Halifax und Heimreise

Wir verlassen Cape Breton, und das Wetter schwenkt ebenfalls um, Wolken ziehen auf und wir fahren bei starker Bewölkung der Ostseite des Cabot Trails entlang. Nach Ingonish reisst das Wetter aber wieder auf und taucht die Landschaft in dieses fast übernatürlich wirkende Licht, das es nur kurz nach heftigen Regenfällen gibt. Alle Farben wirken intensiver als normal und zaubern eine spezielle Stimmung über dem Meer und dem Grün des Küstenwaldes. Bei Baddeck machen wir Zwischenhalt und essen eine Kleinigkeit. Eigentlich fehlen mir auf meinem kulinarischen Zettel nur noch Crab Cakes und Haddock (Schellfisch). Dier hier verspeiste Scallops-Spiess (Jakobsmuscheln) schmeckte aber auch sehr gut. In Nyanza halten wir für einen anderen kulinarischen Zwischenstopp. Hier besuchten wir die Big Spruce Brauerei. Ich selbst bin ja kein ausgesprochener Bierliebhaber, finde die Verkostung aber dennoch sehr interessant. "Organic & locally" schreibt sich diese Kleinbrauerei ("on farm craft brewery and hop yard") auf die Fahne und wir werden nicht enttäuscht. Am Ende spazieren wir mit einem "Growler" mit "Hugs Bunny" sowie einer Flasche "Complexified" heraus. Das Complexified gefällt Markus speziell gut, da es sich um ein "organic barrel aged baltic porter" handelt, und wie folgt beschrieben wird: "Slow lagered and then aged for 6 months in Bourbon barrells, deeply bodied, robust tasting with a strong oak precence". Na dann: "Sláinte!" Wie es hier heisst. Auch das Hugs Bunny, ein leichtes Sommerbier, ist "unfiltered, unpasteurized and unbelievably good". Hier lerne ich nicht nur, dass nebst unterschiedlichem Alkoholgehalt auch Bezeichnungen wie IBU (Index Bitterness Unit) existieren... natürlich kann hier frei experimentiert werden, ungebunden von irgendwelchen deutschen Reinheitsgeboten. Am nächsten Tag fuhren wir teils in strömendem Regen nach Halifax. Positiv überrascht wurden wir aber von der guten Küche und moderaten Preisen im Henley House Pub (notabene mal wieder mit eigener Brauerei) in Sheet Harbour. Hier bekam ich dann ein vorzügliches Haddock im Bierteig und Markus war mit seinem auf erfrischend andere Art zubereiteten Hamburger auch sehr zufrieden. 

 

Nachdem Markus den Code korrekt eingegeben hatte, konnten wir unsere kleine AirBnB Wohnung in Dartmouth (auf der Ostseite des Naturhafens von Halifax gelegen) beziehen. Da es den Nachmittag über trocken geblieben war, konnte Markus die in einem Plastiksack festgezurrten Rucksäcke und Reisetaschen, Werkzeugbox und Ersatzreifen vom Dach von Baby Bobil holen während ich unsere Habseligkeiten, welche für die Verschiffung im Auto verbleiben konnten, von den oberen in die unteren Schränke umräumte. Zwei Stunden später, kurz vorm Eindunkeln war unser Baby Bobil reisefertig, Werkzeugbox und Ersatzreifen im Innern verstaut und alles blickleer verstaut. Dann aber kam die böse Überraschung: Wir nahmen unsere Reisetaschen aus dem Plastiksack und als ich diese öffnete, strömte mir ein unangenehmer Duft von nassem Keller entgegen. Brr! Da wurde trotz Regenschutz etwas nass und in den vergangenen Wochen haben wir die Taschen nicht mehr geöffnet. Zu meinem Schreck hatten unsere Taschen und Rucksäcke einen leichten Schimmelbefall, zum Glück aber nicht sehr ausgeprägt, genug jedoch, dass wir beide ziemlich unglücklich aus der Wäsche schauten. Sofort haben wir alles mit Seifenwasser ausgewaschen, dann mit dem restlichen Desinfektionsalkohol abgerieben und zum Trocknen in die kleine, gut gelüftete Kammer neben dem Schlafzimmer gehängt. Was für ein Glück, dass wir in dieser Wohnung so einen Abstellraum vorgefunden haben und dazu sogar noch einen Ventilator. Innerhalb von 48h ging der unangenehme Geruch soweit zurück, dass wir unsere Taschen bedenkenlos wieder Packen konnten. In der Schweiz reinigen wir die Gepäckstücke dann noch mit einem Spezialmittel von der Transa.

 

Grosser Tag, morgen sollten wir unser Baby Bobil am Hafen von Halifax abgeben, doch heute wollen wir gleich bei Türöffnung beim Agenten vorbei um alle Papiere zu erledigen. Doch was wir dann erleben ist wohl ein unerwartet positiver Abschluss unserer Reise. Keine Viertelstunde, nachdem wir beim Agenten vorgesprochen haben, halten wir alle benötigten Papiere in der Hand und zudem die Zusicherung, dass wir noch am selben Vormittag Baby Bobil beim Hafen abgeben können. Auf dem Weg zum Hafen fahren wir noch durch eine Self-Waschanlage und so können wir bei strahlendem Sonnenschein ebenfalls strahlend sauber am Hafen vorfahren. Auch hier hätten wir uns den Ablauf nicht besser wünschen können: Super professionell, super speditiv, super sympathisch und die Leute alle extrem freundlich. Keine Stunde später haben wir uns von unserem geliebten Bobilchen verabschiedet und spazieren mit einigen touristischen Tipps der Zollbeamten Richtung Stadtzentrum von Halifax. So gut wie unsere Reise vor über 11 Monaten in Montevideo begonnen hat, so gut endet sie hier in Halifax. Grossartig. Eine weitere Stunde später haben wir die Innenstadt und touristische Hafenmeile erreicht, wo wir uns ein gutes Mittagessen am Hafen gönnen (und nun kann ich auch die Crab Cakes von meiner Liste streichen - gute Sache, speziell wenn dazu ein köstlicher Salat serviert wird). Wir lassen unsere Reise durch Süd- und Nordamerika Revue passieren, glücklich um einen grossartigen Erfahrungsschatz reicher, aber auch etwas melancholisch, da hier zu sitzen ja auch das Ende dieser Reise bedeutet. Die Sonne scheint uns ins Gesicht, als wir mit der Personenfähre zurück nach Dartmouth fahren, um dort im Windschatten (der Wind wurde in den vergangenen zwei Tagen deutlich kälter) noch einen richtig leckeren Kaffee zu geniessen.

 

Den letzten Tag in Halifax verbringen wir mit klassischem Sightseeing. Mit der Personenfähre, welche in fussläufiger Distanz zu unserer Unterkunft abfährt, kreuzen wir wieder auf die andere Seite, zur Waterfront von Halifax. Diese Waterfront wird eben renoviert, bietet aber alles was eine Fussgängerzone am Wasser haben sollte. Sogar Hängematten stehen zum Relaxen bereit, man hat einen prima Blick über das bunte Treiben beim Kreuzfahrterminal und gleichzeitig rüber zur ruhigen, kleinen Georges Island. In der Nähe des Pier 21 kommen heute die Kreuzfahrtschiffe an, doch was Ellis Island in NY für die USA, war Pier 21 für Kanada. Hier kamen zwischen 1528 und 1971 über eine Million Immigranten an. Halifax hat heute rund 400'000 Einwohner und eine interessante Geschichte. Piraten, kämpfende Siedler und explodierende Schiffe sind nur einige der Eckpunkte. Seit 1749 wächst die Stadt, welche damals rund um die Barrington Street erbaut wurde, und entwickelt sich gut. Halifax wurde zu einer der wichtigsten Städte in Nova Scotia und zu einem der wichtigsten Häfen für das britische Empire. Im Krieg von 1812 wird es sogar zum Zentrum für Piraten, oder Privateer, wie sie hier genannt wurden. Der Schwarzmarkt blühte und es gelang kaum einer Stadt so gut unbeschadet von einer Privateer- zu einer Handelsstadt zu werden. Am 14 April 1912 erhalten 3 Schiffe aus Halifax den Hilferuf der unsinkbaren Titanic. Über 1500 Menschen kamen dabei ums Leben und wurden in Halifax beerdigt. Überlebende wurden hier aufgenommen. Die grösste Tragödie der Stadt, welche dank der strategischen Lage des Hafens bis dato nie angegriffen wurde, erlebte Halifax 1917. Ein französisches Munitionsschiff kollidiert im Hafen mit einem norwegischen Schiff. Da dies während des 1. Weltkrieges stattfand, war das Munitionsschiff nicht als solches gekennzeichnet (Angst vor Spionageangriffen). Dieses nicht gekennzeichnete Schiff brannte darauf 20 Minuten lang im Hafen, was Tausende von Schaulustigen anzog, Kinder in der ersten Reihe. Dann explodierte die Ladung und hernach lag das gesamte Stadtzentrum in Schutt und Asche. Die weltweit heftigste Explosion vor Hiroshima löste einen Tsunami aus, welcher auch Siedlungen der Mi'kmaq entlang der Küste zerstörte. 1900 Menschen kamen ums Leben und 9000 wurden verletzt. Im Maritim Museum gibt es unter anderem viele Informationen zur Explosion sowie dem Untergang der Titanic. An der Waterfront sind zu beiden und weiteren Themen Schautafeln aufgestellt.

 

Der ersten Europäer, welche an den Küsten Kanadas Fuss aufsetzten, war Viking Leif Erikson und seine Crew, ca. 1000 nach Chr., sie landeten in L'Anse aux Meadow auf Neufundland. 1864 wurde in Charlottetown (auf Prince Edward Island) der Grundstein fürs moderne Kanada gelegt und 1867 wurde der British North America Act in London unterzeichnet. Die Gründerstaaten waren Nova Scotia, New Brunswick, Prince Edward Island, Ontario und Quebec. Bis heute ist New Brunswick der einzige Staat, welcher offiziell zweisprachig ist (ansonsten ist es entweder englisch oder französisch) und Neufundland trat als letzter Staat , nämlich erst 1949 der Kanadischen Konföderation bei. Wir spazierten entlang der Barrington Street durchs historische Stadtzentrum und besuchten anschliessend die auf einem Hügel gelegene Halifax Citadel. In Sternenform angelegt, bietet sie schöne Ausblicke über die Stadt sowie interessante Führungen und Ausstellungen. So konnten wir auch einer Vorführung eines Kanonenschusses sowie zwei Musketen Schüssen beiwohnen. Spannend zu sehen, wie langsam das Nachladen geht und wie gut die alten historischen Waffen bei entsprechender Pflege und mit fundierter Kenntnis noch funktionieren . Das Fort "Citadel" ist die 4. Konstruktion an dieser Stelle und wurde 1856 fertiggestellt. Es verblieb bis 1906 Sitz der Britisch Royal Navy und ist heute ein Nationalmonument. Im Gegensatz zum gut und mehrfach gesicherten Hafen, sollte dieses Fort der Abwehr von Landangriffen dienen. Im Zweiten Weltkrieg, lange nachdem die Citadel ihre militärische Bedeutung infolge moderner Waffenentwicklung verloren hatte, diente die Citadel noch als Truppenquartier und Kaserne. Seit 1951 ist sie von "Parks Canada" verwaltet, weswegen wir hier mit unserem Nationalparkausweis auch gratis Zutritt hatten. Von den Mauern der Citadel sieht man hervorragend auf den Hafen und ich kann mir nun fast bildlich vorstellen, was ich über die Piraten (oder eben Privateer) in dieser Gegend gelesen habe. Peter Easton hatte 1602 als englischer Navigationsoffizier begonnen, doch als King James die Royal Navy ein Jahr später reduziert und Easton mit seinen Männern ohne Sold auf Neufundland verbleibt, nimmt er kurzerhand sein Schicksal selbst in die Hand. 1610 kommandierte er 40 Schiffe und 5000 Männer. Nachdem er genügend Geld erbeutet hatte, heiratete er in den Adel und setzte sich als Nobelmann "Marquis of Savoy" in Frankreich zur Ruhe. Auch Black Bart ist ein bekannter Name. Black Bart kleidete sich gerne wie ein Pirat, lehnte jedoch das Glückspiel und den Alkohol strickt ab und ermutigte seine Crew sogar zu beten. Es gab nie eine Meuterei gegen ihn, denn schon zu Lebzeiten galt als Legende. So kaperte er beispielsweise im Jahre 1720 mit nur 60 Mann 21 Handelsschiffe mit insgesamt 1200 Mann Besatzung. Halifax spielte bei dieser ganzen Piraterie eine ganz spezielle Rolle, denn die Regierung begann das Plündern quasi zu sponsern. Piraten wurden Privateers genannt und ab 1812 konnten sie ihre Beute in den Lagerhäusern der Halifax Waterfront sicher einlagern. Ganz in der Nähe des heutigen Casino steht noch heute das Privateers Warehouse.

 

In einem anderen historischen Gebäude von 1759 wollten wir Abendessen, doch dafür hätten wir schon Tage davor reservieren müssen: Press Gang Restaurant heisst die Empfehlung, die wir erhalten haben. Angeblich hat das Gebäude in welchem sich das Restaurant befindet die Explosion von Halifax überstanden und gilt somit als eines der ältesten Gebäude in Halifax. Die Atmosphäre des Restaurants wäre aber wohl ohnehin zu elegant und die Preise zu gehoben gewesen. Also machten wir uns auf in den Stadtteil North End und finden dort eine prima Alternative für das edle Lokal und geniessen im Chain Yard ein gutes, sehr frühes Abendessen. Hier gibt es nicht nur ein schönes, bohemien-style Lokal wo sich jung und junggeblieben wohlfühlt, sondern auch eine kleine aber gute Karte mit dem Motto "unchained kitchen". Ich geniesse mein auch fürs Auge schön angerichtetes Chowder und Markus seinen Burger. Dazu gibt es ein Flight mit 4 verschiedenen im Haus selbst hergestellter Cidres. Ich bin immer mehr begeistert von dieser Art Gastroszene, jung und voller Ideen und dennoch auf Qualität setzend, lokal und modern. "Drink more Apples" ist der Leitspruch der an der Wand prangert und all ihre Cidres sind zu 100% aus regionalen Äpfeln hergestellt. Mein Favorit heisst "Country Rose", ein mit lokalem Honig verblendeter Saft mit floralen und zitrus Noten. Markus tut sich derzeit an einem lokalen Bier gütlich und freut sich auf den Besuch der Compass Distillers ein paar Häuser weiter. Auch hier Inspiration pur. Die Produkte überzeugen, einige der Kreationen haben schon internationale Preise gewonnen und dabei haben sich hier einfach 3 ehemalige Schulfreunde zusammen getan und vor rund einem Jahr diese Destillerie gegründet. Der eine Besitzer schenkt uns das Flight aus, erklärt uns alles begeistert und lächelt auf die Frage, ob einer der drei einschlägige Gastronomie Erfahrung habe: Nein, zuerst war die Idee, dann die Firmengründung und erst dann haben sie die Fachkurse belegt. Wow - was für ein Erfolg! Tolle Sache und irgendwie inspirierend, denn die scheinen wirklich alles richtig zu machen, das volle Paket: Gutes Produkt und gutes Marketing, Zusammenarbeit mit der lokalen Tourismusbranche und internationale Preise absahnen um Bekanntheit über die eigenen Gebietsgrenzen hinaus zu erlangen. Uns schmeckte der "Gin Wild", "Aged Gin" (welcher sowohl Gin als auch Whisky Liebhaber anspricht) sowie der "First all Nova Scotia Gin" am besten und beim letztgenannten Produkt zeigt sich wieder: lokal kann auch international funktionieren, sofern es konsequent gemacht und kommuniziert wird.

 

Wir machten einen wunderbaren, stündigen Abendspaziergang über die Bucht überspannende Brücke und zurück nach Dartmouth in unsere Unterkunft, genossen die frische Luft und redeten davon, wie schön es wäre mit der gleichen Begeisterung an die Arbeit zu gehen, wie die drei Jungunternehmer, welche eine Idee hatten und sie mit viel Herzblut und Intelligenz erfolgreich zum Leben erweckten. Wäre doch toll, wenn wir die Begeisterung, die wir heute spürten, aber auch die Emotionen und positiven Erfahrungen unserer Reise irgendwie in unseren zukünftigen Job einfliessen lassen könnten. Nova Scotia und Halifax wird uns noch lange in guter Erinnerung bleiben und war wohl ein würdiger Abschluss unserer Nordamerika Reise. Jetzt geht's ab zum Flughafen und wir freuen uns auf ein Wiedersehen mit der guten alten Schweiz.