Nova Scotia

Im Nordwesten von Nova Scotia besuchen wir Annapolis Royal, ein geschichtsträchtiges Örtchen welches sich selbst als Wiege Kanadas bezeichnet. Als erstes fällt der einheitliche Charakter des historischen Städtchens und die Abwesenheit von modernen Franchise Ketten auf. Das schmucke Dörfchen ist schön herausgeputzt und im Hochsommer gut besucht, zeigt sich uns im Herbst aber als ruhig und fast schon verschlafen. Annapolis Royal ist eine der ersten Ansiedlungen von Europäern auf kanadischem Boden und war Hauptstadt von Nova Scotia bis zur Gründung von Halifax 1749. Gegründet wurde es von einem Franzosen im Jahr 1605, aber über die Jahre wechselte es oft von französischer zu britischer Hand und somit auch seinen Namen. Nebst dem Örtchen ist auch das gut erhaltene Fort Anne mit interessanten Infotafeln sehenswert, aber am schönsten fanden wir die Sicht über die Bucht mit seinem Gezeitenfluss umgeben von sanften Wiesen.

 

Leider ist diese Gegend auch bekannt für ein weniger sonniges Kapitel der kanadischen Geschichte: Missgunst, Krieg und Deportation. Die Franzosen, welche als erste in dieser Gegend siedelten, nannten sich Arcadier. Im 18. Jahrhundert fühlten sich diese Franzosen mit diesem idyllischen Landstrich viel verbundener als mit ihrer alten Heimat, dem Loire Tal, blieben ihrem katholischen Glauben aber treu. Als 1754 Nova Scotia den Britten (Protestanten) zugeteilt wurde, wollten sie keinen Treueeid schwören. Die Britten betrachteten die Arcadier nach über 150 Jahren Besiedelungsgeschichte aber noch immer als Franzosen und misstrauten ihnen nach der Ablehnung des Treueeids so sehr, dass sie die Deportation anordneten. So wurden die Arcadier enteignet, ihre Hütten und Dörfer niedergebrannt und die Menschen auf Deportationsschiffe gezwungen. 14'000 Arcadier verloren so ihre Heimat. Von den wenigen, welche der Deportation entgingen, traten viele dem Untergrund bei und wurden dabei von französischen Truppen und den Mi'kmag unterstützt. Einige der Deportierten bauten in Louisiana, New Orleans, Neu England und in der Karibik neue Existenten auf und nur wenige kehrten später nach Nova Scotia zurück. Doch bei ihrer Rückkehr fanden sie ihre Hütten und Ländereien besetzt, bewohnt von britischen Siedlern die das Gut bearbeiteten und die fruchtbaren Ländereien als neues Siedlungsgebiet billig erwerben konnten. Enttäuscht zogen sich die Arcadier in die Gegend um Yarmouth (äusserster Westen von Nova Scotia) und Cheticamp auf Cape Breton zurück. Beide Gebiete sind nicht so fruchtbar wie das Annapolis Valley, umso mehr aber bewahrte sich ihre eigene Kultur und Sprache. Ebenfalls erhalten hat sich der von ihnen begründete, traditionelle Deichbau, dank dessen eine Gegend vom schlammigen Brackwasser befreit werden konnte, während frisches Regenwasser und Schnee das Salz aus den Böden wusch, um die Gebiete zu fruchtbaren Anbauflächen zu machen.

 

Von dieser fruchtbaren Küstengegend im Norden fuhren wir entlang der R8 quer über die bewaldete Insel in deren Zentrum sich der Kejimkujik Nationalpark befindet. Nova Scotia ist grösser als man denkt: Von Nord nach Süd sind es rund 200km und von Yarmouth im Südwesten bis Meat Cove im Nordosten ca. 800km. Auf dieser grossen Insel befinden sich 2 Nationalparks, der eben erwähnte Kejimkujik und Cape Breton Highlands. Leider ist im Nationalpark Kejimkujik vor allem ein Tier hochaktiv: die Stechmücke und diese kann einem den Besuch des Parks vor allem im Sommer vermiesen, ganz abgesehen von beissenden Fliegen am und Blutegeln im Wasser. Mitte September bis Ende Oktober ist daher die beste Zeit für einen Besuch des Parks, welcher man am besten per Kanu erkundet, da es sich um ein weitgestrecktes Seengebiet handelt. Dieses Gebiet ist ein Rückzugsort für eine grosse Diversität an Reptilien und Amphibien. Die Mi'kmag leben noch immer in dieser Gegend und haben unlängst wieder angefangen die traditionellen mit Birkenrinde bespannten Kanus zu bauen. So bieten sie mittlerweile auch Kanubaukurse an. Zudem gilt auch dieses Gebiet als Dark Sky Reserve mit minimaler Lichtverschmutzung.

 

Shelburne an der Südwestküste entpuppt sich als kleines Dörfchen mit einer winzigen aber schön herausgeputzten Hafenpromenade. 17 Häuser, gebaut vor 1800. Leider war das Restaurant Charlotte Lane, welches uns empfohlen wurde, geschlossen und so assen wir Fisch und Chips am Hafen, tranken lokales Bier und übernachteten am ruhigen Hafen auf einem grossen Parkplatz, zusammen mit einem anderen Camper Van, einem Franzosen mit dem wir ins Gespräch kommen, da er eine beindruckende Karte im Rückfenster hatte. Er war quasi schon fast überall auf dieser Welt in seinem Van unterwegs gewesen, aber nun ebenfalls auf dem Heimweg (in einer Woche verlädt er in Halifax). Wir erlebten Shelburne als verschlafenes Dörfchen, doch 1783 war es eine der grössten Gemeinden in Britisch Amerika mit 16'000 Einwohnern und New Yorker Adel, welche den freien Schwarzen (oder Black Loyalists wie sie genannt wurden) aus dem nahen Birchtown billige Arbeit anboten. Die befreiten Sklaven, welche für Grossbritannien gekämpft hatten und dafür Land in dieser Gegend zugesprochen bekamen, erlebten harte Winter und waren auf jede Art eines Auskommens angewiesen. Ungleiche Behandlung motivierte sie 1792 nach Sierra Leone auszuwandern. 15 Schiffe mit 1200 schwarzen Loyalists verliessen Nova Scotia und am Ende der Reise stand die Gründung von Freetown in West Afrika. Nach 1812 und auch 1890 kamen immer mehr Afroamerikaner aus den USA hierher und arbeiteten in den Kohleminen. 

 

Nach einer ruhigen Nacht am Hafen und glücklicherweise einer leeren grossen Petflasche als Pipibox (ist nicht so mein Ding mitten in einem Dorf zu stehen, auch wenn es in diesem Fall ein ruhiges, friedliches Plätzchen war), fuhren wir Richtung Osten zum Küstenanteil des Kejimkujik Nationalparks. Der Besuch des Kejimkujik Seaside Nationalparks gefiel uns sehr. Ein kleiner Spaziergang (6km hin und zurück) führt uns durch schönes Grasland und hinunter zu geschützten Buchten mit weissen Sandstränden und schönem Blick über die felsigen Inseln im türkis bis smaragdblauen, klaren Wasser. Wir setzen uns auf weisse Granitfelsen und beobachten die Wellen, Vögel und Seehunde. Eigentlich sind es zwei verschieden Arten Robben, die wir sehen, Seehunde (1.5m / 60kg, cremeweiss bis dunkelbraun und manchmal gefleckt) und Kegelrobben (2.5m / 300kg, grau bis schwarz gefärbt). Die Seehunde haben süssere Gesichter, Kegelrobben erinnern an Pferde die schwimmen, sie sind nicht nur grösser, sondern haben eine ganz anderer Kopfform, die an ein Pferd erinnert. Ein viel unscheinbarerer Zeitgenosse rennt unermüdlich dem Strand entlang, Regenpfeifer (Plover) haben hier ihr Brutrevier. Daher ist der längste der Sandstrände auch vom Zugang ausgeschlossen, umso schöner ist die Sicht auf diesen unberührten Abschnitt. Am Nachmittag kommen wir bei bestem Wetter in Mahone Bay an und bekommen die Schlüssel für unser Ferienhäuschen, auf welches wir uns schon so gefreut haben. Süsses Häuschen und für uns purer Luxus: vollwertige Küche, kleines Wohnzimmer mit Holzkamin, Schlafzimmer und Bad. Alles ist liebevoll eingerichtet und die landestypischen Gartenstühle auf der Holzterasse geben den Blick auf den grünen Garten und BBQ Gasgrill frei. Ach ja, WiFi gibt es auch. Markus geht zu Fuss zum Dorfladen und ich mach Wäsche, denn sogar einen Wäscheturm gibt's hier. Den Abend lassen wir bei einem Glas Wein, Rosmarin Kartoffeln, Salat und Fleisch vom Grill ausklingen. Das Städtchen Mahone Bay ist ein kleines Schmuckstück mit schönen Häusern, fotogenen Holzverandas, weissen Kirchen (für jede Glaubensrichtung eine eigene) und einem gelebten Sommergefühl. Wir verleben erholsame und gemütliche Tage in und um unser Ferienhäuschen herum. Blog schreiben, Lesen, Yoga, Film schauen und die Seele baumeln lassen vor dem Kamin. Der Blick ins Feuer ist so entspannend, die Wärme wohltuend und die ganze Stimmung einfach romantisch. Wir geniessen beide die Vorzüge der Wohnung und die kleine Auszeit vom Reisen. Spaziergänge ins Dorf und an den Hafen, sowie ein Besuch von Lunenburg komplettieren unseren Aufenthalt.

 

Lunenburg ist nur 20 Minuten von Mahone Bay entfernt und am Donnerstag ist Markt in der Mehrzweckhalle. So können wir den Besuch des UNESCO Weltkulturerbe Städtchens gleich noch mit einem Einkauf auf dem Farmers Market verbinden, wo auch die Ironworks Distillery ihre Produkte (Top: Bluenose Rum) zur freien Verkostung anbietet. Lunenburg selbst wurde 1753 von deutschen, schweizer und französischen Protestanten gegründet, lebte lange vom Fischfang, inzwischen mehr vom Tourismus, da das einheitlich erhalten gebliebene Städtchen 1995 den Weltkulturerbe Status bekam und dadurch berühmt wurde. Eben dieses komplette, fein herausgeputzte und unverfälschte Bild (mal abgesehen von den schief hängenden Oberleitungen) ist es, welches den Charme dieses Ortes ausmacht. Auch hier wohnten ursprünglich Arkadier und gründeten 1630 eine Ansiedlung unter dem Mi'kmaq Namen Merligueche. Nur ein einziges Haus aus dieser Zeit ist erhalten geblieben, der britischen Autorität waren die "foreign protestants", welche ab 1750 in die Gegend zogen, lieber. So änderten die Britten den Ortsnamen 1753 in Lunenburg, zu Ehren von King George II, welcher damals auch Duke of Braunschweig-Lüneburg war.

 

Unser Aufenthalt im Häuschen in Mahone Bay hat uns sehr gut gefallen und die Abreise ist uns nicht leicht gefallen, doch wir wollen in den verbleibenden Wochen Cape Breton erkunden und machen uns somit auf, entlang der Küstenstrasse nach Nordosten. Peggys Cove ist bekannt für seinen Leuchtturm, die Abgeschiedenheit der kleinen Fischereiansiedlung trotz Nähe zu Halifax sowie den nackten Fels auf welchem es gebaut ist. Auf dem Weg nach Peggys Cove kommt man auch am Swissair Flight 111 Memorial vorbei. An diesem wunderschönen Küstenabschnitt wird der 229 Opfer des Absturzes, der sich vor ziemlich genau 20 Jahren ereignete, und den Menschen aus Peggys Cove und Blandford gedacht, welche sich nicht nur an der Suche nach Überlebenden beteiligten, sondern den Angehörigen in dieser schweren Zeit zur Seite standen. Von hier aus gesehen, stehen die beiden Gemeinden und die Absturzstelle in einem Dreieck zueinander und dieses Dreieck wird auch in der Gestaltung der Gedenkstätte einbezogen. Die Opfer selbst wurden in Bayswater begraben. Wir finden die Gedenkstätte landschaftlich wunderschön und daher gut gewählt um Angehörigen und Besuchern im Allgemeinen die Möglichkeit der Ruhe und Reflektion zu bieten. Peggys Cove selbst ist ein süsses kleines Fischerdorf mit einem natürlichen, kleinen Hafen und etwas ausserhalb einem riesigen Parkplatz für Tour Busse. Zum Glück ist die Hauptsaison endgültig vorbei und es geniesst eine angenehme Anzahl Touristen das schöne Wetter, die Sicht auf die bunten Häuschen und den weissen Leuchtturm, welcher sich vom satten Blau des Himmels prima abhebt. Beim Hafen spielt ein Dudelsackbläser und wir geniessen einen Lobstersalat.

 

Die Weiterfahrt führt uns an Halifax und Dartmouth vorbei an einen abgelegenen Kiesparkplatz, etwas oberhalb eines recht verlassenen Strandes. Abgelegene Stellplätze sind der Küste entlang nicht leicht zu finden, aber wir verbringen eine gute Nacht und geniessen am Abend noch einen ausgedehnten Strandspaziergang, bevor das Wetter umschlägt. Auf unserer leider verregneten Weiterfahrt fahren wir durch Musquodoboit Harbour (nahe Lake Charlotte), wo wir in der Dobbit Bakery einen guten Kaffee und köstliche Zimtschnecken naschen, während uns der sympathische Besitzer mit Begeisterung über regionale Sehenswürdigkeiten informiert. Leider präsentiert sich der schöne Küstenabschnitt von Clam Harbour Provincial Park and Beach nur grau in grau. Auch hat die Brauerei mit angeschlossenem Restaurant in Sheet Harbour an einem Dienstag geschlossen, und die Rare Bird Brewery in Guysborough hat auch nur noch 10 Minuten geöffnet, als wir ankommen, was für eine Verkostung nicht mehr ausreicht. Kulinarisch würde einem hier sicher einiges geboten, aber während wir uns darüber freuen, dass die Nebensaison begonnen hat, zeigt sich auch, dass das touristische Angebot der Abnahme der Touristenanzahl nach den Sommermonaten angepasst wird. In der Nähe von Troy finden wir eine weitere Übernachtungsmöglichkeit in der Nähe des Ceilidh Trailhead. Auch dieser Ort in meinen Augen nicht ideal, aber die wenigen Einheimischen, die ihre Hunde noch spazieren führen, bleiben bei dem Nieselwetter auch nicht lange und so verleben wir auch hier eine ruhige Nacht. Es ist unsere erste Nacht auf Cape Breton, im Nordosten von Nova Scotia, mit Blick auf eine enge Stelle der St. Georges Bay am Golf of St. Lawrence und Aussicht auf Wetterbesserung in den kommenden Tagen.