Forestry Trunk Road, Waterton & Glacier Nationalpark

Wir haben eine gute Nacht auf dem Parking des Trailhead am Cat Creek verbracht, doch schon am frühen Morgen löst sich das Rätsel betreffend der vielen Pferdeäpfel auf dem Platz: Wir sind noch beim Frühstück, da fahren die ersten Pferdetrailer vor, aber nicht wie bei uns wo mal zwei Pferde nebeneinanderstehen, nein hier fahren ganze Ställe vor. Mindestens 4 Pferde, Sattelzeug und alles Drum und Dran, alles was man so für einen Ausritt in die Spielwiese von Calgary, der grössten Cowboy Stadt in Kanada brauchen könnte. Langsam füllt sich der Parkplatz, die Pferde werden gebürstet, gesattelt (logischerweise im Western Stil), mit Fischerrute oder Gewehr bepackt und dann geht es auf Familienausflug in die wunderschöne Natur, in der Regel begleitet von mindestens einem Hund. Wir indes installieren uns am Fluss, wo wir die Sonne geniessen und lesen. Doch als gegen Mittag immer mehr stechende Fliegen ihren Weg zu unserem schönen Plätzchen finden, fahren wir weiter der Forestry Trunk Road entlang, teilweise nun eine Kiesstrasse, aber allgemein gut ausgebaut.

 

Ob wir irgendwo noch eine Mountain Goat in ihrem schneeweisen Gewand entdecken? Bighorn Sheep, Elk, Moose und Coyote haben wir ja bereits sehen dürfen. Oder wie wäre es mit einem Puma, einem Wolf oder einem Wolferine? Nun diese Sichtungen wären wohl eher ein riesiger Glücksfall, aber ein Grizzly? Wäre toll einen zu sehen, aber doch lieber nicht bei unserem Nachtlager. Die Strasse führt fernab der Zivilisation durch teils bewaldete Landschaft und entlang eines Flusses. Wir suchen lange nach einer geeigneten Übernachtungsstelle, da es sich hier um ein Boondock Paradies handelt, sind die besten Plätze entlang der Strasse schon besetzt. Eigentlich eine ziemlich überfüllte Wildnis, zumindest der Strasse entlang, es scheint als wäre halb Calgary übers Wochenende hierher gefahren. Die Stadtcowboys bringen ihre rollenden Ställe mit und es scheint ein Gen zum Wagenburgenbauen zu geben: zumindest stellen alle ihre Trailer und Pick-ups im Kreis auf, wie man das von den Wildwest Wagenburgen aus den Filmen kennt. Doch nach einiger Zeit finden wir dann ein nettes Plätzchen oberhalb des Flusses, quasi ein sonniger Balkon von lichtem Wald umgeben. Hier verbringen wir einen schönen Restnachmittag, herrlichen Abend und gute Nacht. Beim Frühstück leistet uns ein Rehbock Gesellschaft, welcher völlig unbeirrt die frischen Sprösslinge von den Tannenzweigen in unserer unmittelbaren Umgebung zupft und verspeist.

 

Bei schönstem Sonnenschein kommen wir bald nach Coleman beim Crowsnest Pass, bekannt als historical Site, Ärcheologische Ausgrabungsstätte und auch mit einem Erdrutsch aufwartend, welcher an den Erdrutsch von Goldau erinnert. Hier rutschten 1903 82 Millionen Tonnen Gestein vom Turtl Mountain und begruben einen Teil der Bergbausiedlung "Frank" unter sich. Innert weniger Sekunden wurde 3 qkm2 des Crownest Tales verschüttet. Dieser Erdrutsch ist auch heute noch kaum bewachsen und daher sehr gut erkennbar. Wir fahren auf den Lost Lemon Campground, welcher seit 15 Jahren von einem nunmehr in den 50-ern befindlichen Schweizer Ehepaar geführt wird. Beide haben inzwischen auch den kanadischen Pass und sind hier heimisch geworden. Obwohl am Eingang "full" stand, haben sie für uns noch ein nettes Plätzchen, sogar mit Stromanschluss. Platz für Zelte hätten sie meist noch, doch die RV Plätze seien oft schon früh in der Saison ausgebucht und würden inzwischen halt viel mehr nachgefragt. Wir nutzen mal wieder unsere Sonnenstore, öffnen ein Fläschchen Wein und entschliessen uns für mehr als eine Nacht zu bleiben. Während unseres Aufenthaltes auf diesem verhälnismässig kleinen aber sehr gut organisierten und gewarteten Platz kommen wir immer wieder mit dem Besitzerpaar ins Gespräch, aber auch mit einem Pensionisten aus "Nufuland" (wie sich herausstellt, ist das die Aussprache für Neufundland, der Dialekt ist ohnehin nicht einfach zu verstehen). Er besucht seinen Sohn und Enkel, welche nun hier in Alberta leben, da in Neufundland kaum ein Auskommen möglich sei. Markus bekommt einen neuen Haarschnitt im örtlichen Frisörsalon (ziemlich sehr kurz), wir geniessen den Pool, aber noch mehr den kleinen Whirlpool und erledigen einige administrative Dinge per E-Mail, da es auf diesem Platz erstaunlicherweise WiFi gibt. So entschliessen wir uns Ende September zurück in die Schweiz zu reisen, Bobilchen ab Halifax zu verschiffen und passen unsere Flüge an. Wir haben hier aber auch gut Zeit etwas vor uns hin zu philosophieren, was wir denn nun so in Zukunft machen möchten, wenn wir von dieser Reise zurückgekehrt sind und über genügend finanzielle Mittel verfügen sollten:

  • SUP & Kajak interessiert uns beide, und ein reizvoller Gedanke ist es, einem Fluss von der Quelle bis zur Mündung zu folgen
  • Ich möchte gerne lernen, wie man ein Holzhaus baut, und zwar von A-Z, vom Fällen der Bäume bis zum Moment, wo man das Feuer im selbstgebauten Kamin des Log Cabin das erste mal anzündet
  • Mir kommt wieder in den Sinn, dass ich schon immer ein Buch schreiben wollte und wünschte mir dazu eine Auszeit irgendwo in einer warmen (nicht heissen) Gegend, zum Beispiel ein Frühling in der Provence, wo Markus dann gerne zum Markt spazieren würde, um für ein feines Essen einzukaufen
  • Fischen lernen, aber noch wichtiger, lernen wie man den Fisch zu einem leckeren Abendessen verarbeiten kann (aber die Tatsache, dass man den Fisch töten muss, hält uns bisher davon ab)
  • Wir freuen uns auf den Winter, Schneeschuhwandern und die Romantik einer Hütte geniessen, wenn drinnen das warme Feuer knackt und draussen die Flocken fallen
  • Eine Sprachschule besuchen, wir könnten gemeinsam Norwegisch lernen
  • Definitiv mehr fliegen, ich will wieder in die Luft
  • Ich möchte mich intensiver mit dem Thema Wein befassen, vielleicht einen professionellen Kurs dazu belegen
  • Tauchschein auffrischen und allenfalls Surfen ausprobieren (Sonja) oder wieder auf einem Segelschiff mitreisen würde uns beide ebenfalls interessieren
  • Weitwandern (für Markus definitiv die Transalpina) und die versteckten Schönheiten der Schweiz entdecken
  • Weiterhin die Fühler in fremde Länder und Regionen ausstrecken und wenn möglich mit Bobilchen bereisen 

Ideen hätten wir genug, nur wie finanzieren wir den Lebensunterhalt und solche Träume? Mal sehen ob es die tolle Stelle mit dem flexiblen Arbeitszeitmodell gibt, irgendwo wo wir in einem 80% Modell regulär 100% arbeiten und die 20% nicht als zusätzlicher Freitag in der Woche, sondern als zusätzlichen Jahresurlaub beziehen könnten. Wäre doch was, und dann auch noch eine Tätigkeit, die sich mit unseren Interessen und Fähigkeiten deckt, irgendwo muss es das doch geben. Zumindest kreisen unsere Gedanken das erste Mal auf dieser Reise um das "danach" und "die Zukunft".

 

Am nächsten Tag sind wir wieder im hier und jetzt. Um genau zu sein, auf der relativ kurzen Strecke zum Waterton Lakes Nationalpark, welcher mit dem Glacier Nationalpark der USA verbunden und so als Friendship Park bekannt ist. Das Wetter ist eher trüb und manchmal nieselt es leicht. Die Leute hier sind nicht unglücklich darüber, denn die lange Trockenheit macht ihnen langsam zu schaffen. Wie wir im Park ankommen, müssen wir sehen, was so eine Trockenheit anrichten kann: Grossteile des Parks sind wegen den Folgen eines Grossbrandes im vergangenen Herbst geschlossen. So kann weder der Red Rock Parkway noch der Akamina Parkway befahren werden und auch die meisten Wanderwege sind wegen der Gefahr von herunterstürzenden Ästen und umfallenden Bäumen geschlossen.  Leider gibt es derzeit auch keine Bisons zu sehen, da diese noch kurz bevor die Feuer ihre Weidegründe erreichten umgesiedelt wurden. Wir machen in dieser trostlosen Umgebung bei bewölktem Wetter einen Halt am von verhangenen Bergen umgebenen See und bekommen im Touristenbüro einen guten Hinweis für einen Übernachtungsplatz. Kurz vor der Grenze nach Amerika, noch auf Nationalparkgebiet und neben einem First Nation Reservat befindet sich der einfache Campground "Belly River". Schön gelegen an einem Fluss mit offenem Gelände und grosszügig abgetrennten Parzellen mit gutem Baumbestand. Wir finden noch einen Stellplatz, zahlen unsere Gebühr per Umschlag beim Eingang und werden dabei von einem neugierigen Fuchs beobachtet. Hier wird vor Bärenaktivität gewarnt und so darf nichts draussen rumliegen, noch nicht mal das Wasser. An unserem Plätzchen lässt sich dann auch die Abendsonne blicken und ich kann die Nationalparkzeitung lesen, während sich im Gebüsch zwei Streifenhörnchen zanken und darüber drei Kolibris schwirren.

 

In der Zeitung finde ich dann auch einen Artikel über das verheerende Feuer vom 30. August 2017. Es brach etwa 10 Kilometer vor der Parkgrenze aus, aber durch heisses Wetter, starke Winde und extreme Trockenheit breitete es sich schnell aus. Am 8. September wurde die Evakuierung angeordnet und am 11. September brannte es im Park lichterloh. Am Ende waren 38'000ha Wald sowie ein Grossteil der Infrastruktur im Park verbrannt. Am 3. Oktober war die Feuersbrunst unter Kontrolle und nun sind 38% der Parkfläche abgebrannt und 80% aller Trails und Strassen geschlossen. Normalerweise können grössere Tiere vor dem Feuer fliehen und kleinere verkriechen sich unter dem Boden, doch die Geschwindigkeit mit welcher sich das Feuer fortbewegt hat, war so schnell, dass viele Tiere im Feuer respektive wegen des Rauches umgekommen sind. Einer der Bisons jedoch überlebte in einem der vielen Teiche, während die anderen Tiere zu deren Schutze rechtzeitig in den Grassland Nationalpark in Saskatchewan umgesiedelt werden konnten. Unglaublich wie gut die Schäden auch noch nach fast einem Jahr sichtbar sind.

 

Tagsdrauf fahren wir über die Grenze, welche dem 49. Breitengrad entlang verläuft, der Grenzübertritt ist auch hier wieder problemlos. Der Grenzer gab sich allerdings formal streng und ich solle bitte schön nur mit ja und nein antworten. Es ging um die Frage, ob wir Bobilchen auch wieder ausführen würden und ich sagte nur "das hoffe ich doch". Natürlich bekräftigten wir unsere Aussage nach der Anweisung mit einem deutlichen JA, worauf der Grenzler aufzutauen schien und uns zuzwinkerte, er würde uns das Auto ansonsten auch gerne abkaufen . Überhaupt sind wir erstaunt wie gut unser 20jähriger Toyota Landcruiser hier ankommt. Oft werden wir auf Bobilchen angesprochen oder beobachten Leute, die mit unserem geparkten Auto ein Selfie machen, das Handy zücken und beim Vorbeifahren ein Foto schiessen oder einfach "Daumen hoch" Zeichen geben. Ich habe mir angewohnt, freundlich zu lächeln und zu winken, wenn jemand unser Auto fotografiert, da fühlt man sich ja schon fast als Promis. Wenn das so weitergeht, müssen wir für Bobilchen eine eigene (englische) Webseite kreieren und, wenn es auf einem Parkplatz abgestellt wird, eine Spendenbüchse an den Aussenspiegel hängen, worauf steht "be my friend: make a selfie with me, send it to me and it will be uploaded on my webpage" und "any donnation welcome that will keep me in shape". Naja, da haben Leute schon mit simpleren Ideen ihre weiteren Reisekosten gedeckt (und zugegeben, wir sind nicht so gut im Armbänder knüpfen).

 

Noch immer bei Wolkenverhangenem Himmel fahren wir die Strasse "Many Glacier", welche in den Glacier Nationalpark führt. Das schöne Panorama lässt sich nur erahnen, an einem Wasserfall warten Heerscharen von hungrigen Moskittos doch nur 1km weiter oben am See die friedliche Ruhe. Wir setzen uns an den See und langsam gewinnt die Sonne die Oberhand, so bekommen wir vom Bergpanorama zumindest etwas zu sehen. Wir vergleichen schon wieder mit der Schweiz, diesmal mit dem Klöntalersee. Doch was wir auf dem Spaziergang zurück zum Auto zu sehen bekommen, ist in der Schweiz undenkbar: Wir können fast 20 Minuten lange mit Tele und Feldstecher eine Grizzly Mutter mit 3 Jungtieren beobachten, wie sie in sicherem Abstand die Beerenfelder oben am Hang durchstreifen. 2 der Jungtiere scheinen schon etwas älter, vielleicht letztjährig, der Kleine der drollig hinterhertapst und nur aus dem Gebüsch gucken kann, wenn er hüpft oder auf einen umgefallenen Baumstamm klettert, ist jünger und besonders süss. Gerne hätte ich bessere Bilder gemacht, doch die Distanz, die Lichtverhältnisse und die dichte Vegetation verunmöglichen dies leider. Trotzallem wird uns dieser Moment definitiv als weiteren Höhepunkt unserer Amerikareise in Erinnerung bleiben, die Tiere in ihrer natürlichen Umgebung beobachten zu können ist einfach toll. Irgendwann entziehen sich die Bären unserem Blick und alle Teleobjektive, riesigen Ferngläser und Stative werden wieder eingeklappt. Ende der Vorstellung und so fahren wir auf den St. Mary Campground, wo wir unglaublicherweise den letzten Zeltplatz auf dem angeblich ausgebuchten Platz ergattern können.

 

Kein sonderlich schöner Platz, aber eine Bleibe mit Toilette und Frischwasser. Kurz nach dem späten Mittagessen verdunkelt sich der Himmel erneut, aus grau wurde schwarz und dann gelb. Hagel prasselte auf uns nieder und innert kürzester Zeit lag die ganze Landschaft unter einer weissen kalten Decke begraben und es war 15° kälter. So entscheiden wir uns, dem daneben liegenden Besucherzentrum einen Besuch abzustatten und etwas mehr über die hier ursprünglich beheimateten Bewohner zu lernen. Vor dem Visitor Center flattern 3 Fahnen: die der USA (50 Sterne repräsentieren 50 Staaten, 13 Streifen die 13 Kolonienen, welche sich ursprünglich von Grossbritanien abgespalten haben und dann die Gründerstaaten wurden), die Kanadische Flagge (da es sich beim Glacier & Waterton Nationalpark ja um einen länderübergreifenden Friendship/Peace Park handelt) sowie die Flagge der Blackfeet Nation, welche in diesem Gebiet beheimatet ist. Die auf ihrer Flagge repräsentierten Adlerfedern stehen für ein langes Leben, Energie, Kraft und Erfüllung. Alle Flaggen flattern auf gleicher Höhe, wobei es der der USA vorbehalten ist, ganz rechts zu wehen, danach folgen andere Länder in alphabetischer Reihenfolge.

 

Die Blackfeet (Pee-cun-nee / southern band of blackfeet) lebten im Gebiet der Rocky Mountains vom Yellowstone River bis zum Saskatchewan River, östlich des heutigen Glacier Nationalparks. Gemäss ihrer Überzeugung gehört ihnen das Gebiet östlich des Parks noch heute. Ihre mündlich überlieferte Geschichte ist der Kern dessen wer sie sind. Die Sprache wird als spirituell angesehen und beinhaltet keine Verben, um die Nomen zu bewegen, da diese wie die Erde in stetiger Bewegung sind (klingt nach einem komplexen Sprachkonzept). Nebst den Blackfeet werden auch die Kootenai vorgestellt. Sie lebten ein nomadisches Leben im Einklang mit den Jahreszeiten und bewanderten das Gebiet zwischen Lake Windermere in BC, Edmonton, Alberta und Yellowstone in Montana (wenn man das auf der Karte anschaut ist das ein riesiges Gebiet). Ein bestimmter Platz im Glacier Nationalpark in der Nähe des Lake McDonald ist ein angestammter Zeremonienplatz "place where we dance" wo auch heute noch jährliche Feiern stattfanden. Ebenso kommen die Salish und Qlispé zu Sprache, welche die Westseite des Glacier Nationalparks als Jäger und Sammler bewohnten. Einige ihrer mündlichen aber akkurat überlieferten Geschichten reichen zurück bis "in die Zeit als das Land von Eis bedeckt war". Die Kootenai wiederum sehen sich als letzte, aber nicht automatisch beste Schöpfung. Sie ordnen sich eher ein als die jüngsten Geschwister aller Geschöpfe und ermahnen sich dabei, sich gegenüber diesen anderen Geschöpfen wie gegenüber Ältesten zu verhalten, Älteste, von denen man lernt und die man respektiert. Sie haben drei Geschichtszeitalter (erinnert mich irgendwie an die Aborigines aus Australien): Die Zeit der Spiritualität, die Tierzeit und die Menschenzeit. Die Bewohner der Erde seien austauschbar und die Zeitlinie wird indes nicht als linear-sequentiell angesehen. Geister, Tiere und Menschen existieren gleichzeitig und miteinander, teilen Erlebnisse. Es gibt keine Hierarchie, die Menschen erheben sich nicht über den Rest der Schöpfung.

 

Ich mag die Fabeln und tiefgründigen Aussagen ihrer Tiergeschichten und so habe ich am Ende dieses Blog drei überlieferte Erzählungen angehängt (in englischer Sprache). Die Geschichten sind einfach, aber regen zum Denken an und eröffnen Zugang zu einer anderen Weltanschauung. Auch habe ich meine Leseliste zu diesem Thema erweitert, einige Bücher habe ich schon gelesen, andere sind vorgemerkt:

  • Ein Kinderbuch: "Takini - Lakota Boy alerts Sitting Bull": In 9 verschiedenen Kinderbüchern erzählt Kenneth Thomasma historisch fundierte, aber frei erfundene Geschichten von indianischen Kindern und lässt so die Kultur der jeweiligen First Nation wieder aufleben
  • Memoiren: "Wise Women": Erin Turner fasst in diesem Buch die Biografien verschiedener Frauen unterschiedlicher First Nations zusammen und erzählt, wie sie auf mutige und intelligente Art die Geschichte der USA beeinflusst haben, wobei es in diesem Buch um weit mehr als um die reale Geschichte von Pocahontas geht
  • Literatur: "The Wisdom of the Native Americans": Kent Nerburn stellt in diesem Buch eine Sammlung von Aussagen, Gedanken und Reden grosser Anführer verschiedener First Nations zusammen. Aussagen, die aktueller nicht sein könnten.

Die Aussagen der obenstehenden Anführer eröffnen ein neues Verständnis der Problematik des Aufeinandertreffens zweier völlig unterschiedlicher und dennoch hochentwickelter Kulturen, der kapitalistisch orientierten europäischen und der holistisch begründeten Kultur der First Nations. Ohiyesa kommt darin genauso zur Sprache wie bekannte und weniger bekannte Anführer der First Nations wie Chief Joseph, Chief Seattle oder Sitting Bull. Die Aussagen dieser sehr intelligenten und bedachten Menschen sind genauso interessant wie die Tatsache, dass die Konstitution der 5 Nationen (später waren es 6) schon lange vor Ankunft von Columbus in Kraft war und am Ende Benjamin Franklin auch noch als Model für die Artikel der Konföderation Pate stand. Hier ein paar zeitlose Zitate:

  • "All Things are connected. Whatever befalls the earth befalls the Children of the earth." (Chief Seattle / Suqwamish / 1786 - 1866)
  • "Let us put our minds together and see what kind of life we can make for our Children." (Sitting Bull / Teton Sioux / late 19th century)
  • "It does not require many words to speak the truth." (Chief Joseph / Nez Perce / 1840 - 1904)

Am Abend wollten wir dann einen der vielen vom Nationalpark angebotenen Ranger Talks besuchen. Leider fiel der 45-minütige Vortrag eines Member of the Blackfeet Tribe im wahrsten Sinne des Wortes ins Wasser. Es hat wieder angefangen in Strömen zu regnen und verstehe einer, warum Nationalparks ihre Vorträge in nicht überdachten Amphitheatern machen. Ich finde das Angebot solcher kostenloser Ranger Talks wirklich ein toller Beitrag der Parks und ein Dach dürfte doch echt nicht zu viel Aufwand bedeuten. Als es dann am späteren Abend etwas trockener wurde, kam doch noch eine Rangerin, welche einer in Regenkleidung und mit Regenschirm ausgestatteten Runde einen Vortrag über das Thema Gletscher hielt. In ihrem Vortrag ging es allerdings nicht um die gefrorenen Wassermassen, von denen der Glacier Nationalpark seinen Namen hat und von denen es hier nur noch kümmerliche Überreste gibt, sondern um die Zeugnisse ihrer Arbeit in der Landschaft. Das U-Tal ist uns allen bekannt, auch der Moränenhügel, aber hier gibt es noch ganz andere geologische Formationen wie das Horn oder steile Flanke. Wo Gletscher eine Bergspitze umfliessen, ergeben sich zahnartige Hörner oder es bleibt eine steile Flanke zwischen zwei ehemaligen Gletschern stehen, von unglaublichen Kräften geformt und fein geschliffen. Durch ihre Erzählungen bekam das Bergmassiv um uns herum eine ganz andere Dimension und man schaut die Formationen mit einem ganz neuen Blick an. Das Astronomie Programm um 22 Uhr fiel dann wiederum ins Wasser. Zwar regnete es nicht mehr, aber die Wolken hingen tief und der Himmel blieb bedeckt. Dabei wäre der Glacier Nationalpark einer der so genannten "Dark Sky Parks" in denen kaum Lichtverschmutzung herrscht.

 

Am Morgen machen wir gerne von den gebotenen Duschen gebrauch und kurze Zeit später klart auch der Himmel auf. Wir fahren auf die Going-to-the-Sun Passstrasse, aber schon während wir den Blick über die Wild Goose Island im St. Mary Lake geniessen fahren gefühlt 200 Autos an uns vorbei. Um 9.30 Uhr sind wir auf dem Pass, aber es ist aussichtslos hier einen Parkplatz zu bekommen und so fahren wir weiter. Die gesamte Passstrasse erinnerte uns an die Gotthardstrasse, wenn der Gotthardtunnel gesperrt ist und sich die Blechlawine über die landschaftlich schöne Passstrasse quält. Was hervorsticht ist wiederum das violett blühende Alpine Fireweed, eines der ersten Pflanzen, welches auf abgebranntem Boden wächst und diesen stabilisiert. Auch die Glacier Lily, eine hochalpine gelbe Blume welche offenbar gerne von Grizzly Bären genascht wird (nährstoffreich und wohlschmeckend), blüht an den Bergflanken. Kurz bevor wir den McDonald Lake erreichen, finden wir eine Parklücke am Strassenrand und gehen zu Fuss zum Fluss. An einigen Stellen erinnert dieser an die Töss bei Winterthur, an anderen an die Verzasca im Tessin. Wildblumenwiesen umranden die sanft ansteigenden Talhänge, weisses Bear Grass, roter Paintbrush und gelbe Columbine dominieren, doch am Schönsten finden wir die erstaunlich bunten Steine im Wasser und die Klarheit des Bergflusses.

 

Wir hätten an sich gerne ein paar ausgedehntere Wanderungen gemacht, doch die Menschenmassen schrecken uns ab, obwohl es hier in den Sommermonaten sogar einen Shuttlebus gibt, welcher wie unser Postauto verschiedene Trailheads verbindet, so dass auch Rundwanderungen möglich wären. Wir werden später oft auf den Glacier Nationalpark angesprochen: "oh mein Lieblingspark" oder "oh so schön". Erst in der Reflektion erkennen wir die wahre Schönheit dieses Parks, der uns bei der Durchfahrt wegen den Menschenmassen oder aber auch wegen der Ähnlichkeit zu den Landschaftsbildern der Schweiz nicht so speziell vorkommt. Aber hier liegt wohl genau der Grund: Die Ähnlichkeit mit den Landschaftsbildern der Schweiz macht ihn so reizvoll für alle, welche solche Landschaften nicht kennen, und so gewöhnlich für verwöhnte Menschen wie uns, die solche grossartigen Landschaften quasi vor der Haustüre haben. Dies sollte uns auch mal wieder vor Augen führen, wie schön die Schweiz ist und dass man nicht immer weit reisen muss: das Schöne liegt oft so nah.