Regen und Kälte

Um 9 Uhr soll uns der Transfer Pick-up im Hotel in Sa Pa abholen. Kurz nach 8 Uhr haben wir uns gemütlich in den Frühstücksraum gesetzt, da kommt auch schon der Rezeptionist und informiert uns, dass die Busgesellschaft Hason Haivan grad angerufen hätte und uns schon in einer Viertelstunde abholen würde. Nur gut, haben wir schon bezahlt und gepackt, so haben wir doch immerhin noch etwas mehr als 10 Minuten fürs Frühstück. Der Van fährt vor und wir werden zum Bus gebracht und stellen fest: schon wieder ein Schlafbus mit Pritschen. Scheint hier die gängige Art zu Reisen zu sein. Beim Einsteigen heisst es wieder Schuhe ausziehen und in die angebotenen Plastiksäcke verpacken. Dann werden wir angewiesen in den unteren Pritschen Platz zu nehmen. Diese sind gar nicht mal so unbequem und so fahren wir mit hochgelagerten Beinen und Rückenlehne durch die Landschaft zurück nach Hanoi. Auf halbem Weg (so nach 3 Stunden) gibt es einen Toiletten- und Verpflegungsstopp. Bevor man aussteigt legt die Busgesellschaft aber noch eine Fussmatte sowie eine grosse Zeine mit Adiletten hin, so dass man seine Schuhe im Bus lassen und beim Aussteigen in die Adiletten schlüpfen und so im Busbahnhof herumspazieren kann. Andere Länder andere Sitten. Alle Gäste, egal von welcher Busgesellschaft, schlurfen hier in den in Einheitsgrösse zur Verfügung gestellten Slipper herum.  

 

Auf der Weiterfahrt wird immer mal wieder mitten an der Autobahn oder bei einer Ausfahrt angehalten, um neue Passagiere aufzunehmen, die zwar keine Liegen mehr haben, aber auf den vom Buspersonal zur Verfügung gestellten Liegematten im Flur Platz nehmen können. Offensichtlich hat der Bus auf diese Art viel zu viel Zeit verloren und hält unvermittelt ungefähr 10km vor Hanoi an, um alle Gäste rauszuschicken. Das Gepäck ist schon ausgeladen bevor der erste Passagier ausgestiegen ist und wir fragen uns, warum in Sa Pa Gepäcksetiketten mit Identifikationsnummern angebracht und uns Quittungen ausgehändigt worden sind, wenn das hier eh keiner mehr gegenprüft. Auf den ersten Blick wirkt alles unorganisiert und chaotisch, die einheimischen Passagiere scheinen sich auch etwas aufzuregen, und wir als einzige Ausländer verstehen sowieso nix. Dann fährt quasi aus dem nichts ein Bus mit normalen Sitzen vor, in den wir alle verladen und 10km später vor einem Office von Hason Haivan wieder ausgeladen werden. Das hier ist aber auch nicht der Zentrale Busbahnhof, an welchem die Busse nach Ninh Binh abgehen sollten.

 

Dank Google Translate bringen wir in Erfahrung, dass der Busbahnhof ganz in der Nähe sein müsste, nur rund 500m. Ja da ist ein Busbahnhof, aber leider fährt hier kein Bus nach Ninh Binh. In Südamerika hat das irgendwie alles mehr System. Dann werden wir von jemandem angequatscht, der dann jemanden anderen anquatscht und am Ende haben wir 3 jüngere Typen um uns, die ganz intensiv nicken und sagen "Bus Tam Coc". Tam Coc liegt ein paar Kilometer ausserhalb von Ninh Binh und ist unser Tagesziel, klingt also nicht schlecht. Wieviel es kostet und wo wir zusteigen müssen, wollen wir mit Google Translate herausfinden, und plötzlich habe ich ein Smartphone am Ohr und jemand redet auf Englisch auf mich ein. Dank Strassenlärm und schlechter Verbindung verstehe ich nur rund die Hälfte, aber genug um zu wissen, dass gleich ein Bus gehe, nicht sehr teuer sei und das Ticketoffice befinde sich gleich um die Ecke. Hm, wir wollen das mal anschauen und folgen den Jungs. Weitere 500 Meter der Strasse entlang finden wir das gesuchte Ticket Office, zahlen den vereinbarten Preis und bekommen ein Ticket. Auf die Frage Wann und Wo der Bus fahre, heisst es nur "Now-Now". Wir werden in einen Van verladen und der Fahrer fährt halsbrecherisch quer durch die Stadt. Prompt bekommt er auch noch eine Busse, nur um danach noch verrückter zu fahren. Vorne im Bus sitzt noch eine junge Einheimische, welche uns immer wieder fasziniert anlächelt, während sie mit ihren überdimensionierten, extrem verzierten Kunstnägeln über das zersprungene Display ihres Smartphones streicht.

 

Kurze Zeit später hält der Van vor einem grossen Bus, was für eine Überraschung, auch das ist ein Schlafbus, obwohl es noch immer taghell ist. Wir fragen uns langsam, ob es in Vietnam für Langstrecken nur Schlafbusse gibt. Das Gepäck ist schnell verstaut und dann kommt der weitaus schwierigere Teil: wir werden verstaut. Jeannine und ich werden ganz nach hinten in die 5-er Liegereihe des 46er-Betten Busses versorgt, neben mir ein schlafender junger Mann, auf meiner anderen Seite Jeannine, dann unsere Bekanntschaft aus dem Bus mit den extremen Kunstnägeln, und als letzter in der Reihe ein Mann in verdreckter Uniform. Auch der Bus sieht schon etwas in die Jahre gekommen aus und ich hoffe nur, dass Kopfkissen und Decken, die zur Verfügung gestellt werden, keine lebenden Blinden Passagiere mitführen. Unsere Jungs sind direkt über uns ähnlich eingepfercht untergebracht und schon kurze Zeit später nehmen weitere Passagiere unten zu unseren Füssen Platz, jeder Quadratzentimeter wird ausgenutzt. Die rund 1.5 stündige Fahrt wird jedoch kurzweiliger als gedacht, denn unsere neue Freundin will Selfies mit uns machen, allerdings (verstehe das einer) nicht mit ihrem, sondern mit Jeannines Smartphone. Dann ist aber nicht Ruhe, nein, sie quasselt frisch fröhlich auf vietnamesisch auf uns ein, mischt manchmal ein englisches Wort dazwischen und nimmt irgendwann Jeannines Smartphone an sich. Erst etwas verständnislos, kann sich Jeannine später nonverbal besser mit ihr verständigen und das Resultat der ganzen Sache ist, dass sie nun eine neue vietnamesische Freundin auf Facebook hat.

 

Kurze Zeit vor Ninh Binh ruft uns einer der Kassierer des Busses nach vorne (Bergsteigen über schlafende und sitzende Menschen) und weist uns an, vorne beim Absatz zum Buschauffeur Platz zu nehmen. Irgendwie habe ich das unbestimmte Gefühl, dass er uns versteht bzw. auf unsere schweizerdeutsche Konversation zu intensiv reagiert und so frage ich ihn direkt, ob er Deutsch spreche. Jetzt geht ein Strahlen über sein Gesicht und tatsächlich, er kann erstaunlich gut Deutsch. Wir unterhalten uns ein wenig, lernen, dass er seine Sprachkenntnisse einzig in einer vietnamesischen Schule gelernt hat und sind begeistert von seinen Kenntnissen. Am Ende werden wir abseits der Autobahn, direkt an der Strasse nach Tam Coc ausgeladen und mit freundlichen Wünschen für eine gute Weiterreise und der Info, von hier sollen wir ein Taxi nehmen, verabschiedet. Wir bekommen unser Gepäck, winken noch und schon ist der Bus wieder weg. Inzwischen ist es dunkel geworden und wir stehen da und schauen uns an: wo sollen wir denn nun ein Taxi finden? In den Ort sind es rund 4km, also satteln wir unsere Rucksäcke auf, gehen rund 10 Meter und sehen hinter einem Essenstand, oh Wunder, mehrere Taxis warten. Kurze Zeit später werden wir mit heissem Tee von den freundlichen Gastgebern unserer Unterkunft begrüsst. Obwohl chaotisch und für uns ohne erkennbares System, haben wir die Fahrt von Sa Pa nach Tam Coc doch in weniger als 10 Stunden geschafft.

 

Tam Coc liegt in einer wunderschönen Gegend, der sogenannten "Trockenen Halong Bucht". Wie in der namensgebenden Bucht finden sich auch hier unzählige, bizarr geformte Karstfelsen, welche anstelle aus dem Südchinesischen Meer, aus einem Meer an Reisfeldern herausragen. Tam Coc selbst ist für seine drei Höhlen bekannt, welche nur auf dem Wasserweg erreichbar sind. Daher stehen im Ortskern unzählige Ruderboote bereit, welche jeweils zwei Passagiere gegen Entgelt den Wasserkanälen entlang zu den Höhlen fahren. Nun, wir entscheiden uns am ersten Tag in Tam Coc nirgendwo hin zu fahren, es giesst nämlich in Strömen. Frühstück gibt es auf der überdachten, einseitig durch eine Mauer begrenzten Terrasse unserer Unterkunft, ein wirklich gutes, selbstgemachtes Frühstück, doch es zieht wie Hechtsuppe. Brrrr. Draussen sind die Leute warm angezogen, mit Daunenjacken unter ihren Plastikmäntelchen, fahren oder spazieren sie in Flipflops durch die nicht mehr vollständig abfliessenden Wassermassen. Die Gastgeberin ist unglaublich freundlich, ihr Englisch leider recht rudimentär. Trotzallem oder vorallem dank ihrer sprachgewandten, schwangeren Schwester, welche rund eine halbe Stunde später zu uns stösst, können wir unsere Weiterreise per Nachtzug organisieren. Den Rest des Tages verbringen wir mit lesen und schreiben auf den Zimmern, welche zum Glück mit Klimaanlagen ausgestattet sind, die auch heizen können.

 

Tags drauf ist es noch immer feucht, regnet aber nicht mehr. Ein grosser Vorteil dieses reinigenden Regens ist, dass die Luft nun viel einfacher zu atmen, um nicht zu sagen, richtig frisch war. In der Nacht hat es stark gestürmt und noch immer ging ein heftiger Wind, eisig kalt. Die Temperaturen sind über Nacht um mehr als 10 Grad gesunken. Bei weniger als 8 Grad machen wir uns also eingekleidet in alles was unsere Rucksäcke hergeben auf, das Dorf zu erkunden. Sofort fällt auch hier wieder auf, dass alle Leute, egal ob Einheimische oder Touristen in North Fake - äh sorry, North Face Kleidung herumspazieren. Hier gibt es nämlich an jeder Ecke "North Face - made in Vietnam" Läden. Die Outdoor Sachen sind hier rund 50 - 80% billiger als zu Hause und sind wir mal ehrlich, vielleicht ist es ja doch nicht so Fake, denn schliesslich ist ja auch in der in Europa verkauften Kleidung eine Etikette mit "made in Vietnam" eingenäht.

 

Wir spazieren über die nassen Reisfelder und ohne eine Spur von Sonne wirkt die Gegend deprimierend trüb, aber wäre das nicht überall so? Das Wetter hat so einen grossen Einfluss auf die Wirkung einer Gegend und etwas Sonne würde die Schönheit der Landschaft sofort ins beste Licht rücken. Unser rund stündiger Spaziergang durch Reisfelder und über matschige Wege führt uns bis nach Hang Mua. Wer mit dem Fahrrad oder Moped ankommt, muss eine Parkgebühr zahlen, bei uns wird nur der Eintritt fällig. So spazieren wir durch eine schöne Parkanlage und dann rund 500 Treppenstufen hinauf zu einem überdachten Pavillon, von wo man einen grandiosen Blick über die bewaldete Karstlandschaft, den Fluss und die Reisfelder hat. Oben auf dem Felsrücken schlängelt sich ein Steindrache der von weit her erkennbar ist und es gibt verschiedene Wege, welche immer wieder neue Ausblicke versprechen. Ach hätten wir das gerne im Sonnenlicht gesehen.

 

Auch am letzten Tag wird das Wetter nicht besser, es bleibt aber trocken. Gerne hätten wir die weitere Umgebung mit dem Moped erkundet, zum Beispiel das etwas weiter entfernte Trang An (ein weiteres UNESCO Weltkulturerbe Örtchen), aber bei dem noch kälter gewordenen, unangenehm feuchten Wetter, welches in alle Knochen kriecht, war es unser oberstes Ziel warm zu bleiben und so entschieden wir uns auch an diesem Tag wieder zu Fuss die Umgebung zu erkunden. Nach dem Frühstück mussten wir auschecken und somit den gefühlt einzigen warmen Raum in diesem Ort verlassen. Unsere Gastgeber versorgten uns jedoch allerliebst mit jeder Menge warmen Tee und wiederholten immer wieder verständnisvoll "very cold, so very cold today". Es scheint, als sei man hier auf solches Wetter nicht eingestellt, denn im ganzen Ort finden wir nur zwei (sinnlos überfüllte) Lokale mit einer geschlossenen Veranda. Alle anderen versuchen durch Holzfeuer in alten Ölwannen etwas Wärme in die offenen Unterstände zu bringen. Wir spazieren diesmal Richtung Bich Dong. Die Grotte, in welcher drei schwarze Buddhafiguren verehrt werden, wurde von König Tu Duc im 18. Jahrhundert zu einer der schönsten in Vietnam erklärt. Das würden wir zwar so nicht unterschreiben, aber die Tempelanlage schmiegt sich wunderbar an und in den Fels, und erinnern irgendwie ans Wildkirchlein unterhalb der Ebenalp. Man kann die Tempelanlage im Berg entlang eines sich immer höher windenden Weges durchqueren und kommt dann oben auf eine Plattform von welcher man einen schönen Blick ins Tal hat.

 

Wieder unten angelangt wird Markus mehrfach angesprochen für Fotos zu posieren. Einmal schaut mich eine Asiatin schüchtern an, grinst schelmisch und will doch meine durch Kopfnicken erteilte Zustimmung, dass sie sich mit Markus ablichten lassen darf. Am Ende will eine ganze asiatische Touristengruppe mit Markus aufs Foto und der grösste der Truppe (notabene etwa so gross wie ein durchschnittlicher Europäer) stellt sich hochaufgereckt neben ihn. Alle lachen und bedanken sich, und schon kommt die nächste Gruppe mit der gleichen Bitte. Markus hat so nicht nur 5 Minutes of Fame sondern deren mindestens 15. Nachdem wir uns noch rasch einen Blick ins Tempelinnere am Fusse des Berges genehmigt haben, spricht ihn ein etwa 9-jähriges Mädchen an, ob er denn Zeit hätte mit ihr zu reden. Erst dachte er, sie wolle auch ein Foto mit ihm machen, stellte dann aber fest, dass ihn dieses vietnamesische Mädchen in seidenfeinem Englisch, welches sie offensichtlich von ihrer Mutter lernt, in ein Gespräch verwickeln will, da sie ernsthaft an Europa interessiert ist. Sie bereist mit ihrer Familie das eigene Land, ist aber unglaublich wissbegierig und freut sich, sich mit intelligenten Fragen in englischer Konversation zu üben. Eine schöne Begegnung.  

 

Auf dem Weg zurück ins Dorf fällt uns ein Schild auf, welches mit heisser Schokolade und Glühwein wirbt. Wir schauen hinein und im durch Plastikplachen etwas windgeschützten, überdachten Garten sind Heizpilze aufgestellt und warme Decken über die Lounge Möbel gelegt worden. So einladend wie das aussah, waren wir natürlich bei weitem nicht die einzigen Gäste, welche sich in diesem nicht eben günstigen Lokal das Geld aus der Tasche ziehen liessen. Wir genossen einfach die kuschelige Atmosphäre und warmen Getränke. So entstand auch das Bild von uns zwei, welches eher an einen Skiurlaub, als an eine Reise durch Vietnam erinnert. Und wenn wir schon mal am Geld ausgeben sind, dann bitte auch richtig: zurück im Dorf zog uns das warme Feuer eines Pizzaofens magisch an. Hier haben erst vor ein paar Wochen ein paar Vietnamesen eine neue Pizzeria nach italienischem Vorbild eröffnet und ihre Veranda, man glaube es kaum, ist von drei Seiten windgeschützt. Die Pizza und Bruschettas schmeckten hervorragend und das Glas vietnamesicher Rotwein aus Dalat wärmte zusätzlich. Wir sind erstaunt, dass der vietnamesische Tischwein ganz passabel schmeckte und freuten uns noch mehr, dass der lokale Pizzaiolo persönlich nachfragen kam, ob die Holzofenpizza mit dünnem, krossen Rand denn auch geschmeckt habe.

 

Gegen 21:30 wurden wir per Taxi zum Bahnhof in Ninh Binh gefahren. Dort warteten wir rund eine dreiviertel Stunde im Wartesaal, bis unser Nachtzug pünktlich eintraf. Hier wirkt alles super organisiert und wir konnten problemlos unser reserviertes 4-er Abteil beziehen, welches bequemer war als gedacht. So schliefen wir trotz Rüttelei verhältnismässig lange und gut. Gegen 9 Uhr kamen wir in Hué an und stellten fest: auch hier ist es nass, es regnet nicht in Strömen, dafür wir die Stadt mit Dauer Nieselregen beglückt. Zum Glück ist es hier über 10 Grad wärmer als in Tam Coc, so konnten wir zumindest Handschuhe und Mütze wieder ausziehen. Trotz allem waren wir dann froh, als wir bereits kurz nach 10 Uhr unsere Zimmer beziehen und Pläne für die Stadtbesichtigung schmieden durften. Die Pläne bestanden jedoch erst einmal darin, uns auf dem Zimmer auszuruhen und um die Mittagszeit essen zu gehen. So fanden wir dann auch auf Empfehlung der Rezeption ein Lokal gleich um die Ecke (Hanh Restaurant), wo wir in familiärer Umgebung regionale Spezialitäten zu moderaten Preisen probieren konnten. So gab es Banh Beo (gedämpfte Reisküchlein mit krossen Fischkruttons), Banh Khoai (eine Art gefüllter Reis Pancake), Nem Lui (gegrillte Hackfleischröllchen, welche auf einen Zitronengrass Stängel gesteckt sind und mit Reispapier zum selber rollen, Gemüse und Erdnusssauce serviert werden), Banh Cuon Thit Nuong (kalte, vorab gedämpfte Frühlingsrollen) und Nem Ran (frittiere Frühlingsrollen). Alles natürlich mit passender Sauce dazu.

 

Frisch gestärkt stapften wir unterm Regenschirm durch die pitschnasse Stadt. Die Sicht von der nach französischem Vorbild (der gute Herr Eiffel lässt grüssen) gebauten Brücke über den Perfume River lässt sich als grau in grau beschreiben. Warum der Fluss so heisst, wissen wir nicht, er ist aber gut mit Wasser gefüllt und verströmt daher zum Glück kein unangenehmes Parfüm. Wir finden ein Café mit geschlossener Veranda und beobachten das Geschehen auf der Strasse. Draussen fahren Roller durch die Gegend, welche ihre teils überbordende Ladung mit Plastikfolien vor dem Regen zu schützen versuchen, während sich eine Fahrrad Ritschka inklusive Gemüsefrau mit all ihrer Marktware im Fahrgast Sitz durch den Regen kämpft. Ein anderes lustiges Bild bietet sich, als ein Roller mit einem Kopf und sechs Beinen an uns vorbei fährt. Die ganze Familie sitzt unter dem Regenponcho des Vaters, welcher das Moped steuert. Wenn denen ohne Sicht unter der Plache bloss nicht übel wird. Dann biegt ein anderer Herr in die Strasse ein, ebenfalls mit Regenponcho unter welchem nebst seinen, ein sexy übereinander geschlungenes Beinpaar in Highheels hervorschauen, zusammen mit zwei Händen, welche am Smartphone texten, während der Boyfriend den Roller lenkt. Kurze Zeit später biegt ein anderer Rollerfahrer um die Ecke, welcher wohl bei Ikea seine gesamte neue Wohnungseinrichtung inklusive Wohnzimmerpalme gekauft und nun auf dem Roller verzurrt nach Hause zu transportieren hat. Sachen sieht man hier, es ist wirklich amüsant und kurzweilig hinaus in das regnerische Geschehen zu schauen.

 

Überhaupt fällt auf wie schön die asiatischen Touristen alle gekleidet sind, meist sehr chic und eher unpassend für die jeweilige Aktivität, scheinen sie damit zusätzlich zu unterstreichen, dass sie sich das Privileg zu Reisen leisten können. Ich frage mich derweil nur, wie die es schaffen, dass ihre weissen Turnschuhe in dem Schmutz so wunderbar weiss bleiben... naja viele steigen grad mal vom Tourbuss in eine Fahrrad Ritschka um und lassen sich geschützt von der durchsichtigen Plastikfolie die Stadt zeigen. Wir gehen zu Fuss weiter und erreichen kurze Zeit später bei schönstem Regenwetter die Verbotene Purpur Stadt im Zentrum der Altstadt.  Am nördlichen Ufer liegt das Gebiet der alten Zitadelle, der kaiserlichen Befestigungsanlage. Zeitgeschehen und Krieg haben diese weitgehend ins Stadtbild integriert, heute liegen Wohnungen und Arbeitsstätten im Bereich dieser Altstadt, welche früher nur dem Kaiser und seinem umfangreichen Hofstaat zugänglich war. Ein 23m breiter Wassergraben umgibt den quadratischen Grundriss von rund 10km Umfang, welcher ab 1818 durch eine 21m dicke und 6.6m hohe Mauer ergänzt wurde. Nähert man sich der Zitadelle vom Fluss her, so sieht man schon von weitem den Flaggenturn, welcher die Mittelachse der kaiserlichen Stadt markiert. Die wichtigsten Gebäude sind entlang dieser Mittelachse angelegt, so etwa auch das Mittagstor, durch welches man die Verbotene Stadt betritt. An dieser Stelle auch übergab der letzte Kaiser 1945 seine Insignien an Ho Chi Minh. Zahlt man den Eintritt und durchschreitet das Tor, so geht man zwischen den beiden rechteckigen Wasserbassins mit grossen Karpfen durch und erreicht den Hof und die grosse Empfangshalle. 80 Säulen aus Eisenholz schützen das bemerkenswerte, rot bemalte Dach. An diese Halle grenzt die Verbotene Purpurne Stadt, die ausschliesslich dem Kaiser und seinem Gefolge (darunter über 100 Konkubinen) vorbehalten war. Nur wenige der Gebäude sind wirklich erhalten, zum Glück sind jedoch die Dächer der Wandelgänge um die Innenhöfe nicht nur gut erhalten, sondern auch dicht und so ergeben sich immer wieder schöne Ausblicke hinaus in den Regen.

 

Auf dem Rückweg ins Hotel fragen wir uns erneut: was haben die Vietnamesen eigentlich gegen die korrekte Nutzung der Gehsteige einzuwenden? Als Fussgänger springt man andauernde hinaus in die Strasse, wird angehupt, weicht Müll oder Dreck aus, begibt sich wieder für zwei, drei Schritte zurück auf den Gehsteig, bevor man wieder auf die Strasse muss, denn der Gehsteig ist auch Erweiterung der Garküche oder des Kleidergeschäfts oder ganz einfach Parkplatz für Mopeds und Autos. Dann fällt uns plötzlich ein, dass wir ja eigentlich Silvester haben. In Vietnam wird das Chinesische Neujahr gefeiert und obwohl manchmal westlich angehauchte Weihnachtspopmusik aus Lautsprechern dudelt, ist dieser letzte Tag im Dezember ein ganz gewöhnlicher Montag in Vietnam. Trotz allem kaufen wir uns zu viert eine Flasche chilenischen Rotwein und einige Knabbereien zum Anstossen. Da wir jedoch alle hundemüde sind, beschliessen wir, uns auf einem der Zimmer zu treffen um vor zu feiern. Doch dann stellen wir fest, dass sich die Vietnamesen gleich unterhalb unserer Hotelzimmer mal wieder ihrem Lieblingshobby hingeben. Herrje, was haben die eigentlich gegen etwas Ruhe? Die Boxen bis zum Anschlag aufgedreht trällern sie alle möglichen und unmöglichen Karaoke Songs, nur unterbrochen von einigen hässlich verzerrten Technoklängen. Bei dem Lärm kann man ja eh nicht schlafen und so bleiben wir dann doch bis Mitternacht wach und spielen 70/80/90 Hits erraten, wobei wir oft Mühe haben, die Musik auf unseren Smartphones zu hören, da der Lärm draussen viel zu gross war. Merkwürdiges Silvester, aber es soll gelten - Prosit und Happy 2019. Punkt 5 Minuten nach Mitternacht ist dann der Spuk mit den Lautsprechern vorbei und wir verziehen uns ins warme Bett. 

 

Leider ist auch der 1. Januar total verregnet, weswegen wir uns entschlossen haben, weder die Kaiserlichen Gräber, welche in schöne Gartenanlagen ausserhalb der Stadt eingebettet sein sollen, noch andere Sehenswürdigkeiten wie die berühmte Thin Mu-Pagode zu besuchen. Im Regen macht das einfach keine Freude. Also tippe ich diesen Eintrag ins Reisetagebuch, während Markus ein schönes Restaurant fürs Abendessen auf Trip Advisor sucht. Seine Suche war übrigens erfolgreich und so genossen wir ein wirklich vorzügliches, vegetarisches Essen in der wunderschönen Atmosphäre eines alten chinesischen Holzhauses. Das traditionell chinesische Restaurant San May liegt in einer ruhigen Nebenstrasse und das Essen in dieser Oase der Ruhe schmeckte uns hervorragend. Die verschiedenen Gerichte, welche für alle zum verkosten in der Mitte des Tisches aufgetischt wurden, waren sehr variantenreich und auch optisch ein Schmaus. Somit war dieses Abendessen ein würdiges Neujahrsessen geworden.

 

Morgen geht es per Touristen Bus weiter nach Hoi An, welches auf der anderen Seite des Wolkenpasses liegt. Der Wolkenpass ist eine Wetterschneide und zugleich eine natürliche, geografische Trennlinie zwischen Nord und Süd Vietnam. Wir hoffen sehr, dass sich das Wetter im Süden bessert, denn den Regen haben wir jetzt endgültig satt und wollen Vietnam von seiner Sonnenseite erleben.