Grand Teton

Früh morgens ist es grad mal 2°C warm und es zieht eine mystisch-neblige Stimmung über dem Fluss auf, die Sonne drückt durch den Nebel und die Bäume zaubern lange Schatten. Wir fahren entlang des Jackson Lake bis zum Colter Bay Village. Mit coffee-to-go in der Hand und Bärenspray am Gürtel machen wir uns auf einen ausgedehnten Spaziergang dem Seeufer entlang. Wie wir noch vor den eindringenden Massen am ruhigen Seeufer sitzen und die Morgenstimmung geniessen, bekommen wir ein Schauspiel der anderen Art zu sehen: Zwei Seeadler gleiten majestätisch über den See, einer davon sehr tief über uns hinweg. Dies jedoch scheint zwei kleine Vögel zu stören, die wohl dort brühten und wie Düsenflugzeuge steigen sie gen Himmel auf und attackieren den für die kleinen Vögel überdimensionierten Adler. Die zwei piesacken ihn so sehr, dass der Adler sogar 2x eine volle 360° Rolle fliegt und mit den Füssen nach den über ihm fliegenden Plagegeister zu greifen versucht, jedoch erfolglos aufgeben muss, während die zwei kleinen Vögel ihn weit über den See davonjagen. Dann kehren sie scheinbar zufrieden zum versteckten Nest zurück.

 

Wir fahren dem Snake River entlang, immer wieder mit schönen, aber wegen des Rauches in der Luft sehr diesigen Ausblicken auf die Schneeberge, die direkt aus dem Wasser zu wachsen scheinen. Vis à vis des Cunningham Cabin, welches schon zigfach in Öl, Wasserfarbe und auf Fotopapier verewigt wurde, zweigen wir in den Bridger-Teton National Forest ab und "stecken unseren Claim" mit zwei Stühlen und dem kleinen Wasserkanister ab, bevor wir weiter nach Jackson fahren. Dort kaufen wir ein, tanken und fahren zurück zum Camp, wo unsere Stühle schon auf uns warten. Mit Blick über das Tal und auf die Grand Teton Range verbringen wir den Nachmittag unter unserer Markise und kochen gemütlich ein feines Abendessen.  

 

Tags darauf stehen wir noch im Dunkeln auf und fahren in der Dämmerung los, um das erste Fährboot am Jenny Lake zu erwischen. Das erste Boot um 7 Uhr kostet nur 5 USD pro Person, später am Tag wird es viel teurer. Ausserdem sind jetzt noch nicht viele Wanderer unterwegs und so haben wir die ersten 8km der Cascade Canyon Wanderung quasi für uns, nur zwei andere Paare sind mit uns unterwegs und entgegen kommen nur die Wanderer, die die 30km lange 2-Tageswanderung mit Übernachtung machten. Unnötig zu sagen, dass wir keine Backcountry Permit mehr ergattern konnten, aber egal, wir geniessen die leichte Steigung und das schöne mal breitere, mal sehr schmale Tal, welches da noch ruhig und friedlich vor uns liegt. Und dann, nachdem wir bereits weit weg am gegenüberliegenden Hang einen Elch (Moose) erblickt haben, kamen wir zu einer wunderschönen und erstaunlich nahen Sichtung eines Elch Paares. Ein majestätischer Anblick wie die beiden friedlich im sanften Morgenlicht äsen. Einen Bären erblickten wir keinen, aber mehrere Pikas. Die sind einfach zu niedlich mit ihren Stupsnäschen, hasenähnlichen Gesichtchen und runden Mausöhrchen. Entgegen einem Murmeltier, macht das Pika keinen Winterschlaf und ernährt sich vom Heuvorrat, welches es den Sommer über anlegt.

 

Auf dem Rückweg kommen uns immer mehr Leute entgegen, eine richtige Ameisenstrasse und nach 16km sind wir froh das Seeufer wieder erreicht und nach der Überfahrt ein schönes Plätzchen am Ufer gefunden zu haben, wo wir bei prächtigem Wetter ein erfrischendes Bad im Bergsee nehmen können. Das frühe Aufstehen und die unbequemen Nächte "unten" im Baby Bobil (wegen der Bärenaktivität sind nur hard-sided RVs erlaubt und die Seitenwände unseres Klappdaches sind ja aus Zeltmaterial) fordern ihren Tribut. Wir ziehen uns für einen gemütlichen Nachmittag und friedlichen Abend an die Grassy Lake Road zurück. Leider sind im Camp 3 schon beide, den Fluss überblickende Standplätze belegt, aber Camp 5 ist noch frei. Zwar kein Blick auf einen dahinfliessenden Fluss, dafür umgeben von purer Natur, blühender Wiese und leichtem Baumbestand. Im Camp 5 gibt es nur einen Stellplatz, der dafür hat quasi ein privates Plumpsklo, einen privaten Picknicktisch und ist erst noch kostenlos. Uns gefällt die unendlich friedliche Stimmung und nur manchmal bläst der Wind ein wenig und wir können die Böen dabei beobachten, wie sie ein Eigenleben entwickeln und einen kleinen Teil des Grases bewegen, während sich gleich daneben kein Grashalm bewegt, dann wieder rauscht der Wind durch die Baumwipfel, aber auch hier immer extrem lokal und nur einzelne Wipfel bewegend. So friedlich wie es an diesem Ort ist, entschliessen wir uns länger zu bleiben, wir schlafen aus, lesen, planen, schreiben, geniessen das gemeinsame Kochen, etwas Yoga und die Geräusche und Gerüche des so herrlich milden Sommertages im Herzen der Natur.  

 

Am letzten Tag im Park stehen wir wieder sehr früh auf und wollen die Tatsache nutzen, dass sich der Rauch der Feuer aus Idaho und Kalifornien etwas verzogen hat. Und tatsächlich, die Bergkette der Grand Teton wirkt nun in der klaren und frischen Morgenluft viel plastischer als noch ein paar Tage davor. Der Snake River im Vordergrund gibt ein schönes Motiv ab und wir haben sowohl bei Oxbow Bend als auch Jackson Lake Overlook einen guten Blick. Obwohl diese Orte auch für Tiersichtungen optimal sein sollen, bleibt uns die Sichtung weiterer Grosstiere, eines Biebers oder Seeotters verwehrt. Dafür beobachten wir einen Schwarm weisser amerikanischer Pelikane, wie sie im Formationsflug über die ruhigen Gewässer ziehen.  

 

Zurück im Colter Bay Visitor Center besuchen wir die Ausstellung über die Handwerkstechniken der First Nations dieser Gegend. So lerne ich, dass man offensichtlich Leder mit Hirnflüssigkeit geschmeidig machen kann, wodurch die Häute über Jahrhunderte geschmeidig und biegsam bleiben und sich mit der Nadel besser bearbeiten und somit nähen lassen. Noch heute wird in der Kürschnerei diese Technik angewandt, da chemisch behandelte Häute oft schwierig zu verarbeiten sind. Wildleder wurde nicht nur soft verarbeitet, sondern zur Farbgebung auch geräuchert und konnte hernach zu Kleidung verarbeitet werden, genau wie ein Stück Stoff. Für Transporttaschen hingegen hat man das Leder nur abgeschabt und gestreckt, so behielt es seine steife, spröde Struktur. Schöpflöffel wurden aus Horn hergestellt. Wenn man Horn wässert und dann erhitzt wird es formbar und härtet mit dem Auskühlen in der neuen Form aus. Federkielstickerei war für Dekoration gebräuchlich, selbst nachdem Glasperlen verfügbar waren. Oft wurden dafür nicht Federn sondern Stacheln vom Stachelschwein verwendet. Man kann diese sammeln oder auch einzelne abziehen ohne dem Tier zu schaden, da es ein natürlicher Prozess ist, dass Tiere ihre Stacheln abwerfen und dann neue nachwachsen.

 

Wir nutzen unseren Aufenthalt in Colter Bay auch um unsere Wasservorräte aufzufüllen, zu Duschen und unsere E-Mails zu prüfen, denn - oh Wunder - im Souvenirladen gab es gratis W-Lan Empfang, aber natürlich wie im gesamten Park kein Mobilnetzempfang. Danach ging die Fahrt weiter, zurück zum Südeingang des Yellowstone, und am Seeufer des Yellowstone Lake entlang bis zum Ostausgang des Parks. Plötzlich wieder extrem heiss, die Sonne brennt und man glaubt kaum, dass es am Morgen früh nur 2°C warm war. Als wir Cody nach einer schönen Fahrt durch ein Tal, welches aus einem Westernfilm stammen könnte, erreichen, ist es 30 Grad wärmer. Einen Bären haben wir auf der ganzen mit unzähligen Warnschildern versehenen Strecke vom Yellowstone Lake bis zur Parkgrenze nicht gesehen, vermutlich ist es den Grizzlys ebenfalls zu heiss und sie bleiben im Schatten der Wälder. Den einzigen Schwarzbären, den wir bei der Ausfahrt aus dem Grand Teton Park gesehen hatten, tat uns fast leid, wie er mit gehetzt wirkendem Blick hinter mehreren Bäumen hervorgeschaut hat und sich kaum die Strasse mit der langen Autoschlange zu queren traute, wo jede Menge Kameras auf ihn gerichtet waren. Jeder Tourist will doch ein Bild vom Bären, am besten natürlich noch ein Selfie mit Bär. Bei dem teilweise absolut selbstmörderischen Fehlverhalten mancher Touristen muss man sich dann nicht über die vielen Verbotsschilder wundern und auch nicht, dass besonders neugierige Tiere zu Opportunisten und somit Problem Tieren werden. Bis zu 15 Tiere müssen jedes Jahr aus dem Ökosystem entfernt werden (getötet oder in Heime ausserhalb des Parks verfrachtet) und das nur, weil sie sich angewohnt haben, bei Menschen nach Futter zu schauen. Eine "positive" Erfahrung kann da ausreichen (z.B. eine unbeaufsichtigte Kühlerbox), um dem Tier beizubringen, sein Futter in Zukunft zuerst einmal in Menschennähe zu suchen. Dabei werden die Tiere immer aggressiver und gewaltbereiter, bis ein so genannter Problem Bär entstanden ist. In der Wildnis sieht die natürliche Ernährung des Bären anders aus: Im Frühjahr laben sie sich an Tierkadavern, welche den Winter nicht überlebt oder von Wölfen erlegt wurden, aber auch von Hirschkälbern, Würmern, Ameisen und Klee sowie anderen Gräsern. Im Sommer essen sie ausserdem Motten (bis zu 40'000 Motten an einem Sommertag), Beeren und Pilze sowie Fische und im Herbst kommen Samen und weitere Beeren, Insektennester und Wurzeln dazu. Im Winter schlafen die meisten Bären im Grand Teton / Yellowstone Gebiet und essen daher nichts.

 

Nun ist es Donnerstag Abend und wir sind in Cody angekommen und entscheiden uns zwar gegen das Night Rodeo, welches da seit 80 Jahren jeden Abend in den Sommermonaten stattfindet (arme Tiere, deren Hoden so lange gequetscht werden, bis sie bocken), wollen aber die regionale Spezialität - Rindfleisch - nicht missen. So wählen wir das Restaurant "Proud Cut Saloon" und wurden nicht enttäuscht: saftiges, gutes und zartes Fleisch, dazu Salat und gute Fries. Nach dem Essen zogen wir uns auf den Walmart Parkplatz zurück und konnten über Nacht mal endlich wieder das Dach hochklappen und bequem oben schlafen, ohne die Gefahr eines unerwarteten Bärenbesuches, dafür mit der schönen Erinnerung an friedliche Übernachtungsplätzchen im Grand Teton, eine schöne, an die gute alte Schweiz erinnernde Bergkulisse und Begegnungen mit Tieren wie dem Elch, den wir in der Schweiz definitiv nie zu Gesicht bekommen hätten.