Die Geheimisse der Klippen von Joggins

An der selben Bucht, aber auf der gegenüberliegenden Seite des Nationalparks Fundy Bay finden sich die Klippen von Joggins. Hier waschen die unglaublichen Wassermassen 300 Millionen Jahre alte Geschichte frei. Die Joggins Fossil Cliffs sind UNESCO Weltkulturerbe und bieten derzeit die vollständigsten Einblicke ins Holzkohlezeitalter Karbon (100 MJ vor den Dinosauriern). Hier werde ich an einen Wissensbereich erinnert, den ich schon als Kind spannend fand. Natürlich hat man in den vergangenen Jahrzehnten viel dazugelernt und einige der Theorien revidieren müssen. Auch zukünftige Funde werden am Dogma der Evolutionstheorie rütteln und neue Erkenntnisse und Ansichten zu Tage fördern. Um die Zeitalter der Erdgeschichte und deren herausragendste Entwicklungen besser einordnen zu können, hier eine Zusammenfassung wie diese im Besucherzentrum präsentiert wurde:

  • Erdaltertum: vor rund 500 MJ entwickelt sich erstes Leben.
    • Die ersten fossilführenden Ablagerungen stammen aus dem Kambrium.
    • Im Ordovizium entstehen die ersten Fische und vor rund 444 MJ findet das erste, von bisher 5 grossen Massensterben statt. Die Kohlendioxid Konzentration war damals zehnmal höher als heute und die Atmosphäre viel wärmer. Eine rund 1 Million Jahre dauernde Kälteperiode wird als möglicher Auslöser für dieses Artensterben vermutet.
    • Im Silur entstehen erste Landpflanzen und Fische trauen sich zeitweise an Land.
    • Im Devon vor rund 400 MJ wachsen erste Bäume und Insekten (so auch bis 2 Meter lange Gliederfüssler) entdecken die trockenen Landmassen. Vor rund 375 MJ kommt es zum zweiten grossen (und bislang weitgehend unerklärlichen) Massensterben, wobei dies in erster Linie die Lebewesen im Meer und weit weniger die an Land betraf. Über 80% aller bis dahin existierenden Meerestierarten waren danach ausgestorben.
    • Dann folgte das Zeitalter des Karbon mit dem höchsten Sauerstoffgehalt in der Erdgeschichte. Das Karbon ist auch das Zeitalter des Superkontinents Pangea, Polarkappen aus Eis und Regenwald-Sümpfen am Äquator. Diese riesigen Sumpfgebiete bilden auch die Grundlage späterer Steinkohlebildung. Zwischen 360 und 290 MJ vor unserer Zeitrechnung kam es zu einer unglaublichen Diversifikation der Amphibien. Riesige fliegende Insekten erobern die Lüfte und erste Reptilien entstehen. Ein Meilenstein in der Evolution. Der massgeblichste Unterschied zwischen Amphibien und Reptilien liegt in der Art ihrer Eier: Amphibien legen weiche Eier im Wasser ab, Reptilieneier haben härtere Schalen und die Fortpflanzung ist somit auch auf trockenen Landmassen möglich.
    • Im Prem vor rund 280 MJ kommt es zu einer grossen Diversifikation der Reptilien, dann folgt vor rund 251 MJ das 3. und bisher grösste Artensterben auf unserem Planeten und beendet gleichzeitig das Erdaltertum. Die Fossilien beiderseits dieser Grenze unterscheiden sich massiv, die riesigen Seeskorpione und letzten Trilobiten sterben aus. Diesmal trifft es aber die Lebewesen im Meer und an Land gleichermassen, auch Insekten. Verschont bleiben interessanterweise die Landpflanzen. Da wegen eines sehr tiefen Meeresspiegels in dieser Zeit Epoche nur wenig sedimentäre Zeugnisse zu finden sind, ist es schwer Belege für die Gründe des Massensterbens zu finden, wodurch man davon ausgeht, dass sie in den extremen Klimaschwankungen dieser Zeit begründet liegen.  
  • Erdmittelalter:
    • Im Trias vor rund 240 MJ herrscht ein wüstenartiges Klima, die Kontinente beginnen auseinander zu driften und es entstehen die ersten Saurier, in kleinerem Masse auch die ersten Säugetiere. In den Meeren gedeihen Ammoniten, Knochenfische und Haie, sowie Fischsaurier.
    • Nach dem 4. grossen Artensterben vor 200 MJ beginnt das Zeitalter des Jura. Es ist das Zeitalter der grossen Dinosaurier, ersten fliegenden Reptilien und gegen Ende des Zeitalters auch ersten Vögel. Die Kontinente driften weiter auseinander, die Urkontinente Gondwana und Laurasia entstehen.
    • Das darauffolgende Kreidezeitalter wird durch erste Blüten tragende Pflanzen charakterisiert, wodurch auch Pollen sammelnde Insekten wie Bienen entstehen. Gegen Ende des Zeitalters vor rund 65 MJ haben die Kontinente annähernd unsere heutige Form und die Alpen beginnen sich auszubilden. Dann kommt es zum 5. und bisher kleinsten Massensterben (ausgelöst vermutlich durch den Asteroideneinschlag in Yukatan), welches das Zeitalter der Dinosaurier beendet. Zu den Überlebenden gehören die Säugetiere, aber auch die Vögel als direkte Nachfahren der Dinosaurier.
  • Erdneuzeit:
    • Im Tertiär zwischen 65 MJ und 1.5 MJ vor unserer Zeitrechnung entstehen die uns heute bekannten Gebirge sowie das Mittelmeer und es kommt zu einer Diversifikation der Säugetiere, welches auch die Wale beinhaltet.
    • Das Erd-Zeitalter Quartär dauert bis heute an, obwohl man dieses inzwischen auch gerne weiter unterteilt, um die Zeit des Homo Sapiens speziell hervorzuheben. Neuste Funde belegen, dass Menschentypen die unserem heutigen Aussehen sehr ähnlich sind, bereits vor rund 300'000 Jahren gelebt haben. Wie der Homo Sapiens die weitere Erdgeschichte beeinflussen wird, wird sich zeigen. Man spricht bereits von einem neuen Erdzeitalter, dem Anthropozän. Für 38% der Nettopflanzenproduktion der Biosphäre ist heute die menschliche Nutzung verantwortlich und das Kohlendioxid aus der Verbrennung von Gas, Öl und Kohle hat den Säuregrad des Meerwassers auf Werte gebraucht, wie es sie zuletzt im Erdaltertum gab. Auch die Erfindung des Kunstdüngers verändert die globalen Stickstoffkreisläufe so stark wie seit 2.5 Milliarden Jahren nicht mehr. So liegt die Vermutung nahe, dass der Mensch drauf und dran ist, das sechste grosse Massensterben auszulösen.

Wie bereits erwähnt, bieten die Joggins Fossil Cliffs derzeit die vollständigsten Einblicke ins Holzkohlezeitalter Karbon. An diesen 15km langen Kliffs kann quasi jeder Tourist zum Entdecker werden, die Fossilienfunde sind dann aber im angeschlossenen Forschungszentrum abzugeben und dürfen nicht mitgenommen werden. Bei Ebbe gibt es natürlich mehr zu entdecken als bei Flut und ganz allgemein darf nicht zu viel erwartet werden, die Ausmasse der einzelnen Funde sind eher klein. Man findet hier vor allem Abdrücke und andere Hinterlassenschaften und keine riesigen Knochen oder spektakuläre Skelette. Mit etwas Glück entdeckt man aber einen Fussabdruck eines Tetrapoden, Zeugnisse erster Reptilien sowie versteinerte Bäume. Die Tetrapoden die hier gefunden wurden gehören zu den ersten Landwirbeltieren, welche sich im Gegensatz zu Amphibien unabhängig vom Wasser fortpflanzen konnten. Am spannendsten für die Forscher ist die Tatsache, dass sie hier die Möglichkeit haben einen sehr kompletten Blick auf die Zeit Epoche des Karbon werfen zu können und nicht nur einzelne Stückchen davon finden. Ausserdem gibt es bisher nur wenige Fundstellen, welche Fossilien des Lebens an Land aus dieser Zeit Epoche abbilden. Somit können hier Forscher quasi die Lebewesen und ihre Umgebung gleichzeitig studieren, erforschen wie sie gelebt haben und wie sie starben. Dies liefert wertvolle Fakten, welche helfen die erdgeschichtliche Entwicklung besser zu verstehen.

 

Spannen für mich war die Tatsache, dass ein Fund, welcher hier gemacht wurde (die älteste bekannte Landschnecke) Darwin davon überzeugte, dass sich Kohle an Land gebildet hat. Nirgendwo sonst in den Kohleflözen dieser Welt sieht man Bäume so wie sie standen, verrottet in derselben Erdschicht wie der Fels (oft mit einem Kohlesaum). Die ersten Forscher zog es zur Fundstelle, da man hier stehende Baumfossilien finden konnte. Einer der berühmtesten Besucher der Klippen war Sir Charles Lyell (1797-1885), einer der Begründer der modernen Geologie. Lyell war ein Mentor, sowohl für Sir William Dawson als auch für Charles Darwin. Dann nahm die Geschichte ihren Lauf: Lyell nannte das Gebiet "Wald versteinerter Kohlenbäume" und kehrte 1852 mit Dawson zurück, um einen der bisher spektakulärsten Funde zu machen: Fossile Lebewesen in holen Bäumen. Hier fand man Unmengen vollständiger Skelette kleiner Tiere, aber auch ihre Nester. So entdeckte man hier auch Eier der ersten Reptilien, ein sensationeller Fund, denn sie sind nicht nur ein Beweis für die Evolution sondern markieren auch einen wichtigen Schritt in der Erdgeschichte. Diese Nester geben Hinweise auf die Weiterentwicklung von Amphibien Eiern zu Eiern von Reptilien, welche die benötigte Flüssigkeit für das neue Leben in ihrem Innern bewahren und erst dadurch die Fortpflanzung in trockener Umgebung und unabhängig von Wasser ermöglichen. Amnioten nennt man diese Tiere und es sind die ältesten bekannten Vorfahren von Dinosaurier sowie noch heute lebenden Tierarten wie Vögel, Krokodile, Schildkröten und Säugetieren. Ebenfalls in den Klippen von Joggins wurde das Tierchen "Rex" (Wissenschaftler erfinden manchmal seltsame Namen) gefunden, bzw. seine Fussabdrücke und einen Hüftknochen. Rex war das grösste Raubtier seiner Zeit, ein grosser Tetrapode, ähnlich dem heutigen Krokodil. Die spannenden Details dieser Klippen eröffnen sich natürlich erst auf den 2. Blick, und auch wenn man abfährt, fällt eher die hohe Klippe mit den gewaltigen Gezeitenunterschiede ins Auge als irgendwelche Geheimnisse, welche sich zwischen den Steinen verbergen.

 

Wir fahren weiter durch das fruchtbare Annapolis Valley. Nur ein sanfter Hügel trennt dieses Tal von den Fischerdörfern an der Bay of Fundy, Obstgärten und kleine Farmen finden sich verteilt in der breiten Talsenke. Die Fahrt zieht sich, Lust auf weiter Weigut-Besichtigungen haben wir nicht, machen uns aber eine mentale Notiz, mal einen lokalen Eiswein oder einen würzigen Muscat aus dem Grand Pré Weinanbaugebiet zu probieren. Kurz vor dem Eindämmern finden wir den kleinen Campground des Provinzialparks Valleyview und die rote um nicht zu sagen orangefarbene Haarpracht des Mannes welcher uns begrüsst bleibt mir wohl noch lange in Erinnerung. Seine Haare und ebenso sein roter Vollbart leuchteten geradezu im Dämmerlicht während seine grünen Augen aus dem mit Märzenflecken übersäten Gesicht funkelten. Ein Kobold wie man ihn sich vorstellt, aber äusserst hilfsbereit und freundlich. Wir sind definitiv in Nova Scotia angekommen.