Neuengland: Vermont, New Hampshire, Maine

Der Tag hat gut angefangen, aber am Ende stand wohl die längste Suche nach einem verfügbaren Übernachtungsplatz seit wir unterwegs sind. Das Adirondack Gebirge im Rücken nehmen wir die Fähre von Port Kent (New York State) nach Burlington (Vermont) und können die Überfahrt bei schönstem Sonnenschein geniessen, die Regentage scheinen hinter uns zu liegen. Der Lake Champlain erinnerte uns stark an den Bodensee, ein weiteres Zeichen, dass wir uns langsam aber sicher immer mehr auf Zuhause freuen. Sicher auch eine Erkenntnis dieser Nordamerika Reise ist, dass wir in der Schweiz nicht nur viele ebenso schöne Plätzchen haben, nein, diese liegen auch wesentlich näher beieinander. Wir können uns glücklich schätzen in einem so schönen Land wie der Schweiz zu leben, auch wenn die Täler nicht so breit, die Wälder nicht so gross und die unverbauten Flächen dazwischen bedeutend kleiner sind.

 

Der Interstate 89 folgend verlassen wir diesen bei Waterbury, um Richtung Stowe zu fahren. Stowe ist ein Winterskiort und wie bei uns haben sich entlang der Zufahrtsstrasse viele Geschäfte etabliert. So könnte man hier auch eine Factory Tour bei Ben & Jerry's buchen (dieser mittlerweile weltweit bekannte Glacé Hersteller kommt nämlich aus Vermont), doch nur rund 1km weiter Richtung Stowe machen wir unseren geplanten Halt beim "Cabot Visitor Center" und der Cabot Cheese Cooperative. 1919 haben sich die ersten Farmer der Region zusammengeschlossen und heute sind es 1000 Bauernfamilien, welche den Laden beliefern, und Käse herstellen. Hier darf man die diversen Käsesorten (alles Cheddar) verkosten und wir müssen zustimmen, dass dieser Käse nach Käse schmeckt und einige Sorten wirklich gut sind. Am Ende kaufen wir 4 verschiedene Sorten, darunter den "Alpine", mit leichter Swiss/Parmesan Note, gereift und recht nussig im Geschmack. Im Geschäft kann man auch weitere Delikatessen kaufen und ein Bier&Käse Führer bzw. Wein&Käse Führer gibt Auskunft über ideale Kombinationen und Rezepte. Die passenden Biersorten und Weine sind ebenfalls zu erwerben. Markus gönnt sich ein 4-er Pack eines regionalen Biers und ich nehme mit Cider (trüber Apfelsaft) und Hard Cider (der vergorene Most, uns als alkoholhaltiger Cider bekannt) vorlieb. Zudem kaufen wir noch lokalen Proscuitto und eine Flasche regionalen Weisswein (Lincoln Peak Vineyard - 2016), welche die International Cold Climate Wine Competition gewonnen hatte. Wir wussten noch nicht einmal, dass es sowas wie eine Cold Climate Wine Competition überhaupt gibt, doch der Wein schmeckte, wie wir später feststellen durften, wirklich gut. Gourmetmässig gut ausgestattet fuhren wir nun weiter nach Montpelier, der Hauptstadt Vermonts. Ein süsses, kleines Dörfchen mit einem Stadthaus aus lokalem Granit (leider wird die goldene Kuppel derzeit grad renoviert). Die Backsteinhäuser erinnern uns etwas an das Fabrikgelände in Kemptal in der Nähe von Winterthur, definitiv ein anderer Baustil als noch vor ein paar Tagen im Mittleren Westen. Die Hügellandschaft von Vermont ist zu 70% bewaldet und nebst Granitabbau und Holzwirtschaft spielt die Agrarwirtschaft (Milch, Äpfel und Maple Sirup) die grösste wirtschaftliche Rolle. Vermont ist mit knapp 25'000 km2 und 650'000 Einwohnern einer der kleinsten Staaten von Amerika und bald durchquert.

 

Der Nachbarstaat New Hampshire ist nicht viel grösser als Vermont, hat aber etwas mehr Einwohner (1.3 Mio.) und die Landschaft ist hügeliger und seenreicher. Wir steuern die dicht bewaldeten White Mountains im Norden des Staates an, doch wie touristisch dieses Gebiet ist, wird uns erst bewusst, als wir die vielen geparkten Autos entlang der Strasse und an den Ausgangspunkten von Wanderwegen entdecken. Viele Nadelbäume wurden hier in der Vergangenheit gefällt, mit der Folge, dass Birken, Ahorn und Pappeln nachwachsen konnten. Daher ist der White Mountain Nationalforest schon 1913 etabliert worden und bietet nebst 25 Campingplätzen auch 1800km Wanderwege (so auch einen Teilabschnitt des Apalachen Trails) und einige Scenic Routes, welche speziell während des Indian Summer traumhaft schöne Strecken für Auto- und Motorradfahrer sind. Leider sind derzeit erst wenige Blätter verfärbt, doch immerhin entdecken wir eine Elch Dame (Moose) und mehrere Truthähne. Meister Petz hält sich bedeckt, aber auf Infotafeln wird darauf hingewiesen, dass er hier in diesem Gebiet heimisch sei, dennoch grüsst die Abwesenheit von bärensicheren Abfalleimern. Wie unterschiedlich die Regeln und Massnahmen von Staat zu Staat doch sind. Und noch etwas scheint hier anders. Obwohl wir im National Forest sind, ist im Norden der White Mountains das dispersed Camping auf wenige markierte Plätze beschränkt und diese sind alle belegt. Genauso wie übrigens alle Plätze auf den umliegenden Campingplätzen. Zudem sind die Ranger hier nicht hilfsbereit sondern grinsen nur blöd, wenn man fragt, ob hier etwas Spezielles los sei. Nein, ist die Antwort, so ein Touristenaufkommen sei für die White Mountains an einem schönen Frühherbstwochenende absolut normal und man kreuze hier deshalb auch nicht ohne Reservation auf. Er hatte keinen Vorschlag für einen Übernachtungsplatz, doch dank I-Overlander fanden wir dann ganz im Süden der White Mountains doch noch einen verfügbaren und legalen Stellplatz im National Forest - hätten wir diesen Ort mal vor 3 Stunden angesteuert... hundemüde kriechen wir kurz nach Sonnenuntergang ins Bett. Wir haben gut geschlafen an unserem Plätzchen im Wald, bei einer Lichtung und in der Nähe eines Bächlein, das friedlich vor sich hin gurgelt. In der Nacht war es angenehm kühl, am Morgen noch etwas feucht, doch insgesamt erstaunlich mückenfrei. Einziger Wermutstropfen im ansonsten harmonischen Bild bilden die Schüsse, die wir in der Ferne hören und uns fragen, ob das Jäger sind oder was das soll. Wie wir dann der Kiesstrasse entlang zur Hauptstrasse fahren, kommen wir dem Rätsel auf die Spur. Auf einem Parkplatz am Waldrand geben zwei ältere Herren Übungsschüsse auf eine selbst gezimmerte Zielscheibe ab. Auch das gehört leider zu Amerika und ich hoffe einfach, dass sie treffen und kein Schuss daneben geht oder zum Querschläger wird.  

 

Wir queren die White Mountains auf dem Kancamagus Hwy (no 112) um bald darauf New Hampshire zu verlassen und Maine, den östlichsten Staat der USA, zu erreichen. Gleich nach der Staatsgrenze decken wir uns in einem Touristeninformationszentrum mit diversen Broschüren ein, erhalten von einem wie ein Bibliothekar wirkenden Mitarbeiter wertvolle Informationen und erfreuen uns in Bridgton an den wirklich schönen Holzhäusern mit herausgeputzten, klassischen Verandas und weissen Gartenzäunen. Das sieht alles sehr schmuck aus, und uns fällt auf, dass es der Tag des "Garage Sale" zu sein scheint. Jeder versucht an dem sonnigen Sonntag seinen Trödel zu verhökern und die Garage (Estrich oder Keller sind ja eher unbekannt) zu entrümpeln. Im Sebago Lake State Park bekommen wir noch einen Platz unweit des schönen Sandstrandes am See. Nicht billig, aber heute wollen wir wirklich nicht lange weitersuchen und akzeptieren die 39 USD, welche für einen Platz mit Grillstelle und Picknick Bänkli zu entrichten sind. Dafür gibt es gratis heisses Wasser aus der Dusche, eine überdachte Spüle sowie einen gedeckten Sitzplatz als Aufenthaltsraum sollte das Wetter ändern. Das überzeugendste Argument jedoch ist die Lage selbst. Bei herrlichem Sommerwetter lockt der Badesee, wir gehen schwimmen, und lesen danach bequem in den Strandstühlen sitzend die gesammelten Infos über Maine. Maine ist rund 91'000 km2 gross und in Portland, der grössten Stadt des Staates, leben rund 66'000 Einwohner. Die meisten der weiteren 1.3 Millionen Einwohner leben an der Küste. Das Hinterland ist geprägt von Hügeln und Seen, 80% ist bewaldet und durch den Nordwesten laufen die Ausläufer der Apalachen. Die Küste ist zerklüftet und hat unzählige kleine Inselchen, die an die Schäreninseln Norwegens erinnern sollen. Vorerst aber geniessen wir den Blick auf den tiefsten und zweit grössten See von Maine, den Sand unter den Füssen, den Spaziergang der langen Küste entlang und unseren kleinen kulinarischen Höhenflug. Wir verkosten die Delikatessen welche wir am Vortag eingekauft haben und ergänzen diese mit ein paar frischen Früchten. Der Weisswein schmeckt erstaunlich gut und wir haben das Gefühl Europa schon etwas näher zu sein.

 

Unsere Fahrt führt uns in den kommenden Tagen der Küste entlang. In Freeport legen wir unsere erste Pause ein und besuchen ein Urgestein des Amerikanischen Outdoor Ausstatters: L.L. Bean. Bei uns so gut wie unbekannt, in den USA jedoch ein Brand wie Coke, steht dieses Geschäft für Qualität und Kulanz. Um 1900 wurde L.L. Bean mit einem Spezialschuh für Fischer und Jäger bekannt, bis zum Knöchel aus Gummi gegen Feuchtigkeit und dann Leder. Leider hielt das Produkt nicht, was es versprach, da die Verbindung zwischen Leder und Gummi nicht dicht war. Die Reaktion des Geschäfts wurde zum Marketingschlager und machte es bekannt: Jedes Paar wurde zurückgenommen und durch ein verbessertes, dichtes, neue Paar ersetzt, notabene gratis. Die Urmodelle dieser Schuhe sind hier hinter Glas ausgestellt und die neuen im Regal sehen noch genauso aus und sind offensichtlich nach wie vor ein Verkaufsschlager. Ansonsten gibt's in diesem Laden viel Rustikales und eine kleine Auswahl dessen, was auch REI anbietet. Ohne was zu kaufen fahren wir weiter und besuchen den ersten "Finger", die erste von mehreren in die Bay of Maine hinausragender Halbinseln. An den meisten dieser Kaps gibt es Lobster Shaks, Fischereikooperationen welche die fangfrischen Tiere gleich zum Verzehr anbieten. Ganz einfache Bretterbuden mit dem Charme vergangener Tage urspürnlichen Lebens. Leider müssen wir feststellen, dass die Zufahrten zu den Kaps eher monoton sind. Dichter Wald verwehrt bis zum Kap jede Sicht auf die Küste und gibt nur ab und zu die Sicht auf weisse Bauernhöfe mit roten Scheunen bzw. verschiedene Ferien- und Wohnhäuser in typischer Holzbauweise (weiss gestrichene Holzbretter und grosszügige, überdachte Verandas) frei. In Five Island gibt's die Lobster Company (5km ab Georgetown) und hier wird die Delikatesse "Maine Lobster" fangfrisch in ihrer ursprünglichsten Form, direkt aus dem heissen Wasser, serviert.

 

Vor 200 Jahren hatte der Lobster (Hummer) noch nicht den Luxus Status von heute. Angeblich konnte man die Tiere an der Küste von Maine bei Ebbe quasi am Ufer einsammeln und so beschwerten sich die Gefängnisinsassen damals, dass es bis zu 3x in der Woche Hummer zu essen gab. Heute hat Hummer einen anderen kulinarischen Stellenwert und Hummer fischen ist auch mit mehr Arbeit verbunden. Auf dem Meer sieht man die unterschiedlich bemalten Boyen schwimmen, an deren Ende die Hummer Fangkästen bis zu 40 Meter tief vertäut liegen. Die Farbkombination ist im Staate Maine registriert und dient dem Wiedererkennungswert der Fischereirechte des jeweiligen Fischers. Rund 5000 Fischer sind in Maine registriert und fangen zusammen rund 90% des nationalen Bedarfs (ca. 50'000 Tonnen Hummer im Jahr). Trotz dieses hohen Fangvolumens gelten die Tiere als nicht bedroht und die Fangquoten bleiben (reguliert) von Jahr zu Jahr gleich hoch. Hummer ernähren sich von Schnecken, Muscheln und anderen Meerestieren, manchmal auch von Artgenossen. Um die erlaubte Fanggrösse zu erreichen müssen sie rund 7 Jahre lang futtern und erreichen dann ein Gewicht von rund 700g. In den 60-ern wurde ein ca. 75-80 jähriges Tier gefangen, welches über 12kg wog und 1907 einer mit gut 20kg - die Tochter des Fischers auf dem Foto neben dem Tier stehend ist noch jung, aber fast gleich gross wie der Hummer. Unheimlich schon fast diese Ausmasse und faszinierend zugleich. Fast ein Meter lang war das längste je gefangene Tier von Rumpf bis Schwanz, Schären nicht eingerechnet. Manchmal werden auch speziell gefärbte Tiere gefangen: rote, schwarze und blaue Tiere, aber auch Varianten dieser Farben, gefleckt, orange und gelb gerändert. Ganz selten gibt es sogar solche, welche in der Mitte die Farbe ändern, also beispielsweise gelb/blau gefärbt sind. Interessanterweise weisen solch rare Exemplare (ca. 1 von 50 Mio. Tieren) ein weiteres Phänomen auf: sie haben sowohl männliche als auch weibliche Geschlechtsorgane. Aber auch ein Durchschnittsexemplar ist an sich ein Unikum: Die Tiere welche sowohl Rechts- als auch Linkshänder sein können (grössere Scheren links bzw. rechts), können auch mal eine Schere abwerfen und über die Jahre wächst ihnen dann eine neue nach. Beim Hummer geht auch organisch alles drunter und drüber: Das Herz schlägt unter dem Rücken, die Zähne kauen im Magen, der After liegt hinter dem Mund und die Geschmacksnerven in den Antennenspitzen. Als männliches Bestattungsorgan dient ein Hinterleibs-Beinpaar und im Spätsommer übernehmen die Weibchen die Samenpakete, welches den Winter über in einer Samenblase verbleibt. Die Befruchtung und Eiablage findet erst im darauffolgenden Sommer statt, dann reifen die Eier erneut für fast ein Jahr am Hinterteil festgeklebt, bevor die Larven schlüpfen und für rund 2 Wochen im Wasser schwimmen. Von den vielen Tausend Eiern werden jedoch nur rund 1/10 eines Prozents das Larvenstadium überleben, sprich, nicht von Fressfeinden verspeist werden.

 

Erst nach drei Häutungen werden die Tiere zu Bodentieren. Solche Häutungen finden später rund alle 1-2 Jahre statt, wenn das wachsende Körpervolumen den Rücken aufspaltet und sie ihrem zu klein gewordenen Panzer entschlüpfen. So ein ungeschütztes Tier (nennt sich Soft Shell) versteckt sich dann während rund drei Wochen in Felsspalten des 5 - 20°C warmen Wassers, der neue Panzer ist erst nach 8 Wochen vollständig ausgehärtet. Männchen wechseln den Panzer häufiger als Weibchen, grundsätzlich je jünger, umso öfter (bis zu 25x in den ersten 5-7 Lebensjahren). Trotz des vorab erwähnten Organ-Kuddelmuddel dieser Tiere, leben sie schon seit über 1 Million Jahre auf unserem Planeten und ein einzelnes Exemplar kann gute 50, manchmal sogar 100 Jahre alt werden. Wissenschaftler wollen herausgefunden haben, dass die Tiere kaum altern und eine extrem gute Zellregeneration haben. Mit einem einzigen, kraftvollen Schlag des Schwanzes kann ein Hummer in einer Sekunde 7m nach hinten "abhauen", was einer Geschwindigkeit von 50km/h entspricht. Somit ist beim lebenden Tier nicht nur Achtung vor den kräftigen Scheren geboten, sondern auch vor Schlägen mit dem Schwanz. Lebende Tiere, egal welcher Farbe (ausnahme: Albinos) bekommen im gekochten Zustand alle die typisch rote Färbung, wegen eines karotinen Pigments. Das Kochen soll angeblich sehr schnell zum Tode führen, das lebende Tier wird hierzu kopfüber ins kochende Wasser geworfen und danach (bereits tot) bei reduzierter Hitze geköchelt: Ein Kilo Hummer braucht rund 22 Minuten um gar zu werden, kleinere Exemplare weniger lange. Man sucht sein Exemplar aus, zahlt und anschliessend wird das Tier gekocht. Traditionell wird hier das ganzes Tier mit flüssiger Butter zum Beträufeln des Fleisches und einem gekochten Maiskolben als Beilage serviert. Natürlich darf auch der Nussknacker nicht fehlen, sowie eine kleine Gabel zum Herauslösen des Fleisches.

 

So sassen wir also mit unserer Kurzanleitung vor so einem roten, toten Tier auf unseren Tellern und schauten uns leicht irritiert an. So fachmännisch als dies das Kurzstudium der Broschüre zuliess, öffneten wir den Panzer und begannen das Fleisch herauszulösen. Ich versuchte noch angestrengt nicht daran zu denken, was ich bisher über den Hauptbestandteil dieser Mahlzeit gelernt habe, während Markus sich bereits mit dem Nussknacker an einer Schere zu schaffen machte, die er vorhin vom Körper abgedreht hatte. Der Schwanz wird anschliessend vom Körper abgeknickt, die Flosse vom Schwanz gelöst und das Fleisch mit einer Gabel aus dem Panzer gedrückt. Natürlich kann man auch alles weisse Fleisch unter dem Rückenpanzer essen und die Beine aussaugen, doch uns schmeckte dieser Teil des Fleisches nicht so gut. Offensichtlich gehen hierbei, aber auch bei weiteren Themen wie Weibchen versus Männchen sowie Hard Shell versus Soft Shell die Meinungen der Gourmets weit auseinander. Hard Shell Tiere haben etwas mehr Fleisch, das Fleisch von Soft Shell Tieren soll hingegen süsser schmecken. Wir empfanden das Fleisch jedoch extrem geschmacksneutral. Den Rogen und das grüne "tomalley" haben wir nicht probiert, obwohl es einige (wenige) Gourmets gibt, die diese angeblichen Delikatessen gerne essen. Vom Butter mal abgesehen ist diese Fleischnahrung extrem gesund: sehr proteinhaltig, ein Liferant von Omega 3 Säuren und fettarm. Wir beide waren am Ende vielleicht nicht ganz so begeistert vom Lobster Schmaus wie wir anfänglich angenommen hatten, doch es war definitiv ein Erlebnis, und dazu noch viel preiswerter als in der Schweiz. Wir zahlten keine CHF 30.00 pro Mahlzeit und das spezielle Panorama am Fischerei Pier mit Blick aufs in der Sonne glitzernde Meer trug das seinige zur Gesamterfahrung bei.

 

Mit Gezeitenkalender in der Hand, machten wir uns dann auf den Weg zum nächsten "Finger", diesmal folgten wir der R209 nach Small Point Beach bzw. Hermit Island, angeblich einem der schönsten Campgrounds in Maine. Nun, wir bissen in den sauren Apfel und zahlten die knapp 50 USD für den Stellplatz, da wir keine Lust hatten noch lange nach einer Alternative zu suchen. Leider stimmte das Preis/Leistungsverhältnis gar nicht. Zwar durften wir den zuerst zugewiesenen, mückenverseuchten Platz am mangrovenartigen Ufer gegen ein etwas windigeres Plätzchen auf der Sandstrand Seite tauschen, aber in der kurzen Zeit als wir auf dem ersten Plätzchen nach einer ebenen Stelle für unseren Wagen suchten, wurde ich sicher 10x gestochen und zwar von grausam giftigen Viechern. Jeder Stich brannte, schwoll dann an und hinterliess am Ende von 48h einen entzündeten Pickel. Am Ende des Tages war die Bilanz folgendermassen: im Preis von 50 USD waren für beide je mindestens 25 Stiche (trotz Tropenkleidung und lokalem Mückenspray), eine schlechte sanitäre Einrichtung und ein kleines Naturparadies mit Sandstrand inbegriffen. Nun, wir machten das beste daraus und verbrachten den Nachmittag am Strand, wo nur wenige stechende Mücken und eine ebenso überschaubare Anzahl an beissenden Fliegen die Ruhe störten. Bei fast 30°C und schwülwarmer Luft war die leichte Briese eine angenehme Zugabe zum schönen Panorama und hielt die meisten Viecher auf Abstand.

 

Ein weiterer Tag und ein weiterer "Finger" wird erkundet. Auch hier gilt leider: das Meer sieht man nicht auf der Fahrt zum, sondern erst im Hafendorf am Kap. Die R27 führt uns nach Boothbay Harbor, wo es einen Spaziergang durchs Dorf sowie Kaffee und Kuchen gab. Die süssen Puffins (Papageientaucher) sind hier in den Kunsthandwerksläden omnipresent, doch um die lebendigen Exemplare zu sehen muss man Touren buchen, welche einem zu den vorgelagerten Inseln fahren, wo die wunderschön gefärbten Vögel leben. Wir jedoch erkunden die R130 und das Permaquit Kap bzw. den wunderschönen Leuchtturm am Permaquid Point. Das Kap gleicht einem Park und im Zentrum steht der Turm von 1827 sowie das Wärterhaus von 1857. Das erste Mal haben wir hier das Gefühl etwas von der Küstenromantik zu spüren, von welcher hier jeder spricht. Wir konnten den Turm besichtigen und haben im kleinen Museum allerlei Kurioses gelernt. So haben sich beispielsweise die Amerikaner lange gegen eine bereits weltweit in Gebrauch befindliche Leuchtfeuer Technologie gewehrt, nur weil sie französischen Ursprungs war. Erst als die Zahl der Schiffsunfälle vor den Küsten Amerikas unverhältnismässig gross wurde, entschloss man sich ab 1850 die sogenannten "Fresnel Linsen" zu bestellen. Diese Glas Prismas waren wie Vergrösserungsgläser geschliffen und ermöglichten den Lichtstrahlen (damals noch von Öllampen erzeugt) bis zu 30km weit sichtbar zu werden. Noch heute kann man bei diesem Leuchtturm die originale Forth Order Fresnel Lens (Forth Order ist die Grössenangabe und solche Linsen sind bis 20km weit zu sehen) von 1856 bewundern, welche noch heute in Gebrauch ist (allerdings wird heute elektrisch befeuert).

 

Wir genossen den Spaziergang über die zweifarbigen Felsen und anschliessend ein Picknick im Schatten einiger Bäume mit Blick auf die von Strandrosen gesäumte Felsküste. Ein wirklich schöner und erstaunlich ruhiger Ort. Am späten Nachmittag nehmen wir die 170km Fahrt bis nach Ellsworth unter die Räder. Hier ist mal wieder Walmart Camping angesagt, aber quasi am Eingangstor zum Acadia Nationalpark, den wir an den folgenden Tagen besuchen wollen.