Badlands und ein Wiedersehen im Land der grossen Seen

Noch während wir vom Campingplatz des Wind Cave Nationalparks in den Black Hills fahren beginnt es zu regnen und dieser Regen wird uns nur mit kurzen Unterbrechungen die kommenden Tage begleiten. Eigentlich ist es das erste Mal seit wir in den USA sind, dass es einen vollen Tag lang regnet, und dann auch noch eine Schlechtwetterperiode über mehrere Tage hinweg. Die Natur hat es bitter nötig, es ist alles ausgedorrt und staubig trocken. In Rapid City kaufen wir noch schnell Wasser und Milch, tanken Bobilchen auf und fahren dann quer durch das Buffalo Gap National Grasland, welches uns im Regen leider nicht seine warmen Sommerfarben zeigen kann, dennoch aber eine Vorstellung davon gibt, wie die Gegend hier vor hundert Jahren noch ausgesehen haben muss, hohes Präriegrass weht im Wind.

 

Die Hügel der Badlands sind bald erreicht. In den Badlands ist nichts "bad" (schlecht), dieses Gebiet wurde aber von den umliegenden Farmern so getauft, weil hier das hohe Präriegrass unmittelbar durch einen Grabenbucht und staubige, jedoch wunderbar bunte Felsen unterbrochen wird. Somit war dieses Land für die Bauern bad, sie konnten hier schlecht anpflanzen oder ernten und erreichten die besten Weidegründe nur umständlich oder gar nicht. Wir biegen bei Scenic in die Kiesstrasse zum Sage Creek Camp, welches eine kostenlose Übernachtungsstelle innerhalb des Nationalparks anbietet. Eine schöne, hügelige Prärielandschaft umgibt die kleine Rundstrasse entlang welcher das Campen erlaubt ist. Als wir eintreffen brechen erste Sonnenstrahlen durch die dichte Wolkendecke, die letzten Tropfen fallen und schau an, aus den vielen Löchern in der Mitte der Rundstrasse gucken immer mehr neugierige, kleine Gesichter. Die Präriehunde waren mal über ganz Nordamerika verbreitet und sind wichtig für die ökologische Diversität der Prärie. Hier ist der Übernachtungsplatz rund um eine riesige Präriehundekolonie angelegt und so können wir den putzigen Tieren lange bei ihrem geschäftigen Treiben zusehen. Sie spielen, tollen herum und bessern ihre Bauten aus indem sie Erde aus ihren Erdhügeln tragen und diese oben auf dem Hügel durch ein energisches Herumgehopse (erinnert irgendwie entfernt an das unablässige Hopsen des Duracell Hasen) festdrücken. Dann wird Männchen gemacht, Warnpfiffe abgegeben und wenn ein Schatten am Himmel auftaucht, ducken sich alle oder verschwinden in den Erdlöchern, nur um kurz danach wieder aufzutauchen, Entwarnung zu geben und mit dem geschäftigen Treiben fortzufahren. Dazwischen spazieren gelb gefärbte, elsterngrosse Vögel herum und picken die Insekten auf, welche beim Ausbessern der Höhleneingänge ausgebuddelt wurden.

 

Am frühen Abend machen wir einen ausgedehnten Spaziergang über die Hügel und können in der Ferne unzählige Bison weiden sehen. Es ist wie ein Blick über ein Meer aus Gräsern, und die Badlands tauchen daraus auf, wie Inseln in der grossartigen Nordamerikanischen Prairie. Hier wachsen mehr als 60 endemische Gräser, eine Vielfalt, die man sich angesichts des weiten Grün/Gelb in der Ebene kaum vorstellen kann. Leider beginnt es noch vor dem Sonnenuntergang wieder zu regnen und regnet auch am frühen Morgen noch, als wir vom Platz fahren. So wirken die intensiven Farben weniger eindrücklich und die lebhaften Bänder von warmen Farben, welche sich mit dem Sonnenlicht verändern sollten, liegen tropfnass vor uns. Spitzchen, Wasserfurchen, Hügel und wilde Präriegraslandschaft treffen an der 75km langen Abbruchkante zwischen Prärieland und einem Gebiet stetiger Erosion aufeinander. Darüber ein Gewittersturm und Blitze. Man kann geradezu zuschauen, wie die Erosion wirkt und die Sedimente weggespült werden. Diese Erosion begann erst vor rund 500'000 Jahren und in weiteren 500'000 Jahren wird wohl alles weggespült sein. Die Sedimente fliessen in 3 kleine Flüsse, welche wiederum in den Missouri fliessen, welcher später in den Mississippi mündet. Irgendwann werden also die Türmchen und bunten Hügelchen der Badlands im Golf von Mexiko landen. Die Erosion schwemmt aber nicht nur Sand, Schlick und Tonerde weg, sondern legt auch immense Mengen von Fossilien unterschiedlicher Zeitepochen frei. Seit 150 Jahren werden hier kleinere und grössere Schätze der Erdgeschichte gehoben und analysiert. 1843 wurde der erste Schädel eines "unbekannten Biestes" gefunden und so startete ein richtiger Fossilien Boom. 2010 hat ein Mädchen auf einer Wanderung einen Schädel eines Säbelzahntigers gefunden und korrekt gemeldet. Seit 1939 (Gründungsjahr des Parks) ist es verboten die Fossilien einzusammeln.  Entdeckt man was, soll man ein Foto machen, das Fossil liegen lassen und es im Visitor Center mit genauen GPS Koordinaten melden. Die Experten im angegliederten Labor nehmen sich dann dem Fund professionell an. Wir finden keine Fossilien, sichten aber während eines kurzen Regenstopps 5 Bighorn Sheep Männchen, mit wunderschön gebogenen, massiven Hörnern. Stolz und schön wie unsere Steinböcke, präsentierten sie sich uns an der Abbruchkante der Badlands.

 

Via Cactus Flat erreichen wir die Interstate 90, und es beginnt erneut zu regnen. Bis Sioux City am östlichen Ende von South Dakota sind es knapp 600km. Dort biegen wir in die Interstate 29 und erreichen ein preiswertes, vorab gebuchtes Motel. Wir duschen, machen Wäsche und gehen hundemüde ins Bett, nur um festzustellen, dass wir irgendwo auf der Strecke mal wieder eine Stunde "verloren" haben. Erneut ein Zeitzonen Wechsel, jedoch ohne irgend ein Hinweisschild entlang der Interstate. Mich nimmt nur wunder, wie das die Amerikaner in der Region handhaben. Wenn da einer zur Arbeit pendelt, sich zu einem Vorstellungstermin zeitlich einfinden sollte oder sonst unterwegs ist? Am nächsten Morgen ist Frühstück im Preis inbegriffen, bzw. das was sich hier Frühstück nennt. Zumindest gibt es was Süsses zwischen die Zähne und dazu ein braunes, heisses Getränk, das irgendwie an Kaffee erinnert. Wir haben erneut rund 600km Strasse vor uns und Ziel ist Davenport. Wir queren den Staat Iowa auf der Interstate 80 und machen in Des Moines eine ausgedehnte Mittagspause. Wir suchen in einem Büchergeschäft eine brauchbare Strassenkarte für den Osten, werden aber nicht fündig und kaufen dann einen billigen Strassenatlas, welcher zumindest eine minimale Übersicht bietet in Ergänzung zu den (irgendwie detaillierteren) Karten, welche in den Autobahnraststätten erstaunlicherweise gratis aufliegen. Bei Victoria Secret gibt es grad eine Eintauschaktion (bringe einen alten BH und bekomme auf den neuen 10 USD Rabatt) und bei REI kaufen wir nochmals einen kleinen Wasserbehälter, da der alte bereits wieder einen kleinen Riss aufweist. Zu guter Letzt wollten wir noch bei "Penny" einkehren und einen "Sheldon Burger" bestellen, doch Penny arbeitet in dieser Cheesecake Factory anscheinend nicht ;-) und Sheldon Burger gibt es auf der Karte auch keinen. Der bestellte Burger schmeckte Markus trotzdem, auch meine Salatbowle sowie als Dessert natürlich der obligate Käsekuchen schmecken. Das erstaunliche ist und bleibt jedoch, dass wir für ein solches Mittagessen massiv weniger ausgeben, als wir für vergleichbare Lebensmittel im Supermarkt bezahlt hätten. Verrückte Welt.

 

Wir fuhren immer wieder durch Gewitterzellen und irgendwann auch am Geburtsort von John Wayne vorbei. Ein Lob haben wir für den landwirtschaftlich geprägten Staat Iowa: hier gibt es gratis Wifi, und das auf jeder Raststätte! Eine weitere Motel Nacht und entlang der Interstate 80 glaubt man sich in einem Geografie Spiel: Atlantik, Marseille, Peru heissen da die Ortschaften und irgendwann kommt auch noch der Geburtsort von Ronald Reagan. Es regnet weiter und zudem ist der Strassenzustand in Illinois recht desolat und dann krachts. Wir schauen uns an, woher kam dieses Geräusch? Dann erst entdecke ich den Steinschlag in der Frontscheibe, etwas vom Rückspiegel versteckt. Zum Glück weitet sich diese Beschädigung nicht aus und es bilden sich auch keine Risse. Wir holpern weiter über die Schlaglöcher und dilettantischen Ausbesserungen, welche an Geschwindigkeitsschwellen erinnern und erreichen dann die Umgebung von Chicago.  Noch vor dem Mittagsstau kommen wir um Chicago herum und somit nur kurz in den zweifelhaften Genuss von stockendem Verkehr. Hier heisst es dann auch das erste mal Strassenzoll zahlen, nicht viel, aber auch die Qualität des Strassenbelages ändert nicht. Die Staatsgrenze von Indiana ist erreicht und als sich die Interstate 80 mit der R131 kreuzt, fahren wir durch Michigan Richtung Norden nach Kalamazoo. Irgendwo wurde uns schon wieder eine Stunde "gestohlen" aber wir wundern uns nicht mehr, dass kein Informationsschild darauf aufmerksam macht, dass wir uns erneut in einer anderen Zeitzone befinden.

 

Molly und Dick leben in einem schönen Haus am Ende einer kleinen Halbinsel, welche in einen der vielen kleinen Seen hineinreicht, von welchem das ziemlich flache Michigan übersäht ist. Seit meinem letzten Besuch vor 17 Jahren hat sich nicht viel geändert, ein paar neue Häuser sind in der schönen Wohngegend entstanden, aber eine Klingel haben Molly und Dick noch immer nicht eingebaut. Auch das Haus abzuschliessen wird in dieser Gegend nicht als notwendig erachtet, wenn ein Einbrecher hinein wolle, werde wenigstens die Türe nicht beschädigt. Auch eine Philosophie, aber das Wiedersehen ist herzlich und schön. Molly ist kaum merklich älter geworden und im Verlaufe unseres Besuches ist mir plötzlich klargeworden, dass sie schon damals, als wir uns vor 20 Jahren in Barcelona in der Sprachschule trafen, nicht eine Mitvierzigerin war, sondern pensioniert. Dick hingegen, mittlerweile über 80, erholt sich nur langsam von einer komplizierten Schulteroperation. Als Philosophie Professor nutzt er nun die Zeit sich mit einem neuen Buch zu befassen, welches er als herausragend bezeichnet (After Finitude von Quentin Meillassoux). Zu Markus Leidwesen, hält er auch gerne mal eine Privatstunde nach dem Frühstück. Während Markus schon nach kurzer Zeit aufgibt der Konversation zu folgen und sich lieber mit Molly (die diesen Versuch schon vor Jahren aufgegeben hat) über ihre guten Pancakes unterhält, schwirrt mir nach über einer Stunde der Kopf, denn sowohl die philosophischen Fragen als auch das eloquente Fachenglisch bringen mich an meine Grenzen. Nichtsdestotrotz finde ich gewisse Ansätze und Fragestellungen interessant und versuche meine eigenen Überlegungen einzubringen. Das mir das am Ende das Kompliment einbringt, ich könnte eine von erfahrungsgemäss maximal 4 Studenten je Jahrgang sein, mit denen man arbeiten könne, überrascht, macht mich aber auch irgendwie glücklich, obwohl ich weiss, dass Philosophie vermutlich nicht ein Fach wäre, das ich studieren möchte.

 

Molly kocht nach wie vor gut und liebt es auf dem lokalen Farmers Market einzukaufen. Völlig untypisch für Amerika spazieren wir am frühen Morgen gemeinsam mit zwei Nachbarsfrauen etwa 40 Minuten in den Vorort, wo der Markt stattfindet und kommen dort auch mit den lokalen Produzenten ins Gespräch. Die Initiantin des Marktes ist sehr sympathisch und erklärt mir, dass es ihr ein Anliegen sei, dass die Produkte nicht nur lokal, sondern auch saisonal seien. Es gibt von Brot über Beerenlikör, Eier, Fleisch und Gemüse alles was man sich vorstellen kann, aber es darf nichts verkauft werden, was zugekauft wäre, alles muss selbst lokal hergestellt sein. Ich finde das toll, und auch, dass hier Ökologie und Nachhaltigkeit gelebt wird. So bringen die Leute die alten Eierkartons wieder mit, kommen mit eigenen Brotsäcken sowie wieder verwendbaren Tragetaschen und interessieren sich für die Haltung der Tiere genauso wie für die verantwortungsvolle Herstellung der Produkte. Unnötig zu erwähnen, dass die Preise für solche Qualität auf einem Niveau sind, welches das schweizerische übersteigt und daher für den Durchschnittsamerikaner wohl eher unattraktiv teuer sind. Nach einem leichten Frühstück mit Rührei und frischen Croissants geniessen wir den Nachmittag auf dem See. Molly lehnt sich bei Nachbarn zwei Kajaks für uns aus und überredet diese sich uns spontan anzuschliessen. So paddeln wir bei schönstem Wetter über den See, dessen Wasserpegel viel zu hoch war (hier fiel in den vergangenen Monaten der Regen, welcher im Westen gefehlt hatte). Eine schöne und gemütliche Angelegenheit mit gleichzeitiger Immobilienbesichtigung vom Wasser aus. Schöne Häuser mit noch schöneren Gärten, aber interessanter ist, dass an diesem sehr bebauten See dennoch viele Wasservögel und Reptilien leben und so sehen wir nicht nur elegante Reiher auf den grossen Seerosenblättern balancieren, sondern auch Wasserschildkröten, welche sich auf Ästen, knapp über dem Wasser sonnten. Abends kam Mollys Sohn Sean und seine Frau Heather vorbei. Sean hatte ich schon bei meinem letzten Besuch kennengelernt und Heather war uns ebenfalls sofort sympathisch.  Ein weiterer Abend in einem wirklich gastfreundlichen Haus, mit feinem Essen, toller Aussicht und guter Gesellschaft.

 

Den darauffolgenden Tag verbringen wir mit weiteren Stunden im Kajak und bei einem Woody Allen Theater Stück im "The Barn Theater". So unscheinbar dieses Theater in einer roten Scheune wirkte, es ging dieses Jahr in die 72 Spielsaison und hier traten schon Schauspieler wie Jennifer Garner (Golden Globe Winner) sowie Lauren Graham (The Gilmore Girls) auf. Die Produktion "Bullets over Broadway" kam ganz ohne heute bekannte Stars aus, bot aber humorvolle Unterhaltung auf gutem Niveau. Am letzten Tag zeigte uns Molly dann noch die Highlights der Umgebung und notabene den Lake Michigan. Erst gab es einen Stopp bei "Cranes Pie Pantry" einem Weinproduzenten und Bäcker in der Nähe von Fennville, mitten in einem der grossen Obstanbaugebiete. Der Obstkuchen schmeckte hervorragend und die Weinverkostung bewiess, dass sie in Michigan nicht nur Cider sondern auch einen guten Tischwein produzieren können. Die Kalorien konnten wir danach im Saugatuck Dunes State Park abtrainieren. Dort machten wir einen 10km langen Spaziergang durch leichten Wald, über Dünen und dem Lake Michigan entlang. Dieser See erschien uns wie ein Meer, Wellen, Sandstrand und einen unendlichen Horizont, unmöglich über den See nach Wisconsin zu sehen. Bei so einem Blick kann man auch ansatzweise verstehen, warum die Grossen Seen eines der grössten Frischwasserreservoirs der Welt bilden, mit annähernd 20% des weltweiten Süsswassers. Die Ortschaft Saugatuck selbst liegt am Kalamazoo River und ist ein süsser, kleiner Resort Ort mit Jachthafen und Strassenkaffees. In South Hafen, etwas weiter südlich, genossen wir zum Abschluss eine schöne Abendstimmung am Pier mit Blick zum Leuchtturm, welcher nicht am Rande eines Sees zu stehen schien, sondern wie am Meerufer gebaut wirkte. Herzlichen Dank, liebe Molly, für den schönen Aufenthalt bei Dir und Deiner Familie!