Montana

Wir fahren aus dem Glacier Nationalpark und nach Montana hinein. Eine schöne Gegend, ländlich und "einfach". Einfach sind die Menschen, ihr Gemüt und ihre Interessen. Am frühen Nachmittag erreichen wir den Ort Columbia Falls, wo wir "Highway Diesel" tanken, welchem 10% Biodiesel zugemischt wurde. Ob das Bobilchen gerne hat? Wie sich später herausstellt, wohl eher nicht und so fahren wir einige Tage später bei einem Mechaniker vor, der sich offensichtlich auch mit älteren Modellen auskennen soll und uns erklärt, dass das Husten und der schwarze Rauch von Bobilchen mit dem Diesel zusammenhänge, welcher in den USA nicht immer die beste Qualität habe. Dem Auto ginge es gut, aber wir sollen (mal wieder) eine Flasche Additiv (notabene über 60 USD) in den Tank leeren, um den Diesel zu klären und das System zu reinigen. Leider könne man nie so genau wissen, was man tanke, denn es scheint keine Vorschriften betreffend Reinigung der Tankanlagen oder ähnlichem zu geben und wenn zum Beispiel ein Laster tanke, dann gebe das eine Durchwälzung des Inhaltes der Tankanlage (selbiges auch, wenn grad der Tanklaster am Befüllen ist) und somit hat es dann noch weit mehr Ablagerungen und vielleicht sogar Wasser im Diesel als sonst schon. Ausserdem können alte Autos zwar fast alles "verdauen", aber die "Leistung könne massiv zusammenfallen". Daher sei regelmässiges Beigeben von Aditiven (sowohl in den Kraftstoff, als auch gelegentlich ins Öl) eine gute Lösung, vor allem, wenn man Zweifel habe am getankten Kraftstoff. Wenn möglich würde er auf Kraftstoff mit Beigabe von Biodiesel verzichten, doch dieser würde immer öfter vermischt und mache jüngeren Modellen auch weniger Probleme als älteren. Ach herrje, wir freuen uns darauf, wenn wir unser Bobilchen mal wieder im guten alten Europa betanken dürfen und sauberen, guten Kraftstoff erhalten, ohne noch einen halben Chemiekasten mitführen zu müssen. Diese Additive stinken auch wie ein halbes Chemielabor und ich bin mir sicher, das Zeug dürfte in Europa noch nicht mal verkauft, oder nur mit Giftschein ausgegeben werden, zumindest steht im Kleingedruckten etwas von krebserregenden Stoffen. Na prima.

 

Nach dem Tanken des fragwürdigen Kraftstoffes (von dem wir zu dem Zeitpunkt noch nicht wussten, dass Bobilchen husten muss) gingen wir Essen. In der Backslope Brewing Company gab es auf einer Sonnenterrasse gute Burger und für Markus gutes, lokales Bier, bzw. ein ganzes Flight (Holzbrett mit Verkostungsgrössen diverser Biere) voll. Um der strickten Alkoholgrenze genüge zu tun, fuhr ich anschliessend zu unserem Übernachtungsplatz bei der Blankenshipbridge im National Forest, wo es offiziell erlaubt ist, bis zu 3 Nächte kostenfrei am Flussufer zu nächtigen. Ein beliebter Ort, dennoch aber erstaunlich ruhig und sauber. Diesmal schlafen wir wieder mit aufgeklapptem Dach, geniessen vorher aber noch die Sonne am Kiesstrand und ein Bad im Fluss.

 

Heute führt uns unsere Fahrt durch Nordwest Montana, vorbei am Flathead Lake und durch den National Forest entlang der R83. Viele versteckte Seelen finden sich im hügeligen Wald und am grössten See, dem Swan Lake, gibt es jede Menge Ferienhäuser mit privaten Bootsstegen. Ist man aus dem Wald raus, präsentiert sich Montana als hügeliges Land mit Pferdekoppeln und Golfplätzen. Ausserhalb grösserer Dörfer gibt es oft eingezäunte Privatsiedlungen mit imposanten Eingangstoren und schön klingenden Namen, dazwischen viel Land und goldgelbes Grass. Die Häuser sind maximal zweistöckig, Farmhäuser liegen weit verstreut in den weiten Ebenen zwischen den bewaldeten Hügeln. Wo bewässert wird ist es intensiv grün, ansonsten ist alles in sanfte Erdfarben getaucht. In den Ansiedlungen finden sich Firmen für landwirtschaftliche Maschinen und jede Menge verschiedener Kirchen für die unterschiedlichsten Glaubensauslegungen, oft alle in einer Reihe nebeneinander an der Hauptstrasse. Missoula und Helena lassen wir links liegen und erreichen Butte in den frühen Abendstunden. Die Namen klingen nach und erinnern an das Buch, das ich eben zu Ende gelesen habe: "Pioneer Doctor" von Mari Grana. Es ist die Biographie einer der ersten Ärztinnen der USA, welche entgegen aller Konventionen als geschiedene Frau in Montana um 1890 arbeitete, dort Pionierarbeit in mehreren Bergbaugebieten leistete, Reformen im Gesundheitswesen erreichte und sich stark machte für die Frauenrechte. Um Butte herum sieht man auch heute noch die Zeugnisse des Bergbaus, aber auch grosse Gesteinsbrocken, rötliche Felsen, weites Weideland und bewaldete Hügel. Die Strasse windet sich entlang der ehemaligen Pfade der Indianer, die selben Wege, die später von Siedlern, Trappern und dann von Eisenbahn- und Strassenbauern genutzt wurden. Man kann sich fast nicht vorstellen, dass hier im Winter alles unter einer dicken Schneeschicht begraben sein soll.

 

Wir wählen den Walmart von Butte als Übernachtungsplatz und reihen uns irgendwo zwischen den verschiedenen RVs ein. Die einen sind riesig und modern (und lassen den Generator die ganze Nacht laufen), andere alt und wirken, als wenn sie schon ewig hier stehen würden. So sind auch die Leute unterschiedlich: von reisenden Rentnern bis Menschen, denen nur noch dieses Zuhause geblieben ist. Auffallend viele Car-Campers die bei umgeklappter Rückbank im Kofferraum schlafen. Irgendwie deprimiert dieses "arme Leute" campen auf dem Walmart, auch wenn man 24h Zugang zur Walmart Toilette und fliessend Wasser hat, man sieht den Leuten an, wenn sie vom Schicksal gezeichnet sind. Besonders berührend ist der Moment, den ich beim Einkauf im benachbarten DollarTree (alles für 1 USD) erlebe: Eine Mutter und ihr ca. 8-jähriger Sohn sind beim Einkaufen. Sie wirken beide wie zwei der Car-Camper, die wir vorhin gesehen haben, leicht schmuddeliges Aussehen und dennoch bemüht den Eindruck von Normalität zu waren. Sie hat zwei Dosen Essen gekauft und fragt den Sohn, ob er ein Süssgetränk oder doch lieber die Buntstifte für die Schule möchte. Die Buntstifte, das war für den Sohn ganz klar, die Schule geht ja bald wieder los und er war fasziniert, dass es da genau das Buntstifte Set gab, das er bei einem Klassenkameraden bewundert hatte. Mit dem Buntstifte Set für 1 USD in der Hand strahlte er über das ganze Gesicht und dankte seiner Mutter mehrmals. Am liebsten wäre ich hin und hätte gefragt, ob er denn noch was anderes für die Schule braucht, doch ich weiss nicht, ob das für die Mutter unangenehm gewesen wäre, Augenkontakt konnte ich mit ihr leider keinen herstellen. Armut und Freude über kleine Dinge habe ich selten so intensiv beobachten können. Bewegend. Irgendwie beunruhigend hingegen fand ich dann die Tatsache, dass ich den äusserst freundlichen Kassier, ein jüngerer, schlaksiger Mann dem ganz offensichtlich das Geld für einen Zahnarztbesuch fehlte,  kaum verstand. Er hatte einen so starken Akzent, das ich wirklich Mühe hatte, ihn zu verstehen. Markus verstand gar nichts mehr und so definierten wir, dass die in Montana nicht Englisch, sondern Montanisch sprechen, mindestens so anders wie Schweizerdeutsch und Hochdeutsch. Und es blieb nicht bei dieser einzigen komplexen Sprachbegegnung, egal ob Tankstelle oder Geschäft, hier spricht man Montanisch.

 

Recht früh fahren wir von Butte los und durch Südwest Montana, vorbei am Lewis & Clark Caverns State Park, Montanas erstem und bekanntestem State Park. Hier kann man übernachten und die grössten Kalksteinhöhlen (mit Säulen, Stalaktiten & Stalagmiten) des Nordwesten der USA besuchen. Das Schönste an der Gegend ist aber, dass sie so wenig besiedelt ist, so sehen wir auch von weitem die ersten Ponghorn, oder "Amerikanische Antilope". Dieser Übernahme ist jedoch irreführend, denn die Tiere sehen zwar aus wie Antilopen, haben aber sonst keine Gemeinsamkeit mit ihnen. Die Wolken hängen tief über den Bergkämmen links und rechts des weiten, mit goldenem Grass bewachsenen und von der Sonne beleuchteten U-Tales. Der Stil der nur selten auftauchenden Häuser wird immer alpiner, mit Steinfundament und Blockhaus Bauweise. Wirklich schön. Dann kommen wir nach Ennis, einem Wildwest Dorf wie aus dem Buche. Hier wird der Pioniergeist noch gelebt und entlang der Main Street stehen die traditionellen Häuser und erinnern an eine Filmkulisse. Auch hier sprechen sie Montanisch oder den "Hä?! - Dialekt". In einem Fly Fish Shop bewundern wir die Handwerkskunst der erstaunlich naturgetreuen, von Hand gearbeiteten Köder. Fliegenfischen ist hier schon fast Religion. Auf der Weiterfahrt entlang der R287 erblicken wir in der Ferne Schneeberge, und wir durchfahren auf knapp 2000 MüM sanfte Weiden, sehen kleine Seen, Flüsse, Blockhäuser und bewaldete Hügel. Wirklich ein schönes Land!

 

Dann kommen wir zum Westeingang des Yellowstone National Parks und erkundigen uns nach der Möglichkeit in den nächsten Tagen eine Backcountry Permit zum Wandern und Übernachten mit Zelt zu ergattern. Nach knapp 2 Stunden geben wir gefrustet auf. Die beiden Ranger (wobei einer mit seinen geschätzten 90 Jahren eher Dekoration als Hilfe war) gaben sich wirklich Mühe etwas zu finden, was verfügbar und gleichzeitig eine sinnvolle Rundwanderung ergeben würde. Leider kam aber nicht nur wegen des unbrauchbaren, hilflos veralteten, halb manuell, halb computerbasierenden Systems, sondern vor allem wegen der Hochsaison nichts Schlaues dabei raus. Alles belegt, reserviert oder trotz manuell eingetragener Verfügbarkeit dann im System doch nicht mehr buchbar. Zumindest wissen wir nun, dass man hier (entgegen des Yosemite Nationalparks) für eine Permit bezahlen muss und an definierte Camps in der Wildnis gebunden ist (also keine Flexibilität den Übernachtungsplatz unter Beachtung bestimmter Regeln selbst zu wählen). Ausserdem benutzt man hier je nach Gebiet den Bärenkanister, vorinstallierte Bärenboxen oder man muss lange Seile mitbringen, um an vorinstallierten, hochgelegten Stangen den ganzen Rucksack aufzuhängen. Im "Idealfall" findet man auf einer Route auch alle drei Varianten von Camps vor, und hat somit sowohl Bärenkanister als auch Seil mitzuführen. Ohne Bärenspray soll man sich ohnehin als Wanderer (auch auf den kurzen, befestigten Stegen zu den Aussichtspunkten) nicht im Park bewegen und gewisse Wandergebiete sind für Gruppen kleiner als 4 Personen ohnehin gesperrt. So unterschiedlich sind also die Systeme und Vorschriften von Park zu Park in den USA. Wir ziehen uns für die Nacht auf ein leicht bewaldetes Wiesenstück des BLM (Bureau of Land Management), ausserhalb der Parkgrenzen zurück. Ähnlich wie in den National Forest ist auch hier das "dispersed camping" kostenlos erlaubt. Bald merken wir, dass wir auf über 2000 MüM sind und es in der Nacht recht frisch werden kann. Da das Gebiet als Grizzly und Schwarzbär Territorium bekannt ist (die drehen ja nicht um, wenn die Nationalparkgrenze erreicht ist, sondern finden sich auch in den angrenzenden Gebieten) und uns die guten Ranger im InfoCenter brav Angst gemacht haben, schlafen wir mit heruntergeklapptem Dach und griffbereitem Bärenspray. Vermutlich völlig übertrieben, aber besser safe than sorry. Wir gehen mit der Sonne schlafen, denn am nächsten Morgen wollen wir sehr früh in den Nationalpark, um den Besuchermassen so gut als möglich auszuweichen und die Morgenstimmung zu geniessen.