Guatapé und die Fahrt gen Norden

Wir fahren vom immer noch nebligen Camping beim Arvi Park oberhalb Medellíns los und weniger als 50km später sind wir in einem komplett anderen Gebiet. Landschaftlich reizvoll zeigt sich uns der Embalse del Penol-Guatapé im schönsten Sonnenschein. In den 70er Jahren wurde das Gebiet geflutet, um Medellin mit Energie aus Wasserkraft versorgen zu können. Der Stausee bedeckt die zerklüfteten Täler zwischen den Gemeinden El Penol am Sudwestufer und Guatapé am Ostufer und liess eine künstliche Landschaft entstehen mit vielen Inseln und Halbinseln, auf denen wohlhabende Kolumbianer ihr Feriendomizil haben. Von Ausflugs- über Segelschiffe bis zu Wasserskifahrer findet man alles auf den frühlingshaft frischen Wassern mit den rostgelb leuchtenden Ufern. Kurz nach dem neuen Dorf El Penol zweigt eine Erdstrasse von der geteerten Strasse ab und führt dem Ufer des Sees entlang bis zu unserem Tagesziel, einem B&B, welches wir aus der Auswahl auf IOverlander gepickt haben.

 

Das The Lake Hotel B&B entpuppt sich als Privathaus in einem schönen Garten am Seeufer mit sympathischen Besitzern in unserem Alter. Mit Hotel hat dies allerdings wenig zu tun. Wenn sie das eine Zimmer ausmieten können, ziehen die Gastgeber ins Zelt und vermieten ihr Schlafzimmer mit Privatbad, nebenan haben sie noch vier Betten und ein von aussen zugängliches Bad, welches auch wir nutzen konnten. Martha (Kolumbien) und Dennis (USA) heissen einem auf sehr herzliche Art in ihrem Zuhause willkommen und man fühlt sich vom ersten Moment an wohl. In der für alle zugänglichen Küche kochen sie auf Wunsch oder bereiten das Frühstück für Gäste zu. Unter der gedeckten Terrasse gibt es Tisch und Stühle sowie das "Aussen Wohnzimmer" mit einer Hängematte und TV. Die Zufahrt ist etwas eng, der Parkplatz vor dem Haus klein, aber wir finden ein gutes Plätzchen für Bobilchen direkt in ihrem Vorgarten neben dem plätschernden Springbrunnen und unter einer Palme. Das schönste aber ist der Garten, in welchem auch zelten möglich ist, direkt am See mit Fruchtbäumen von denen man sich bedienen kann, Hängematte, kleinem Pavillon und einer Feuerstelle, in welcher Dennis am Abend ein grosses Feuer entfachte und uns eine kolumbianische Version von Smores anbot (US Amerikaner lieben es Marshmallows über dem Feuer zu braten und diese dann zwischen zwei Schokoladekekse zu stecken und so als Lagerfeuer Dessert zu verspeisen). Am zweiten Abend bot uns Denis dann sogar "Openair Hängemattenkino", er liess uns von Netflix einen Film auswählen, wir durften mit Kissen und Decke in der Hängematte platznehmen und er brachte uns sogar eine Schüssel selbstgemachtes Popcorn mit Kokosöl. Frida, eine urkomische, friedlich-verschmuste Deutsche Dogge mit Überbiss, wollte auch mit die Hängematte, doch wir konnten sie überzeugen, unterhalb Platz zu nehmen und mit uns den Film zu schauen.

 

Kaum angekommen genossen wir das schöne, frühlingshafte Wetter, die Sonne und die Hängematten. Dennis bietet kühles Bier (Redd^s ist eine Art Panache) mit Strichliste im Terrassenkühlschrank und später am Nachmittag tauschten wir uns mit den Gastgebern über dies und das aus, während uns Martha Kaffee servierte. Interessant war auch der Austausch mit ihren kolumbianischen Freunden aus Bogota, welche hier im Zelt ein langes Wochenende verbrachten. Sie erzählten von den sozialen Unterschieden im Land, aber auch von ihrer Arbeit in Bogota, der Problematik im Land selbst Englisch zu lernen und ihrem Traum von einer ausgedehnten Europa Reise. Interessant fand ich auch, dass im stätischen Mittelstand, dem sie angehörten, ein neuer Trend entsteht. Junge Paare Anfang dreissig heiraten, wollen aber keine Familie gründen. Es besteht offensichtlich der Trend dazu, sich im Beruf zu verwirklichen, aber das erwirtschaftete Geld lieber als Paar auszugeben, als für eine Familie aufzuwenden. Bildung ist sehr teuer und so möchten sie lieber von ihrem Studium profitieren, Familie im Allgemeinen gilt als Armutsfaktor und oft ist dann der Abstieg aus der Mittelschicht vorprogrammiert. Sie erzählten von der immer grösser werdenden Schere zwischen reich und arm und der Tatsache, dass auf dem Land auch heute viele 14 Jährige Mädchen zum ersten Mal Mutter werden, einige schliessen die offizielle Schulzeit ab, während die Eltern auf die Enkel aufpassen, die meisten aber treten aus der Schule aus und bekommen noch mehr Kinder ohne die Aussicht darauf jemals für diese oder deren Schulbildung aufkommen zu können. Nicht unerwähnt bleibt auch die Politik, der Befriedungstrend und die Hoffnung auf einen positiven Aufschwung (ohne sinnlose Teuerung oder Anstieg der z.B. Immobilienpreise), sowie mehr ausländische Touristen, welche sich für das Land interessieren und nicht von der gewaltvollen Vergangenheit abschrecken lassen. Ein Land mit viel ungenutztem Potential und ebenso vielen, ungelösten Problemen.

 

Die Hauptsehenswürdigkeit (an der Strasse von El Penol nach Guatapé) ist der Piedra del Penon, ein 200 Meter hoher, grauer Granitmonolith. In einer Falte des teils makellos glatten, teils von Epiphyten überzogenen Felsen führen knapp 670 schwindelerregende Treppenstufen auf die Bergspitze von wo man in die wie eine Modelleisenbahnlandschaft wirkende Gegend blickt. Wir fuhren weiter nach Guatapé und fanden leicht ausserhalb, aber mit schöner Sicht auf die Ortschaft, ein nettes kleines Restaurant (Villa del Puente) in welchem wir für wenig Geld ein gutes lokales Mittagessen und dazu einen super feinen Fruchtsaft genossen haben. Nach einem Gespräch mit der freundlichen Besitzerin erlaubte sie uns das Auto kostenlos im Garten zu parken (die Parkplätze in der Ortschaft waren überteuert und überfüllt), während wir die Ortschaft zu Fuss erkundeten. Natürlich bedankten wir uns mit einem guten Trinkgeld und der Konsumation eines weiteren feinen Fruchtsaftes bei unserer Rückkehr. Die Fruchtsäfte sind überhaupt das beste hier, die vielen exotischen Früchte wachsen fast von alleine, und zwar nicht nur Bananen, Erdbeeren, Brombeeren, Maracujas und Mangos, sondern die für uns weniger bekannten, aber wohlschmeckenden Früchte Baumtomate (Tomate de arbol), Cherimoya, Tamarinde, Guayaba, Guanabana (heisst zu deutsch Sauersack, finde aber schmeckt überhaupt nicht sauer, aber lecker und erfrischend, speziell mit Milch), Lulo (Naranjilla, ebenfalls sehr wohlschmeckend und dennoch erfrischend) und viele mehr. In Guatapé, das teilweise nicht mehr authentisch, sondern nachgebaut ist, dominieren puppenhaft bunte Häuschen mit traditionell gestalteten Zementsockeln, einige rein ornamental, andere die Ortsgeschichte thematisierend und manche Familienzeichen wiedergebend. Die Ortschaft und Lage am See hat uns sehr gut gefallen, auch wenn es zeitweise schon fast ein wenig zu touristisch und aufgesetzt wirkte.

 

Wir überlegten hin und her ob wir am nächsten Tag direkt auf der R45 gegen Norden fahren sollten oder doch lieber in die Verbindungsstrasse 62 wechseln, um uns die Kolonialstädte, welche sich wie auf einer Perlenschnur von Bogota nach Norden aufreihen, zu besuchen. Jeannine und Adi haben uns von Villa de Leyva vorgeschwärmt, die Salzkirche Zipaquira nördlich von Bogota steht in jedem Programm für Kolumbienreisende und die Gegend um Tunja bis Bucaramanga ist bekannt für kleinere Städtchen mit schöner Kolonialarchitektur. Da es aber Semana Santa war (viele einheimische Touristen & Orte generell überlaufen), sowie unser Verschiffungstermin vom 11. April und die damit verbundenen Vorbereitungsarbeiten näher rückten, entschlossen wir uns direkt Richtung Norden zu fahren, wenn möglich mit einem Abstecher nach Mompox (manchmal auch Mompos geschrieben). Mompox ist ein Juwel kolonialer Baukunst und UNESCO Weltkulturerbe. Es ist aber auch eine der heissesten Städte in Kolumbien und liegt im Schwemmland der Nebenflüsse des Rio Magdalena, welcher weiter oben in die Karibik mündet.

 

Die Fahrt von der Unterkunft führt via Guatapé und San Rafael auf befestigter Strasse den Ufern des See entlang, dann auf unbefestigter teils etwas ausgewaschener Erdstrasse mit vielen Schlaglöchern aber schönen Ausblicken durch die zerklüftete Hügel- und Schluchtenlandschaft (welche noch nicht überflutet ist). Es kamen uns einige Motorradfahrer entgegen, ansonsten war kaum jemand unterwegs und bei San Roque kamen wir wieder auf eine befestigte Strasse, welche zur R62 führt. Doch dann passierte es. Wir fahren durch San Roque und plötzlich super laut: Päng-Pffffffff. Was haben wir erwischt? Bei jeder Umdrehung des Rades ein lautes Zischen und nach 10 Metern parkt Markus das Auto und wir stellen fest, der hintere rechte Reifen ist platt. Ein riesiger Schnitt quer durch die ganze Seite des Pneu. Wir fanden dann auch den Grund dafür: nebst den senkrecht aus dem Gehsteig ragenden, verrosteten Armierungseisen, ragen auch einige waagerecht, ca. 10 cm weit in die Strasse hinein, daraus hervor. Tja. So hiess es das erste Rad wechseln in der gesamten Reise und was durften wir feststellen? Natürlich hilft unser Vulkanisierungsset bei einem Schnitt nix, denn es ist für Nägel und ähnliche Punktierungen gedacht, aber leider ist bei so einem Schnitt auch alle Luft entwichen und so hatte der hydraulische Wagenheber unter der Achse keinen Platz mehr. Markus fluchte und probierte verschiedene Ansatzpunkte, als ein Einheimischer aus dem Haus kam, sich das kurz anschaute und meinte: kleinen Moment. Dann öffnete er den Kofferraum seines vor unserem Auto geparkten neuen Toyota Geländewagens und nahm einen zweiten, kleineren Wagenheber hervor, sowie ein Holzblock. Auf diesen Holzblock ist Markus mit dem kaputten Rad gefahren und danach konnten die Wagenheber angebracht werden und ruck-zuck war das Rad gewechselt. Der freundliche Herr putzte sich die Hände und wollte für seine Hilfe nichts weiter als ein freundliches Dankeschön. Es gibt sie also auch in Kolumbien, die freundlichen, hilfsbereiten Menschen.

 

Mit einem leicht mulmigen Gefühl und sehr vorsichtig, da wir nun ja nur noch einen kaputten Ersatzpneu haben, ging die Fahrt weiter. Einmündung in die R62 und dann in die R45, auf welcher wir am Gründonnerstag fast alleine unterwegs waren, die Abwesenheit von Lastwagen war auffallend. In San Alberto fanden wir ein einfaches, aber sauberes Hotel mit sicherem Parkplatz für Bobilchen, gleich am Hauptplatz und mit Blick auf die Festlichkeiten bei der Dorfkirche. Später sitzen wir im Hotelzimmer, welches wie jedes noch so einfache Zimmer in Südamerika mit Fernseher ausgestattet ist, und Markus zeppt so durch die Programme, findet aber keinen Knopf um auf Englisch umzustellen. Doch dann sag ich Stopp, denn auf einem der Sender lief eine Liveübertragung von Mompox. Und was wir da sahen, faszinierte, entschied aber auch über den weiteren Verlauf unserer Reiseroute. Die Feiern zur Semana Santa (Karwoche) gehören zu den prächtigsten in Südamerika, unverwechselbar angeblich der rhythmische nächtliche Marsch. Wir sahen die Bilder der farbenfrohen Prozessionen, üppig dekorierte Schreine welche durch die beleuchtete Altstadt getragen wurden und Unmengen von Menschen welche sich durch die Gassen drängten. Sogar der Staatspräsident hat sich eingefunden, machte eine Ansprache und lobte den Frieden und die Versöhnung während der Santa Semana, und wie wunderbar, dass so viele Bürger des Landes sich hier für die Festivitäten einfinden würden. Ups, dachten wir uns und schauten mal nach, ob wir über Booking.com noch ein Zimmer finden würden für die Nacht, denn die Aussicht während dieser Tage einen Platz auf dem gesicherten Parkplatz im Stadtzentrum zu finden, auf welchem wir uns über Nacht einschliessen lassen könnten (IOverlander nannte nur eine Möglichkeit, aber nur mit Plumsklo und ohne fliessend Wasser dafür mit hohen Mauern und stickiger, heisser Luft, welche auch in der Nacht nicht abkühlt) war nicht eben vielversprechend. Natürlich fanden wir nix, selbst die teuersten Zimmer waren ausverkauft. Somit entschlossen wir uns am nächsten Tag (Karfreitag) die direkte Variante zur Küste unter die Räder zu nehmen. Markus wünscht sich einen Pool und wir werden sogar fündig, und buchen ein kleines Studio mit Küche, A/C und Pool für rund 50 CHF pro Nacht, nicht billig, aber Preis/Leistung scheint zu stimmen.

 

Auch Karfreitag sind wir fast alleine auf der R45 nach Norden unterwegs und kommen dabei kurz nach San Alberto an einer super modernen 24h Terpel Tankstelle mit Sanitäranlagen wie in einem 5-Sterne Hotel vorbei, welche hier, so völlig abseits sichtbarer Wohngebiete, völlig deplatziert wirkte. Die Mautstellen häufen sich und werden nicht billiger, doch auf der Weiterfahrt gen Norden wird es nicht nur immer wärmer und schwüler, sondern auch schmutziger. Irgend eine imaginäre Linie müssen wir überschritten haben, denn nicht nur der Menschenschlag und die Landschaft, sondern auch das Verhältnis zur Natur ändert sich. So werden hier einerseits immer mehr Palmölplantagen in grossem Stil angebaut, gleichzeitig scheinen aber die Behausungen immer ärmlicher zu werden und proportional dazu die Abfallhaufen am Strassenrand grösser. Es werden immer wieder nebst den ohnehin häufigen Strassenschwellen, grosse Schiffstaue über die Strasse gelegt, welche die gleiche Wirkung wie die Strassenschwellen haben. Man bremst ab und schon kommen die Strassenverkäufer daher gerannt. Leider scheint hier ein freundliches Nein-Danke nicht eben auf offene Ohren zu stossen und die Verkäufer reagieren teils aggressiv und sehr unfreundlich wenn man nichts kauft. So darf ich mir dann auch obszöne Anmachsprüche und Markus andere Beleidigungen (die er zum Glück nicht versteht) anhören. Gefällt uns nicht hier, irgendwie haben wir keine grosse Lust uns hier länger aufzuhalten, es ist heiss und wir kleben im Autositz. Zum Glück kommen wir gut voran und dann kommt die Karibikküste in Sicht. Doch was als erstes ins Auge springt, sind nicht Palmen und klares Wasser, sondern Öltanker und Leitungen die aufs Meer hinaus führen. Von den fast 5000 Meter hohen Bergen der Sierra Nevada de Santa Marta ist nichts zu sehen, hinter einer ersten Hügelkette türmen sich die Wolken aber uns scheint die Sonne ins Gesicht.

 

Wir fahren um Santa Marta herum und dann durch nicht eben schöne, vermüllte Strassenzüge Richtung Küste, wo eine von Autos und Motorrädern völlig überquellende Strasse, gesäumt von ärmlichsten Wellblechhütten, über einen kleinen Hügel hinunter in die Bucht nach Taganga führte. Auch Taganga, einer der besten Ausgangspunkte für Tauchausflüge an der Karibikküste Kolumbiens, war völlig überlaufen und wir quälten uns im Bobilchen durch die Massen, den Hügel hoch, bogen in eine unbefestigte Strasse und kamen kurz danach beim Oasis ApartaHotel an. Dort empfingen uns Elisa und Arturo (Schwedisch-Kolumbianisches Vor-Rentner Paar) mit einem frischen Fruchtsaft, liessen uns Bobilchen hinter dem Hotel parken und wir konnten uns im für private Verhältnisse grosszügigen Pool erfrischen.