Cody und Buffalo Bill

Nach einer guten Nacht auf dem ruhigen Parkplatz des Walmart in Cody watscheln wir schlaftrunken auf die Toilette des Supermarktes. Etwas woran ich mich einfach nicht so recht gewöhnen mag, auch wenn es hier offensichtlich das Normalste der Welt ist, was man auch an der Anzahl der anderen Fahrzeuge sehen kann, die ebenfalls die Nacht hier verbracht haben und an den anderen mit Zahnbürsten bewaffneten Menschen in der Toilette. Beim Rausgehen fällt mein Blick mal wieder auf die geparkten Rollstuhl-Einkaufswagen, nicht das ich diese seit der Ankunft in den USA zum ersten Mal gesehen hätte, aber zum ersten Mal mache ich einen Schnappschuss davon. Die Dinger sind weit verbreitet und wir haben schon Autos gesehen, welche genau solche Dinger hinten aufgeladen hatten. Sieht im ersten Moment komisch aus, vor allem wenn man die Personen anschaut, die diese Rollstuhl-Einkaufswagen in der Regel nutzen. Andererseits finde ich es gut, dass diese den älteren Mitmenschen hier in den Staaten auch mehr Mobilität und Selbstständigkeit ermöglichen. Nun, auch wir sind faul und so nutzen wir für die kurze Strecke vom Walmart zum Museum das Auto, irgendwie wird man in den Staaten träge.

 

Genau zur Türöffnung sind wir beim "Buffalo Bill Center of the West", einem ausgezeichneten Museum über den "Wilden Westen". Eigentlich sind es 5 Museen unter einem Dach und dafür sind USD 20 pro Person nicht zu viel. Wir bleiben den ganzen Tag und schauen uns die verschiedenen Ausstellungen mit unterschiedlich grossem Interesse an. Da gibt es das Western Art Museum, das Firearm Museum, das Natural History Museum, das Buffalo Bill Museum und das Plains Indian Museum.

 

Das Buffalo Bill Museum ist dem Gründer des Städtchens Cody gewidmet, einer kontroversen und schillernden Persönlichkeit des klassischen Wilden Westens. William F. "Buffalo Bill" Cody war zuerst und vor allem ein talentierter Reiter und mit den Pferden quasi verwachsen. 1846 geboren zog er mit seiner Familie "gen Westen". Sein Vater verstarb als er 10 Jahre alt war und somit begann für ihn der Ernst des Lebens und er begann zu arbeiten, um seine Familie über Wasser zu halten. Er begann seine Arbeit als Cowboy, wurde aber bald Wagenmeister und wechselte mit 14 Jahren zu einer Abteilung des Postdienstes, damals Pony Express genannt, wo er als berittener Kurier Eilpost kreuz und quer durch den Westen transportierte. Später trat er der Kavallerie bei und arbeitete als Scout und Guide. Leider blieben seine Finger nicht unblutig und er hat wohl über 4000 Bisons erlegt, mehrheitlich allerdings als Provision und Nahrung für Militärcamps und Eisenbahnkonstruktionscamps. Seine extreme Wendigkeit, Ausdauer, Geschwindigkeit sowie Präzision und Geschicklichkeit beim Jagen vom Pferderücken aus brachte ihm den legendären Namen "Buffalo Bill" ein. 1866 hatte Buffalo Bill geheiratet und von 4 Kindern erreichten zwei das Erwachsenenalter, eine Scheidung blieb nicht aus.

 

Über die Jahre wurden auch seine Lieblingspferde zu Ikonen: das wendige "Brigham" für die Bison Jagt, "Buckskin Joe" für seine Ausdauer und das Gespür für Gefahr und "Tall Bull" für seine Geschwindigkeit. Buffalo Bill war bekannt dafür, dass er dieses Pferd ohne Sattel und Zaumzeug ritt und dabei bis zu 8x hintereinander in vollem Galopp auf den Boden und gleich wieder auf den Rücken des Pferdes springen konnte. "Charlie" war dann das Pferd, das ihn bei der Eröffnung seiner Wild West Show 1883 als Co-Star diente. 1885 trat Annie Oakley der Show bei und die faszinierende Scharfschützin war mehr als nur der weibliche Star der Show, sie blieb der Show 15 Jahre lang treu und wurde international bekannt. Hier ein Auszug aus ihrer nicht uninteressanten Biographie: Annie Oakley

 

Während seines Lebens investiere Bill Cody in diverse Projekte, darunter Stadtgründungen und Ranching. Sein erfolgreichstes Projekt jedoch blieb seine Show, in welcher er den Wilden Westen in die Zivilisation trug. Erst in fortgeschrittenem Alter jedoch erkannte er den wahren Wert des Westens und setzte sich ab da nicht nur für die Rechte von Frauen und Indianern ein, sondern auch für den Naturschutz bzw. dem, was man damals darunter verstand. Eine Aussage von 1880: "The Indians have been badly used. They have their side of the story. For honesty and virtue, I think the Indians are ahead of the Whites. Where is the white man who would not fight if everything were taken away from him? I am dog-goned if I wouldn't. They were here first, and have a better right to be here than we have." Besser bekannt als für solche Aussagen, war Buffalo Bill für seinen Kleiderstil. Wildwestkleidung in Anlehnung an die Kleider eines Trappers, mit dazugehörigem, schulterlangem Haar, über die er selbst mal sagte, alle Scouts würden die Haare so tragen, da dies nicht nur natürlich sei, sondern auch ein Schutz gegen die Elemente. Seine Bekanntheit erreichte er jedoch nicht als Scout sondern als internationaler Superstar durch seine Show, welche sowohl in Amerika, als auch in Europa gastierte, eine Show bis dahin ohne Vergleich in Darstellung und Grösse. Auftritte in 2000 Orte in 15 Ländern von 1883 bis 1913.  "Buffalo Bills travelling Wild West Show" sprengte lange vor Rockstar Konzerten alle Vorstellungskraft: 500 - 800 Statisten, 600 Pferde, 2 Büffel, 50 Zugwagons mit Equipment und 20'000 Zuschauern in einem ausverkauften Stadion (und das zu einer Zeit, als NYC gerade mal 1.2 Millionen Einwohner hatte). Die Show gab an 195 Tagen im Jahr 300 Vorstellungen und reiste rund 16'000km weit. Interessanterweise waren die Tickets recht erschwinglich (was am Ende auch das Aus der Show bedeutete), gegen heutigen Geldwert gerechnet zahlte man dort rund 100 USD weniger als für einen regulären Platz an einem heutigen Rockkonzert. 30 Jahre Cowboys und Cowgirls, Scharfschützen, exotische Tiere, sowie Menschen, Visualisierung und Geräusche des Wilden Westens. 1887 gastierte die Show das erste Mal in Europa und sie traten auch zum Kronjubiläum der Queen Victoria auf, gaben sogar eine private Vorführung im Mai des selben Jahres im Windsor Castle. Anschliessend folgten öffentliche Vorstellungen und private Auftritte vor gekrönten Häuptern in ganz Europa. 1905 wollte Buffalo Bill zur Farwell Tour starten, doch die Show blieb seine einzige rentable Einnahmequelle bis die Show 1913, kurz vor dem ersten Weltkrieg, bankrott ging. 1917 starb William F. "Buffalo Bill" Cody im Alter von 71 auf seiner Ranch, doch sein Name ist und bleibt Programm.

 

Wir stärkten uns (ok, war wohl eher eine Vorspeise, da es nur Probierportionen gab) beim Chuck Wagon vor dem Eingang, wo es traditionelle Speisen vom Feuer gab, die normalerweise bei den Round-ups serviert werden: Dutch oven-biscuits, fire-roasted beans and camp coffee. Dabei lernten wir, dass über 90% der Fläche von Wyoming noch heute in staatlicher Hand ist und auch heute noch in langjährigen Weideverträgen verpachtet wird. So gibt es bis zum heutigen Tage klassische Roundups. In der Galerie waren schwarz/weiss Bilder und Kunstwerke in Öl zu bewundern, welche Bezug zur Landschaft dieser Region haben und in der Waffensammlung gab es alles vom klassischen Colt, der kunstvoll verzieren Winchester 1873 von Buffalo Bill bis zur Muskete der spanischen Eroberer. Die beiden interessantesten Museen waren jedoch die, welche den ursprünglichen Einwohnern und der Natur gewidmet waren.

 

Die Displays in der Ausstellung und die attraktiv gestalteten Erklärungen zum Leben der Plains Indians setzen sich wie ein Puzzle zusammen und ergaben einen guten Überblick über das traditionelle Leben vor der Ankunft der Siedler. Die Menschen der Prairie (Plains Indians) überlieferten ihre Geschichten wie alle First Nation mündlich, doch sie notierten, bzw. zeichneten wichtige Ereignisse auf sogenannte "Winter Counts". So ein Kunstwerk, welches auf einem Bisonfell verewigt ist, kann man bewundern und spiralförmig aus der Mitte heraus die wichtigsten Ereignisse von 1800 - 1871 herauslesen. Gerne vergisst man, dass Pferde an sich eine relativ neue Erscheinung in der indigenen Kultur waren, sie kamen erst im 17. Jahrhundert in die Plains und revolutionierten den Reise- und Jagd Stil. Für Jahrtausende waren Hunde die Jagt Gehilfen und transportierten Hab und Gut von bis 35kg auf Schlepptragen. Je nach geografischer Lage wurde die Jagt mit Ackerbau und Sammeln verbunden sowie Güter für den eigenen Clan und als Handelsgut hergestellt. Jeder Erwachsene, also nicht nur die Eltern, spielte bei der Kindererziehung und Ausbildung eine wichtige Rolle, aber speziell die Grosseltern kümmerten sich um den Nachwuchs und waren Quelle kulturellen und spirituellen Wissens, welches sie durch Instruktion, die Herstellung von Spielsachen (Miniaturen), Geschichten und Spiele weitergaben. Handwerkliche Arbeiten waren meist Frauensache, aber auch Möglichkeit des künstlerischen Ausdrucks, so zum Beispiel die Herstellung und Verzierung der Winter - und Sommer Mokassin. Die Winter Mokassin waren übrigens nicht nur wärmer gefüttert (und erinnern an UGGs) sondern auch resistenter gegen Schnee und Nässe. 

 

Auch die naturkundliche Abteilung war modern und informativ aufgebaut. Gefallen hat mir aber am meisten die beiden Vorträge über Greifvögel. Am Vormittag wurde Amelia, eine Kurzohr Eule, sowie ein Virginia Uhu vorgestellt. Ich verliebte mich sofort in den charismatischen Blick von Amelia. Sie ist etwa 43cm hoch, während der Uhu ca. 63cm gross ist, jedoch wegen seiner Masse viel grösser wirkt. Die vorgestellte Eule ist Tag- und Nachtaktiv, der Uhu hingegen Dämmerungsaktiv. Ich fand den Vortrag äusserst spannend und gut gemacht. Alle Vögel des Draper Museum sind in der Greater Yellowstone Area beheimatet, wurden aber durch Unfälle so verletzt, dass sie in der Wildnis keine Überlebenschance mehr hätten. Hier jedoch bekommen sie Futter und fachmännische Betreuung. Am Nachmittag wurden 4 weitere Greifvögel und deren Sonderfähigkeiten vorgestellt. So etwa lernten wir, dass der Magensaft des Truthahngeiers einen PH Wert von nahezu 0 hat und er diesen Magensaft, wenn es sein muss, mit erstaunlicher Präzision ausspucken kann (sind nun Geier mit Lamas bekannt...? ;-)). Auch wurde uns anschaulich die Geschwindigkeit eines Habichts und die Sehfähigkeit eines Falken demonstriert. Ich lernte ebenfalls, dass es genetisch einen Unterschied zwischen Fischadler (Osprey) und Adlern (Eagles) gibt und dass Adler sich manchmal in der Grösse der Fische verschätzen und von diesen unter Wasser gezogen werden können. Wenn die Adler dann nicht rechtzeitig loslassen, wird ihr Federkleid nass, saugt sich voll und im schlimmsten Fall ertrinken sie. Der Anblick dieser majestätischen Tiere faszinierte, ganz egal welche tollen Fähigkeiten sie haben mögen.

 

Im Verlaufe des frühen Abends, noch immer bei brütend heissen Temperaturen, machen wir uns auf die 50-minütige Fahrt von Cody nach Lovell, da hier die Gemeinde einen gratis Campingplatz mit Tischen, WC & Duschblock zur Verfügung stellt, sogar Abwasser und Frischwasserversorgung für RVs wird geboten. Wir geniessen die Dusche und die freundliche Geste dieses Dorfes. Wie wir später lernen, ist es nicht das einzige Dorf im Mittleren Norden, welches solche gratis Übernachtungsplätze anbietet. Sozusagen die moderne Form der Wild West Gastfreundschaft und definitiv eine gute Alternative zum Walmart Camping.