50 der rund 70 zuvor von den Archäologen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts verzeichneten Tempel schwer beschädigt oder ganz zerstört. Zwischen den einzelnen Grabungsstätten und den verbliebenen Bauwerken liegen kleine Teiche, diese Teiche sind aber eigentlich nichts anderes als Detonationsgruben der Bomben. Trotz dieser traurigen Zeugnisse der jüngeren Geschichte, bekommt man hier einen kleinen Eindruck der Kultur der Cham, deren Einflussgebiet das heutige Südvietnam umfasste. Der religiöse Kult erreichte nie die Ausmasse wie bei den Khmer, deren Einflussgebiet das heutige Kambodscha umfasste, wurde von UNESCO jedoch als wichtig genug eingestuft, um es 1999 auf die Liste des Weltkulturerbes aufzunehmen. Beeindruckend sind auch die in Stein gehauenen Inschriften auf Sanskrit, welche sich am Mauerwerk und auf einigen Steinstehlen finden, sowie einige übriggebliebene, kleinere und grössere Steinfiguren, so auch ein Fabelwesen (Elefanten-Löwe) aus dem 11/12. Jahrhundert.

 

Auf der Rückfahrt hält unserer Fahrer am Haus eines befreundeten Paares, welches Touristen gerne zeigt, wie man aus Reisstärke traditionelle Reisfladen macht. Diese Fladen werden wie bei einer Crêpe auf einem dünnen Tuch über Wasserdampf rundgedreht und nach 2 Minuten sorgfältig aufgezogen und zum Trocknen auf ein Netz ausgelegt. Luftgetrocknet kann man diese gut lagern und bei Bedarf mit Wasser wieder zu weichem Reispapier machen. Aus diesem Reispapier werden herrlich gefüllte Wraps gemacht, oder man verfeinert die runden, hauchdünnen Fladen mit etwas Sesam und grilliert sie über dem Feuer. Schmeckt beides gut. Am Nachmittag regnet es leider erneut, und so gönnen sich Jeannine und ich zurück im Hotel eine Massage.

 

Am Samstag (3. Tag) und Sonntag kommt endlich die Sonne raus und wir geniessen die schöne Atmosphäre im Städtchens umso mehr. Da unser Nachtzug am 4. Tag erst abends abfährt, können wir den ganzen Sonntag noch in Hoi An verweilen. Wir lassen uns treiben, besuchen einige der alten Häuser, Versammlungsräume und Tempel der Stadt sowie das Kulturmuseum, welches ebenfalls in einem alten Handelshaus untergebracht ist. Dazwischen schauen wir immer wieder mal bei Yaly Couture vorbei und schon am Samstag Abend sind all unsere geschneiderten Kleider fertig und final angepasst. Jetzt hoffen wir einfach, dass die Sendung gut und ohne Umtriebe zu Hause ankommt. Schon ein spezielles Erlebnis, in einer solchen Rekordzeit so schön gearbeitete Sachen auf den Leib geschneidert und angepasst zu bekommen.

 

Auch eine Teeverkostung im Teahouse (131 Tran Phu Street) lassen wir uns nicht entgehen und geniessen die Oase der Ruhe (das Servicepersonal ist taubstumm), die hausgemachten Süssspeisen und den Tee im Innenhof eines alten Hauses. Hervorragend gefallen hat uns auch der Besuch des Art Gallery Museums (26 Phan Boi Chau Street). Der Eintritt ist kostenlos und auf einer Fläche von 450m2 werden über 200 beeindruckende Fotografien des französischen Fotografen Réhahn, sowie 45 authentische traditionelle Kostüme der verschiedenen Volksgruppen Vietnams ausgestellt. Zu jedem Kostüm wird eine Geschichte erzählt, die Volksgruppe wird kurz vorgestellt und ein für sich selbst sprechendes Portrait trägt zum Gesamteindruck bei. Die Fotografien und Portraits fangen die Situation oder den Charakter der Menschen wirklich perfekt ein, sind grossartig gemacht und beeindrucken uns tief.

 

Wir essen auch am letzten Abend wieder im kleinen Restaurant in einer Seitengasse des Flussufers. Der Inhaber und Koch beendet erst noch sein Gebet, indem er brennende Räucherstäbchen in den Türstock steckt und beginnt dann in der offenen Wok Küche zu werkeln. Mit Blick auf den Hausaltar und bei einem einfachen, aber guten Abendessen im Restaurant Bup (der Koch heisst so), lassen wir unsere letzten Stunden im schönen Hoi An ausklingen, bevor wir durch die romantisch beleuchteten Gassen streifen, den Ruderbooten zuschauen und Abschied nehmen von der Stadt der bunt beleuchteten Lampions. Gegen 21 Uhr werden wir zum Bahnhof Da Nang gefahren, von wo wir den Nachtzug in den Süden nehmen.