Von der Wüste in die Wälder

Wenn man von der Nordseite des Grand Canyon auf die Südseite schaut, merkt man kaum, dass man sich 300 Meter höher befindet. Auch kann man die Distanz zur anderen Seite kaum erfassen, es sind sage und schreibe fast 25 Kilometer. So ist es auch nicht möglich, das Visitor Center oder die Touristen auf der anderen Seite zu sehen, doch, dass es fast 300km Fahrt sind, bis man vom Nord- zum Südende kommt, kann man sich erst recht nicht vorstellen. Die Fahrt bringt uns erst entlang der Vermillon Cliffs zurück über die Navajo Bridge (die letzte Brücke welche den Colorado River überspannt, bevor sich die Schlucht zum Grand Canyon weitet), wo wir das unglaubliche Grün des Flusses bestaunen, und dann beginnt sich die Strecke zu ziehen, Halbwüste links und rechts der Strasse. Erst kurz vor der Einfahrt zum Nationalpark auf der Südseite, tauchen erste Bäume auf und dann ein riesiger Parkplatz. Schon die Ausmasse dieser Parkfläche lässt einem erahnen, mit was für Besucherzahlen man hier täglich rechnet. Trotzallem ist die Sicht auf dieser Seite nicht minder beeindruckend, gewaltige Ausmasse und Weitsichten. Von der Südseite hat man einen besseren Überblick über den bis zu 30km breiten Canyon und weit unterhalb, bis 1.5km weiter unten, fliesst bzw. schimmert der Colorado River. Unweit des Grand View Points, Standort der ersten touristischen Lodge am Grand Canyon, zweigt eine Stichstrasse ab, welcher wir folgen. Der Forstweg führt nach 5km aus dem Nationalpark heraus und in den Kaibab National Forest hinein. Hier haben bereits einige ein Plätzchen mit Klappstühlen markiert und wir machen dies nach. Noch schnell die Lage im Maps-me markieren, damit man sein Plätzchen auch nach Sonnenuntergang noch findet, und dann machen wir uns auf zum heutigen Visitor Center im Canyon Village. Von dort ist es nicht weit bis zum Mather Point, wo wir uns mit Arizona Eistee (Wein darf man in der Öffentlichkeit ja eh nicht trinken) und dem was Amerikaner unter Tapas verstehen hinbegeben um den Sonnenuntergang zu bewundern. Doch wir nehmen unser Picknick mit gutem Abstand zur Abbruchkante ein, denn eben versuchen sich 3 Bussladungen Touristen auf die kleine Aussichtsplattform zu quetschen. Wir hingegen entschliessen uns für einen Abendspaziergang dem Canyon entlang und stellen den Wecker, damit wir dafür den Sonnenaufgang vom Grandview Point aus bewundern können. Am nächsten Morgen klingelt der Wecker früh und in der Dämmerung huscht ein Kojote vorbei, auch ein Reh und einen Hasen sehen wir auf dem kurzen Weg zurück zum Aussichtspunkt über dem Canyon. Wir werden mit einem schönen Sonnenaufgang belohnt, welcher die Felsen des Canyon langsam zum Leuchten bringt. Noch sind wenig andere Touristen unterwegs und so geniessen wir unser Frühstück mit Blick auf dieses gewaltige Naturdenkmal. Ein langer Tag und viele Kilometer Strasse liegen vor uns, Markus hat sich dummerweise bei der Kilometeranzahl verguckt, wollten wir erst in Laughlin ein Motel buchen, fanden wir dann eine preisgünstigere Variante in der Nähe, in Barstow. Leider liegt dieses „in der Nähe“ 300km weiter im Nordwesten. 

 

Wir wechseln die Region, von den Sandsteinparks im Südwesten geht es zurück nach Kaliforniern und durch die beeindruckende Wüste Mojave. Doch noch bevor wir den Nationalpark verlassen, quert eine Familie Elk die Strasse, Weibchen mit halbwüchsigen Jungtieren. Ein Elch heisst hier ja Moose und die Elk sind eher mit Rentieren oder sehr, sehr grossen Hirschen zu vergleichen. Es war schön zu sehen, wie diese Tiere im Morgenlicht unbekümmert der Abbruchkante entlang spazierten und von den frischen Sprösslingen der Nadelbäume naschten. Kaum ausserhalb des Nationalparks ein wenig amerikanische Geschichte der anderen Art: wir kommen an einem Flinstones Camping vorbei, da steht Fred`s Diner, Wilmas Waschsalon sowie der Spielplatz für Pebbles und Bambam. Markus setzt sich dann ins berühmte Perpedes-Automobil. Ein bisschen Spass muss sein. Ein kleines Stück fahren wir auf der historischen Route 66, welche parallel zur Interstate 40 verläuft, hier aber nichts Spezielles ist. Dennoch tanken wir beim Terribles 50ties Shop und kaufen uns typische Hotdogs. Je näher wir Kaliforniern kommen, umso teurer wird der Kraftstoffpreis. Tanken ist ohnehin so eine Sache, manchmal werden nur Debit und keine Kreditkarten akzeptiert, und dann muss man zum Kassier. Zahlt man in Cash ist dies unter Umständen billiger als der Preis mit Kreditkarte, manchmal aber auch das einzig akzeptierte Zahlungsmittel. Das nächste Problem stellt sich bei der Frage, für wie viel Dollar man tanken möchte. Was weiss ich denn, wieviel Gallonen da heute in den Tank passen. Nix mit volltanken, nein, man zahlt einen Betrag voraus und wenn dann doch nicht so viel Diesel in den Tank passt, kann man sich das Rückgeld beim Kassier wieder abholen. Extrem effiziente Sache... Kurz nach der Staatsgrenze zu Kaliforniern dann eine Fruit Control. Das gibt es auch hier? Nun gut, auf die Frage des Officer, ob ich Früchte oder Gemüse dabei hätte, antwortete ich wahrheitsgetreu ja und begann aufzuzählen: zwei Äpfel, eine Birne, eine Banane... er unterbrach mich und sagte, solche Mengen interessierten nicht, wir könnten zufahren. Na dann... Kurz darauf eine zweite Kontrolle, doch die interessierten sich ausschliesslich für Lastwagen. 

 

Wir folgen der Interstate 40 bis zur Abzweigung Kelbaker Road, welche in die Mojave Wüste führt. Vorbei an den Kelso Dunes, windet sich die Strasse auf eine Art trockene Hochebene in welcher vor 100 Jahren noch viele Bauern ihr Glück versuchten, Präriegrass und Viehherden prägten damals das Bild und so entstand hier mitten im Nirgendwo auch ein Bahnhof, das Kelso Depot, durch welchen auch heute noch Güterzüge fahren, teils mit bis zu 3 vorgespannten Lokomotiven, damit sie die Steigung überwinden können. Dieser Abschnitt der Wüstenlandschaft wird durch ein National Perserve geschützt. Im Informationscenter, welches im historischen Bahnhofsgebäude untergebracht ist, erfahren wir interessante Dinge über das Gebiet, welches einer Grosszahl von endemischer Fauna und Flora Lebensraum bietet. Auffällig ist ein nervöser Vogel, der auf dem Kopf eine grosse Feder hat, welche lustig auf und ab wippt, wenn er über die Ebene hetzt. Einen Roadrunner sehen wir indes keinen, auch keine Schildkröte, dafür ein paar Hasen. Wir machen uns auf den Weg zum Lava Tube. 32 konische Vulkankegel gibt es in dieser Wüstenlandschaft, umgeben von vielen erhärteten Lavaströmen. Die letzten Ausbrüche werden auf rund 10‘000 Jahre datiert und so ist es auch ungefährlich die begehbaren Lavatunnel zu besuchen, es sei denn, man würde das Rasseln einer Klapperschlange hören, welche sich gerne in die Schatten der Lavasteine zurückziehen, um der heissen Sonne zu entkommen. Eine Metallleiter erleichtert den Abstieg, und nachdem man sich durch einen engen Gang gezwängt hat, steht man in einer grossen Höhle. Durch einen Teil der eingestürzten Decke bricht ein Lichtstrahl und wir sind fasziniert von diesem Light Beam, der sich nur bei bestimmtem Sonnenstrand zeigt. Wir haben Glück und können diesen Moment fotografisch festhalten. 

 

Im Verlaufe des späteren Nachmittages folgen wir der Cima Road, welche durch einen Joshua Tree Wald und später über einen Hügel zurück auf die Interstate 15 führt. Der Joshua Tree ist zwar kein Baum, sieht aber wie ein Kaktus in Baumgrösse aus. Ein Joshua Tree kann an die 12 Meter hoch werden und gehört botanisch gesehen zu den Yucca Gewächsen. Entgegen der Annahme, wachsen die grössten Bestände nicht im Joshua Tree Nationalpark weiter südlich, sondern hier beim Cima Dome in der Mojave Wüste. Der Cima Dome erhebt sich kaum merklich aber dennoch bis zu 500 Meter über dem Wüstental. Die Joshua Tree, welche hier wachsen, weisen mehr Äste auf, als die Exemplare weiter südlich, sind dafür etwas weniger hoch. Dennoch sehr fotogen, bietet diese Pflanzenart vielen seltenen Tieren eine Heimat, so zum Beispiel einer Mottenart, welche sich von den Samen des Joshua Trees ernährt und im Gegenzug als einziges Tier für die Bestäubung der Pflanze sorgt. Es gäbe zwei Campgrounds innerhalb des National Perserves, doch wir haben ein Motel gebucht und müssen das schöne Gebiet alsbald verlassen. Ein National Perserve unterscheidet sich, so lernen wir, von einem Nationalpark einzig dadurch, dass in einem National Perserve gejagt werden darf. Fast 400 Nationalparks, Monuments und Historical Sites gibt es in den USA, alle mit dem selben Ziel: „To conserve the scenery and natural/historic objects and wildlife therein and to provide for the enjoyment of the same in such manner and by such means as to leave them unimpaired for the enjoyment of future generations.“ 

 

Die Weiterfahrt bis Barstow verläuft unspektakulär und im Dämmerlicht erreichen wir das Motel Days Inn. Wir bekommen ein anständiges Zimmer, haben aber nicht wirklich Zeit dieses zu nutzen, belegen alle Steckdosen mit unseren elektronischen Geräten, sichern Bilder in der Cloud und checken Emails. Da ist auch die Nachricht, dass meine Mastercard aus Sicherheitsgründen gesperrt worden ist und ich eine Hoteladresse melden soll, damit mir umgehend eine neue zugestellt werden kann. Nun gut, mussten wir also auch noch klären, wie wir unsere Weiterfahrt gestalten wollten und wo wir was buchen können. Vorher gingen wir aber auf die andere Strassenseite, um bei McDonalds noch was zu essen. Das Essen ist kein Highlight, aber meine Beobachtung eines afroamerikanischen Lastwagenfahrers, welcher erst Servietten auf seinem Tablett ausbreitete, dann seine Pommes darauf ausschüttete, danach den Burger fein säuberlich auspackte und daneben legte, aber nicht etwa mit Essen begann, sondern die Hände faltete, den Kopf senkte und erst einmal ein Tischgebet sprach. Erst danach begann er mit Essen, irgendwie sympathisch und speziell in solcher Umgebung. Dankbarkeit für was man hat, ist in unserer Zeit selten.

 

Es ist Feiertagswochenende in den USA und irgendwie ist jeder unterwegs, wann hat man schon mal 3 Tage am Stück frei... Wir verlassen Barstow nach einem typischen Motel Frühstück (alles in Styropor Gefässen mit Plastikgeschirr) und fahren zum Walker Pass am Fusse der Sierra Nevada. Hier stossen wir zum ersten Mal auf den legendären PCT, den Weitwanderweg durch die USA von der Grenze Mexikos bis nach Kanada. Der PCT fasziniert uns ja schon lange, aber ich habe nach 3 Wochen auf dem Kungsleden in Schweden eine Fusssehnenentzündung bekommen, wie wäre das denn auf einer 5-monatigen Wanderung? Träumen darf man ja. Der R178 entlang fahren wir von der Seite des Death Valley auf die andere Seite der Sierra, auf 1500 MüM ist es viel trockener als gedacht, wir fahren entlang einiger vereinzelten Joshua Trees und dann hinunter in ein fruchtbar wirkendes Tal mit Longhorn Kühen, Bauernhöfen mit halb verrosteten Ford Lastwagen vor der Tür und ausgedehnten Pferdeweiden. Am Lake Isabella fahren wir ins Auxiliary Dam recreational camp, gratis für Inhaber des Nationalpark Jahrespasses. Unten am Ufer des Sees stehen reihenweise grosse RVs, oben in der Nahe des WC Blockes stehen wir fast alleine, nur ein fahrradfahrender Holländer campiert ganz in der Nähe. Wir kommen ins Gespräch und obwohl es nicht uninteressant ist, was er alles zu erzählen weiss, so wird es dennoch langsam frisch, dann wird es dunkel, wir entschuldigen uns, ziehen was Wärmeres an, kochen eine Suppe... er lässt sich nicht beirren, redet und redet weiter, steht neben der geöffneten Hecktür und wir trauen uns nicht, ihn abzuwimmeln. Ich biete ihm einen Tee und irgendwann, nachdem ich neben dem quasselnden Holländer fertig abgewaschen hatte, kommt er auf die Idee, das er müde sei und ins Bett wolle. Endlich! Erfolg der Geschichte zeigt sich ein paar Tage später, Markus hat sich erkältet. 

 

Einige der Camper vom Seeufer fuhren am späteren Abend vor und nutzten die Toilette, einige wohl auch als improvisierte Dusche mit PET Flaschen, am Morgen war der Boden noch etwas nass. Ansonsten sind die Toiletten, das ist etwas was wirklich auffällt, auf den staatlichen Plätzen erstaunlich sauber. Müll wird geleert, WC Papier aufgefüllt. Wir fahren dem Kern River entlang Richtung Norden, stellen aber bald fest, dass das ganze Tal ein einziger Campingplatz ist und an allen Eingangstoren steht „full“. So biegen wir Richtung Sherman Pass ab und machen erst mal Rast an einem schönen Aussichtspunkt. Es kommen einige Besucher vorbei und so kommen wir mit einem US-Schweizer ins Gespräch, Insassen eines VW Busses, welche das Schweizer Kennzeichen erkennen und einem Forest-Ranger mit dem wir uns länger unterhalten. Er möchte unbedingt mal in der Schweiz Skilaufen und erzählt uns viel über die Landschaft und die vergangene Wintersaison in der Sierra. Offensichtlich fiel dieses Jahr nicht so viel Schnee, aber teilweise taue dieser dafür weniger schnell ab als in anderen Jahren. Alle machen sie uns Komplimente für unseren Toyota Landcruiser, so auch ein Herr, der in einem riesigen Pick-up vorfährt und uns seine Karte hinstreckt. Cooler Umbau, meinte er, er baue oft für Kunden Autos nach Spezialwünschen um... Am Ende gab er uns noch einen Tipp zum übernachten, mitten im Nationalforest. Auffallend viele ausgewiesene 4x4 Tracks gibt es hier, Spielwiese für Erwachsene. Wir jedoch folgen seiner Empfehlung, kommen noch in einen Schnee- und Graupelsturm, welcher jedoch so schnell vorbei war, wie er angefangen hatte, und finden ein wirklich schönes, abgelegenes Plätzchen an einer frühlingshaften Waldwiese. Wir geniessen die Abendsonne, legen für die Nacht jedoch vorsorglich den Bärenspray bereit und wundern uns am kommenden Morgen, wie kalt es geworden ist. Unser Wasser ist über Nacht gefroren, doch jede Minute wärmt die Kraft der Sonne mehr. Eine wunderschöne Morgenstimmung mit Nebel über der Wiese, Tau im Gras und Sonnenstrahlen, welche Herz und Körper wärmend durch die Bäume glitzern. Wunderbar friedlich!

 

Wir fahren zurück ins Kern River Tal und von dort Richtung Sequoia Nationalpark. Im Gebiet des Giant Sequoia National Monument machen wir einen ersten Halt und Spaziergang, welcher uns auf Tuchfühlung mit den grossen Bäumen brachte. Mächtige Baumstämme, gewaltige Baumkronen, riesige, umgefallene Wurzelstöcke. Die Strasse führt wieder hinunter in ein trockenes, heisses Tal mit Bauernhöfen, goldenem Grass, einem Bach und Pferde- bzw. Kuhweiden. Auffällig ist, dass es nur da satt grün ist, wo intensiv bewässert wird. Die Strasse leitet uns durch Orangenplantagen, die bis zum Horizont reichen, dann endlich der Abzweiger zurück in die Berge. Auf dem Kawah Lake treiben Hausboote, aber alle Campings sind auch hier überfüllt. So fahren wir ins Mineral King Valley und kommen dort auf einem abgelegenen Campingplatz der Nationalparkbehörde noch unter. Wir sind erschöpft von der langen Fahrt, lesen aber trotz allem noch all die Warnungen und Vorschriften betreffend Camping und fest montierter Bärenbox. Wenn wir alles nach Vorschrift machen würden, dann müssten wir nun den halben Wagen ausräumen, alle Lebensmittel und alles was irgendwie riechen könnte (Zahnpasta, Feuchttücher und Kopfwehtabletten inklusive) müsste somit in die Box. Wir müssen uns hierzu mal auf dem Ranger Büro erkundigen, schliesslich bauen die RVs ja ihre Kühlschränke auch nicht aus. Wir packen die frischen Lebensmittel und unsere Kulturbeutel in die Box und gehen früh schlafen, nicht ohne uns vorher noch unruhig hin und her zu wälzen, schliesslich schlafen wir ja unter einem Aludach, welches jedoch nur Zeltwände aufweist und wir wollen ja nicht als „meals on wheels“ für Bären enden. 

 

Bärenbesuch hatten wir keinen, aber zum Frühstuck eine Grundsatzdiskussion zum Thema Reisegeschwindigkeit. Bei unserem Tempo kommt ja eine geeichte Japaner Reisegruppe nicht mehr mit. Wir bewegen uns schon wieder viel zu schnell vorwärts, der gleiche Fehler, den wir schon in Südamerika gemacht hatten. Dort war das Ziel Kolumbien im März zu erreichen, damit wir im April verschiffen können, hier haben wir das Ziel Alaska, doch nur noch gute 4 Monate Zeit bis wir in Halifax verschiffen müssen. So stellt sich doch die Frage, wer oder was zwingt uns denn bis nach Alaska zu reisen? Wäre es nicht besser, wenn wir uns genügend Zeit nehmen wurden, auch mal entspannt an einem Ort ohne spezielles Highlight zu verweilen, ein wenig Tempo rauszunehmen und vor allem kürzere Strecken zu fahren? Nach dem Frühstück waren wir uns einig, Alaska kann warten, geniessen wir das hier und jetzt. Ausserdem, so besprachen wir, wäre es vielleicht auch besser Alaska mit seinen Grizzly Bären in einem kleinen Wohnmobil zu bereisen, mit festen Wänden, zum Beispiel im Rahmen eines längeren Urlaubes. Wie wir später in der Rangerstation erfahren, brechen Bären interessanterweise wirklich nicht in Wohnmobile ein, jedoch (sehr selten) in Autos. Campervans sind leider so ein Zwischending, so auch unser Bobilchen. Wiederum andere Reisende, welche schon viele Monate in einem einfachen Campervan mit Dachzelt im Schwarzbären Gebiet verbracht haben, erklärten uns, dass seit Jahrzehnten kein Schwarzbär mehr in ein Auto eingebrochen sei und sie persönlich nie Schwierigkeiten gehabt hätten. Wie sich das allerdings in Gebieten mit Grizzly Bären verhalte, wussten sie auch nicht. Hmmm, irgendwie beruhigend, irgendwie nicht. 

 

Wir fahren in das Kerngebiet des Sequoia Nationalparkes, der wie in allen Parks gut angelegten Touristenstrasse entlang. Die meiste Zeit fahre ich, der Schnupfen hat Markus voll im Griff, armer Kerl, er fühlt sich angeschlagen und kraftlos, so ist schon der Rollstuhlweg zum Sherman Tree anstrengend genug. Ich selbst mache dann noch eine kleine Wanderung dem Congress Trail entlang, während Markus auf dem Bänkli vor dem Museum Sonne und Wärme tankt. Auch den Morro Rock mit fantastischer 360° Sicht "besteige" ich (ja es sind viele, viele Treppenstufen) alleine. Später am Nachmittag fahren wir dann in den angrenzenden Nationalforest zum ausgewiesenen dispersed camping im Bereich des Horse Camp. Ein wirklich schönes Plätzchen, mit herrlichem Sonnenuntergang über den Baumwipfeln. Am nächsten Tag ist Ruhetag, Markus schläft aus, macht Mittags- und Nachmittagsschläfchen und erholt sich gut. Ich lausche dem Rauschen des Windes in den Wipfeln der Bäume und den Vogelstimmen. Vielschichtige, melodiöse Vogelgesänge und repetitiv monotone Einzeltöne konkurrieren zueinander, während wiederum ein anderer Vogel klingt, als hätte er eine Flöte verschluckt und könne nur die ewig gleichen drei Töne von sich geben. In der Nähe hämmert auch ein Specht und man fragt sich, ob der arme Kerl durch das unaufhörliche Klopfen nicht Kopfweh oder gar eine Gehirnerschütterung bekommt. Ich schreibe meine Eindrücke des Vortages nieder und geniesse die wärmenden Sonnenstrahlen über dem Felsvorsprung auf welchem wir unser Lager aufgeschlagen haben. Eine unglaublich friedliche Stimmung.

 

Die Sequoia Trees sind beeindruckend, man spürt irgendwie ihre Eigenständigkeit als Lebewesen, irgendwie sind sie nicht "einfach Pflanzen", sie haben eine seltsam anmutende, überwältigende Ausstrahlung. Vielleicht am ehesten mit unseren uralten Eichen zu vergleichen, welche meiner Meinung nach ebenfalls diese Ausstrahlung von Grösse und Grossartigkeit haben. Die Sequoia gelten als die weltweit grössten Bäume, obwohl es einen Baum gibt, welcher höher wächst (Redwood), einen welcher einen dickeren Stamm hervorbringt und auch welche, welche angeblich noch älter werden. Der Sequoia jedoch kombiniert diese drei Dinge und schlägt in Bereich Masse, alle anderen Bäume. Die höchsten Bäume sind rund 95 Meter hoch und über 3200 Jahre alt. Der Stamm ist konisch und der grösste Baum "General Sherman" wird auf rund 2200 Jahre geschätzt. Er wächst zwar nicht mehr weiter in die Höhe, da seine Krone auf 84 Metern abgestorben ist, aber er lebt weiter, sein Stamm nimmt weiter an Volumen zu und sein dickster Ast hat einen Durchmesser von 2 Metern. Jedes Jahr wächst dieser Baum um die Menge Holz, welche ein normaler 18 Meter hoher Baum aufweist. Das sind gewaltige Daten und umso erstaunlicher ist es, dass diese Bäume ausschliesslich hier, im Sequoia Gürtel, an den Hängen der westlichen Sierra Nevada zwischen 1500 und 2200 MüM wachsen. Redwood und Sequoia gehören beide zur gleichen Familie, die Sequoia weisen jedoch einen massiveren Stamm und kräftigere Äste sowie eine zimtfarbene Rinde auf. Oft wird der Baum auch Sierra Redwood genannt, der Redwood der Küste ist jedoch schlanker und höher, gleicht im Aussehen eher einer Tanne. Zudem pflanzt sich der Redwood per Samen und Keim weiter, der Sequoia ausschliesslich per Samen. Der Zapfen der Redwood ist etwa Oliven gross, der des Sequoia jedoch so gross wie ein Hühnerei.

 

Ein Sequoia kombiniert schnelles Wachstum und langes Leben, bei ausreichend Wasser wächst er zu einem riesigen Monarchen heran, welcher manche Herausforderung annehmen kann, welche andere Bäume umbringen würde. Der Sequoia ist fast unsterblich, Tannine und andere Chemikalien im Stamm und der Rinde weisen Eigenschaften auf, welcher gegenüber Verrottung, Pilz- und Insektenbefall resistent sind. Ausserdem isoliert die Rinde so gut, dass die Bäume selbst immense Waldbrände überstehen. Die meisten Bäume fallen irgendwann um, wegen ihren zwar weitgefächerten, aber dennoch verhältnismässig schwachen Wurzeln, es fehlen ihnen Pfahlwurzeln, welche die riesige Masse im Boden verankern würden. Irgendwann werden die Sequoia Opfer von Bodenerosion oder starken Winden und fallen einfach um. Doch nirgends zeigt sich deutlicher, wie das Leben ein Kreislauf ist, das Fallen eines Giganten, bringt neues Leben hervor. Viele Pflanzen, welche Jahrzehntelang auf ihren Anteil Sonne gewartet haben, können nun frei gegen das Licht streben.

 

Was lange nicht verstanden wurde, und erst seit ein paar Jahren als erwiesen gilt, ist, dass diese Bäume Feuer genauso wie Wasser zum Leben brauchen. Alle 3-9 Jahre lösen Blitzschläge Brände aus, welche für die Sequoias überlebenswichtig sind. Männliche Zapfen wachsen hoch oben am Baum und im Spätwinter lassen sie gelben Pollen regnen, um die weiter unten hängenden weiblichen Zapfen zu befruchten. Sind die weiblichen Zapfen befruchtet, wachsen sie auf die Grösse eines Hühnereis heran. Ein erwachsener Baum produziert rund 2000 Zapfen mit 400000 Haferflocken grossen Samen. Die befruchteten Zapfen können bis 20 Jahre lang am Baum verbleiben, bis sie durch die Hitze eines grossen Waldbrandes austrocknen, sich öffnen und die Samen auf den vom Feuer freigelegten und von der Asche gedüngten Boden regnen. Die Feuer bringen zudem die Insekten um, welche sonst die Samen essen würden und zudem ist so eine ausgebrannte Zone über Jahre weniger anfällig für weitere Waldbrände, was den kleinen Sequoias wiederum einen guten Start ermöglicht. Zudem haben diese in diesen Brandinseln kaum Konkurrenz von anderen Bäumen, welche den jungen Setzlingen Sonnenlicht, Nährstoffe oder Wasser streitig machen würden. Aus den Setzlingen werden Schösslinge, dann Nadelpfeile (sehen aus wie Tannen) aber erst im Erwachsenenalter gewinnen die Bäume ihr gewohntes Aussehen und sind gewappnet gegen die meisten äusseren Einflüsse. Einige dieser Bäume wachsen dann zu Monarchen heran und können mehrere Jahrtausende alt werden.  

 

In der Ferne, am Ende des Felsvorsprunges machen unsere entfernten Nachbarn mit Pick-up Kabine ein Feuer. Markus wird wach, fühlt sich besser und wir kochen eine Suppe als Abendessen. In der Abendsonne erfreuen wir uns an den verspielten Eich- und Erdhörnchen und erblicken ein Murmeltier, welches ebenfalls die Abendsonne auf dem Felsen geniesst. Am nächsten Tag spazieren wir um den Hume Lake (die Lodge und Umgebung erinnert uns irgendwie an die Anlage von Dirty Dancing) und fahren in den Kings Canyon, eigentlich eine enge Schlucht welche sich hinten im Tal rund um eine schöne Wiese (Zumwalt Meadow genannt) öffnet. Kings Canyon ist eine der spektakulärsten von Gletscher geformten Täler in Nordamerika, vom Gletscher jedoch ist nichts mehr zu sehen. Schönes Wetter, schöne Landschaft, friedlich und angenehm. Die Nacht verbringen wir dann an der schmalsten Stelle des Tals beim gratis Convict Flat camp, 5 schattige Plätzchen, aber spannenderweise ist hier das Thema Bär hier kein Thema, die Boxen fehlen genauso wie ein Warnschild... vergessen? Man darf sich wundern, aber wir verbringen eine gute Nacht. Morgen haben wir schon 1. Juni und dann geht es Richtung Küste, aber das ist Morgen...