Astoria und seine Flussmündung

Als wir aufwachen nieselt es noch immer und auch der Nebel hat sich noch nicht genug gelichtet, dass man vom Rastplatz auf der Washingtoner Seite rüber nach Astoria in Oregon sehen würde, zumindest aber lässt sich ein Teil der Brücke erkennen, auf welcher wir am Vorabend die breite Flussmündung des Columbia River überquert hatten. Als wir das Dach runterklappen sind schon über 50% der anderen Camper weitergefahren, die anderen öffnen langsam die Türen. Jede Menge schlaftrunkener Menschen in Pyjama spazieren zum Toilettenblock oder machen Fotos von der Brücke, die dank einiger Sonnenstrahlen durch die Wolken schön beleuchtet wird. Für einen kurzen Moment ist auch Astoria auf der anderen Seite zu erkennen und so fahren wir alsbald los um diesen, für amerikanische Verhältnisse, historischen Ort zu besuchen. 6 nicht unspektakuläre Kilometer sind es bis auf die andere Seite, wo wir links abbiegen und etwas ausserhalb beim Safeway (kostenlos) parken. Von dort gibt es einen schönen Spaziergang entlang des River Walk ins Zentrum der Ortschaft. Schöne Holzhäuser ziehen sich ähnlich wie in San Francisco über einen Hügel ins Hinterland und die Stadt öffnet sich zum Fluss hin, mit Blick auf die grosse Brücke. Uns gefallen die Holzhäuser sehr und erinnern uns irgendwie an Skandinavien. An der Hauptstrasse sticht das 1920 erbaute Liberty Theater ins Auge und auch der bimmelnde Riverfront Trolley hat seinen Charme aus vergangenen Zeiten erhalten.

 

Es ist grad Sonntagsmarkt und so bummeln wir entlang der rund 200 Stände mit frischen, lokal gewachsenen Produkten, Handarbeiten und Kunstgegenstände aller Art. Es scheint als wären hier alle kreativ, nichts wirkt zugekauft, aber authentisch und sympathisch. Bei den Essensständen probieren wir dann auch die lokale Spezialität "Crab-Leek-Chowder", eine wirklich gute, cremige Lauch-Krabben Suppe. Chowder ist hier wohl eine beliebte Mahlzeit und wird an vielen Orten, auch in Cafés angeboten. Nach einem Stadtbummel und Kaffee begeben wir uns zum Columbia River Maritime Museum. Nachdem wir gemeinsam einen 3D Film angeschaut haben, entscheidet sich Markus die Sonne mit Blick auf den Hafen zu geniessen und ich erkunde das Museum alleine. Es ist in verschiedene Abteilungen gegliedert und ich berichte Markus danach begeistert von den Informationen und Exponaten.

 

Astoria liegt an der Mündung des schnellfliessenden Columbia River, welcher riesige Mengen an Sedimenten mitträgt. Diese Sedimente werden durch die heftigen Gezeitenströmungen des Pazifik aufgestaut und so bilden sich im Mündungsgebiet bis 3 Meter hohe, geografisch stetig die Lage ändernde Unterwassersandbänke, sogenannte Sand Bars. Jedes Jahr werden Millionen von USD aufgewendet, um diese Sedimente abzutragen und eine Fahrrinne für Grosscontainer Schiffe im Columbia River, einer der wichtigsten Zugänge zum Binnenhafen Portland, freizuhalten. Die Sand Bars im Mündungsgebiet jedoch stellen eine ganz spezielle Herausforderung dar. Da sie durch Gezeiten und Strömung stetig die Lage ändern, können sie in Seefahrtskarten nicht verzeichnet werden. Somit gilt dieses Gebiet navigationstechnisch als eine der schwierigsten Durchfahrten weltweit und so gibt es hier nicht nur Hafenlotsen, sondern sogenannte River Pilots und die speziell ausgebildeten, erfahrenen Bar Pilots. Während die River Pilots die Schiffe sicher von Portland nach Astoria bringen, haben die jahrelang ausgebildeten Bar Pilots die spezielle Aufgabe, den Kapitän und sein Schiff sicher über die Sand Bars im Mündungsgebiet zu bringen. Auf offenem Wasser klettern diese Pilots bis zu 100 Meter lange Strickleitern vom Tenderboot auf die Containerschiffe hoch, bzw. müssen sich im letzten Teil hinunter abseilen und sich bei hohem Wellengang teilweise bis 10 Meter über dem Tenderbot von der Containerschiffwand abstossen und quasi runterspringen, damit sie nicht zwischen Tenderboot und Containerschiff geraten. Also nicht nur navigatorisch sondern auch körperlich ein Knochenjob. Sie helfen den Kapitänen aller Meere dieser Welt ihre Schiffe sicher durch die gefährliche Mündung und bis 5 Meilen hinauf aufs offene Meer zu geleiten. Zu den speziellen Konditionen der Sand Bars kommen auch noch die schlimmsten Wellenbedingungen der Welt. Die schnelle Strömung des Flusses, welcher wie das Wasser eines Gartenschlauches mit hohem Druck in den Pazifik fliesst, sowie die immensen Kräfte des Pazifik kollidieren in der Bar Zone. Diese aufeinanderprallenden Kräfte können unter Wintersturm Bedingungen, brechende Wellen von bis zu 12 Meter Höhe generieren. Grosse Cargo Schiffe wirken dann schnell wie kleine Spielzeugschiffe in der Badewanne. Dank Umsicht und Erfahrung von Experten ist es heute sicherer denn je heil durch die Mündung und durch die Bar Zone zu gelangen, aber das gesamte Mündungsgebiet ist ein riesiger Schiffsfriedhof.

 

Noch heue ist das Mündungsgebiet des Columbia River und die Küste davor ein Hotspot für Schiffsnotfälle. Daher nimmt sich hier eine weitere Spezialeinheit dem Problem an, die Rede ist von den Rettungsschwimmer und der Küstenwache (Coast Guard) mit ihren speziell an diese raue See angepassten Rettungsbooten (Lifeboat). So wundert es nicht, dass hier die besten und härtesten Schulen auf diesem Gebiet ansässig sind. Hier bietet sich die Möglichkeit aktiv zu trainieren, was im Klassenzimmer vermittelt wird. In der National Motor Lifeboat School (Washington) und der Rescue Swimmer School (Oregon) werden die besten in ihrem Fach ausgebildet. Grosse körperliche Fitness müssen alle Schwimmer in monatlichen Tests beweisen und dies unter härtesten Bedingungen (man denke dabei nur an die Kälte des Wassers in diesen Gewässern). Doch nebst fast unmenschlichen Kräften faszinierte mich das genau aufeinander abgestimmte Teamwork der Lifeboat Crew, welches in einem Schulungsfilm gut dargestellt wurde. Grossartig wie das Team bei einer Rettung zusammenarbeitet, während das Boot wie ein Korkzapfen fast senkrecht in einer 10 Meter Welle hängt.

 

Nebst den River Bars und der speziellen Wellensituation sind auch Fluten und massive Schneefälle im Einzugsgebiet des Flusses nicht unerheblich. Der Mount Baker hält einen Weltrekord mit 28 Meter Schnee in einer Saison und mit 467mm Regen innerhalb von 36h sichert sich der Mount Rainer Nationalpark ebenfalls einen Rekord. Beim Cape Disappointment nördlich der Mündung zählt man 106 Tage im Jahr mit dichtem Küstennebel, was diesen Ort zu einem der nebligsten der USA macht. Daher sind Leuchttürme entlang der Küste auch heute noch im Einsatz, genauso wie ein Leuchtschiff. Leuchtschiffe kommen überall da zum Einsatz, wo die Tiefe oder Konditionen den Bau eines Leuchtturmes verunmöglichen. So wies von 1892 - 1979 das heute zu besichtigende Leuchtschiff Columbia mit seinem Signalfeuer und Nebelhorn den Eingang zum Columbia River. Auf 40 Meter Länge wurde bis zu 12 Tonnen Essen, 50'000 Liter Süsswasser und 178'000 Liter Kraftstoff gebunkert, um so über mehrere Wochen hinweg autark zu sein.

 

In einer anderen Abteilung wird über den Pazifikkrieg während des 2. Weltkrieges berichtet. Obwohl ich die Abteilung nicht so spannend fand, war es schön zu sehen, dass offensichtlich in den letzten Jahren Schritte Richtung Aussöhnung und Aufarbeitung dieses Teils der Geschichte getan wurden. So wird berichtet, dass Japaner im Krieg spezielle Seidentücher dabei hatten, auf welchen ihre Familien und Freunde Glückwünsche notierten und der Hoffnung Ausdruck verliehen, dass ihre Angehörigen wieder heil nach Hause kommen. Amerikanische Soldaten haben diese Tücher als Trophäen von gefallenen Japanern gesammelt. 70 Jahre nach Kriegsende wurden nun aber viele dieser Tücher im Rahmen einer feierlichen Zeremonie von den Nachfahren der amerikanischen Soldaten an die Nachfahren der gefallenen Japaner übergeben.

 

Ebenfalls der Geschichte widmet sich eine andere Abteilung, der Geschichte Astorias als Fischfanggemeinde. So sieht man dort ein Bild eines Fischers mit seinem Rekordfang von 1936, einem 38kg schweren Chinook Salmon, der auf dem Bild so gross wie der Fischer selbst ist. Es werden verschiedene Fischmethoden für den Lachsfang erklärt, aber auch, dass bereits Anfang des 20. Jahrhunderts Überfischung, Holzabbau, Gift durch Minen in die Gewässer eingeleitet sowie allgemeine Umweltverschmutzung, übermässige Bewässerung und Schleusenbau dafür sorgten, dass der Ertrag aus dem Lachsfang zusammenbracht. In den 30ern überlebten somit nur wenige Konservenfabriken, für welche Astoria mal bekannt war, und auch nur, weil diese wenigen Betriebe auf Tunfisch Konserven umstiegen. 1880 waren es 1293 Fischer welche sich in der Gegend niedergelassen hatten, 91% der Bevölkerung waren Männer und nur grade mal 13% von ihnen waren in den Amerikanischen Staaten geboren. Die meisten von ihnen kamen aus Ländern am Nordatlantik, wo die Hering und Dorschfischerei wegen Überfischung zusammengebrochen war. So kamen Schotten, Neufundländer, Engländer, aber auch einige Österreicher, Italiener und Jugoslawen hierher, um ihr Glück zu versuchen. Mit Abstand die grössten Einwanderernationalitäten stellte jedoch Skandinavien. So wundert nun auch der sichtbare Einfluss auf die Holzbauweise der Häuser nicht mehr.

 

Nach dem Museumsbesuch begaben wir uns zum reservierten Camping. Es war keine Unterkunft unter 100 Franken zu finden, weder Motel noch B/B. So dachten wir, probieren wir mal einen KOA Campground aus, unserer Meinung nach noch immer viel zu teuer, dennoch die billigste, verfügbare Alternative in der Umgebung von Astoria. Sie versprachen eine Resort-artige Anlage, Strom und Wasser am Platz und gutes Wifi. Nun ja, zu unserer Enttäuschung stellte sich heraus, dass dieses Resort eher Strandbadi Atmosphäre verbreitete und das gute Wifi nur im Bereich von Pool und Rezeption akzeptabel war, und leider unseren Standplatz nicht erreichte. So schrieb ich ein paar Zeilen im Vorhäuschen der Rezeption und telefonierte vom Pool aus mit der Heimat. In den Pool mochte ich nicht springen, nicht nur weil er viel zu voll war, sondern vor allem, weil das Wetter zwar Sonne mit Wolken bescherte, aber auch einen wirklich unangenehm kalten Wind. Machen wir das beste daraus, ich schreibe Tagebuch in die Decke aus Ecuador gehüllt und Markus geniesst die im Preis inbegriffenen "Pancacks all you can eat".