Crazy Grenzübergang

So sitzen wir also in unserem kalten, dunklen Hotelzimmer mit drei Wolldecken und ohne Heizung, dafür mit Internet und lesen mal nach, warum denn nun Kolumbien die Grenzen für 3 Tage schliesst. Nun, wir finden folgende Infos: Parlamentswahlen in Kolumbien, die erste nach dem Friedensvertrag mit den FARC-Guerilla.

 

Für die FARC, welche in den Verhandlungen fixe 5 Sitze zugesagt bekamen, so erfuhren wir später, stimmte jedoch kaum jemand, grosse Enttäuschung für die linke Guerilla die auf die Sympathien aus dem Volk hoffte. Wenn man jedoch die eine oder andere Geschichte über deren Aktivität hört, so kann man irgendwie verstehen, dass das Volk nicht eben hinter den ehemaligen Kämpfern steht, auch wenn sie sich selbst als Volksbefreier sehen. Der Bevölkerung sind die Anschläge in zu frischer Erinnerung und am Ende haben sich die Rechts-Konservativen bei einer Wahlbeteiligung von unter 50 Prozent durchgesetzt.  

 

Wir lesen aber auch über die Situation im Nachbarstaat Venezuela und über den Exodus eines ganzen Landes. Die Menschen in Venezuela leiden schon seit einiger Zeit unter der schweren Krise, seit Monaten gibt es kaum noch Lebensmittel und Medikamente und wenn, dann ist alles extrem teuer, da das Land unter einer extremen Inflation leidet. Viele sind verzweifelt und wissen nicht, wie sie ihre Familien ernähren sollen, selbst wenn sie noch einen Job haben. Strom und Wasser sind knapp und der Schulunterricht fällt inzwischen meist aus.  Wie in vielen Ländern Südamerikas ist auch in Venezuela 2018 Wahljahr, doch es steht der Gewinner bereits fest. Seit 2013 ist Nicolas Maduro Präsident und er unternimmt alles, damit das Land auf eine Diktatur zusteuert. Regierungen anderer südamerikanischer Länder kritisieren offen seine Politik und fordern ihn dazu auf, eine friedliche Lösung zu finden. Derweil verschärfen die umliegenden Regierungen die Grenzkontrollen und entsenden zusätzliches Personal zu den Grenzposten. Hundert Tausende verzweifelte Venezolaner versuchen ihr Glück ausserhalb ihres Landes und so hat Kolumbien in den vergangenen 6 Monaten schon weit über eine halbe Million offizieller Flüchtlinge aufgenommen. Doch nun wollen auch sie die Kontrollen an den Grenzen verschärfen, um den Strom zusätzlicher, illegaler Flüchtlinge zu begrenzen, denn laut unbestätigten Zahlen halten sich inzwischen mehr als 1 Million Venezolaner in Kolumbien auf. Venezuela verweigert humanitäre Hilfe von Kolumbien und anderen Nachbarstaaten. Dafür nehmen nun auch andere Länder in Südamerika Flüchtlinge auf, nebst Kolumbien und Brasilien, nun auch Ecuador, Peru, Bolivien und Chile. Somit beginnt ein Verschieben der Flüchtlinge über die Staatsgrenzen, aber auch innerhalb der Länder, weg von der Grenze in Auffanglager im Landesinnern. Es ist ein humanitäres Drama.

 

Was dies alles für unseren Grenzübergang bedeutet erfahren wir am Sonntag, 11. März 2018. Gegen 13 Uhr finden wir uns wieder bei der Grenze ein, im Gebäude der Ecuadorianer bekommen wir unseren Ausreisestempel und können unsere temporären Einfuhrpapiere für Bobilchen abgeben.  Wir wechseln noch etwas Geld, doch der Kurs für die Peruanischen Sol sind so schlecht, dass ich nur einen kleinen Betrag wechsle und darauf hoffe, anderswo im Land einen besseren Kurs zu bekommen. Wir kaufen noch Bananenchips und schauen uns etwas um. Erst um 16 Uhr werden die Grenzen geöffnet. Zum jetzigen Zeitpunkt hat es bereits einige Leute, die auf beiden Seiten der Brücke warten, sowie etwa 15 Autos vor uns in der Kolonne. Wir sprechen mit einem deutschen, pensionierten Overlander, der die Nacht auf dem Parkplatz neben der Brücke verbracht und sich heute früh schon in die Reihe gestellt hat, sowie zwei Schweizer Motorradfahrer, welche ihre Maschinen ganz vorne in der Reihe geparkt haben, zusammen mit rund 10 anderen Motorrädern. Vor uns steht ein sehr hochgewachsener Argentinier mit einem Fiat Punto - wie der in dem Auto Platz findet?

 

In den kommenden 3 Stunden beobachten wir, wie immer mehr Leute kommen, die Menschentraube bei der Brücke wird grösser und dann fahren Busse vor, aus denen noch mehr Leute mit Koffer und Gepäck aussteigen, aber auch Backpacker und Touristen. Kurz vor 16 Uhr wird nicht mehr in der Kolonne angestellt, sondern Busse, Lastwagen und Autos quetschen sich auf 3 Spuren an uns vorbei, immer mehr Fahrzeuge vor uns und wenige Minuten nach 16 Uhr wird die Grenze auf der Kolumbianischen Seite geöffnet. Doch noch während die Polizei die Absperrungen wegräumt rennen die Menschen los, Kinder unterm Arm und mit Koffer in der Hand, Rollkoffer fliegen über die Schlaglöcher in der Strasse, Backpacker wirken wie rennende Rucksäcke und die Motorradfahrer schliessen sich hinten an, dann folgen die Autos, Busse und Lastwagen und bis wir über die Brücke gefahren sind, ist das Chaos perfekt. Ecuadorianische und Kolumbische Fahrzeuge fahren einfach weiter, ohne sich zu registrieren, vielleicht gibt es ja eine Sonderregelung? Doch alle Lastwagen halten an, auch wir parken zwischen zwei Lastwagen. Als wir um die Ecke zum Zollgebäude biegen, ist der Anblick der Menschenmasse überwältigend. Mehrere hundert Menschen stehen in einer Traube vor dem noch immer mit Gitter verschlossenen Gebäude, eine Reihe ist nicht zu erkennen, doch wir erkennen wieder den hochgewachsenen Argentinier sowie die beiden Schweizer Motorradfahrer. Sie stehen ganz vorne beim Gitter und so gehen wir um die Menschentraube herum und stellen uns bei den Schweizern wieder an, welche uns einem Neuseeländischen und Uruguayischen Motorradfahrer vorstellen. Die Menschen rütteln an den Gittern, und die Grenzpolizei schreit zurück, sie würden nicht öffnen, solange nicht alle sich in eine Schlange einreihen würden. Wir standen leider genau neben der offiziellen Linie und so mussten auch wir uns hinten anstellen. So wird das nix, denken die Motorradfahrer und wir uns alle, fragen einen Grenzpolizisten, ob es denn nicht eine spezielle Reihe für Touristen gäbe, und die Antwort war klar: Nein. Kolumbische Staatsangehörige stellen eine Ausnahme dar, die können ihre Papiere hinter dem Gebäude abfertigen lassen. Alle anderen müssen sich in der ungeordneten Menge anstellen, es sei denn man ist behindert, schwanger oder pensioniert. Dann würde man ins Gebäude gelassen. Tja, traf nicht auf uns zu, dafür auf die pensionierten deutschen Overlander, die eben aus dem Gebäude kamen. Manchmal ist es halt doch gut, ein bestimmtes Alter zu haben. Sie empfahlen uns einen Stellplatz bei der Seilbahn oberhalb von Las Lajas, doch wir sind noch immer bei der Grenze, als es eindunkelt. Es wird kühl auf über 3000 müm und wir entschliessen uns einen Topf Spaghetti aufzusetzen, besonders der Uruguayische Motorradfahrer ist froh über die warme Mahlzeit, der Neuseeländer jedoch holt sich einen grossen Biervorrat beim lokalen Verkaufsstand.

 

Wir beobachten wie das Rote Kreuz im 10- Minutentakt mit Lastwagen vorfährt, aus denen jede Menge weiterer Flüchtlinge aussteigen, die Menschentraube ist mittlerweile auf sicher bald 2000 oder mehr Personen angewachsen, eine Kolonne ist nach wie vor nicht erkennbar, dafür wallt die Menschenmasse nun um das gesamte Gebäude. Kinder die mit Murmeln spielen, Babies die weinen, alte und junge Frauen und Männer sitzen auf ihrem Hab und Gut, andere quetschen sich in die Menschenmenge. Einige haben Badetücher und andere Decken gegen die Kälte umgelegt, andere schlafen auf der Strasse oder im kleinen Wiesenstück bei der Grenzbrücke, wo auch die schon von weit riechenden ToiToi WCs stehen. Das rote Kreuz geht mit heissem Punsch und weichen Brötchen herum und zwingt uns dies quasi auf. Ist ja nett, aber da sind Tausende von Menschen die das nötiger haben als wir, und dann manchen die auch noch ein Video wie die die armen Touristen verpflegen, irgendwie schizophren.

 

Inzwischen ist es 20 Uhr und der Uruguayische Motorrad Fahrer rennt entnervt herum und entdeckt, dass immer mal wieder Leute von hinten ins Gebäude gelassen werden. Er wird kreativ und wir beschliessen als Gruppe 20 CHF pro Nase springen zu lassen, wenn uns einer der offiziellen Beamten ins Gebäude lässt. Unnötig zu sagen, dass das nicht klappte, so waren wir gegen 21 Uhr also noch immer an der selben Stelle, und machen einen neuen Plan. Zwei unserer Gruppe stellen sich für 30 Minuten an, dann werden sie abgelöst und der Rest bleibt bei den Motorrädern und Bobilchen. Aber auch dieser Plan scheitert, es geht keinen Schritt vorwärts und um 21 Uhr entdecken wir den hochgewachsenen Argentinier mit dem Mini Auto. Auch er steht noch irgendwo weit weg vom Eingang und friert offensichtlich sehr. Ich überlege mir kurzzeitig ein Kissen unter das T-Shirt zu schieben und irgendwas von schwanger zu erzählen, doch das scheint mir angesichts der Situation unpassend. Wir sprechen wieder mit einem Offiziellen, fragen nach einer Touristen Line und hören wieder die gleiche Antwort. Zudem aber bekommen wir auch die Information, dass es üblicherweise während der Nacht weniger Leute hätte, die anstehen, doch am frühen Morgen würde das Rote Kreuz dann die Sans Papier bringen, daher würde er uns empfehlen, nach Mitternacht dann doch anzustehen. Na prima, die Müdigkeit in den Knochen, überlegen wir uns, ob wir nun ein Nickerchen machen sollen im Bobilchen bzw. die Motorradfahrer ihr Zelt auf dem Grünstreifen aufstellen wollen. Der Neuseeländer trinkt sich die Situation schön und der Uruguayische Motorradfahrer rennt weiter hektisch herum und quatscht jeden und alle an, die er finden kann. Dies wird nach 22 Uhr zu unserem Glück, denn er trifft zwei Argentinische Backpackerinnen, welche eben erfahren haben, dass es ab 23 Uhr eine Touristen bzw. "nicht Venezolaner" Reihe geben soll. Hat das nervige Nachfragen unsererseits gefruchtet? Sind die Grenzbeamten nach 7 Stunden doch noch auf diese Idee gekommen? Tatsächlich, abgeschirmt von bewaffneten Polizisten stehen wir also mit rund 60 Touristen in einer Reihe vor dem Eingang. Die Polizei kontrolliert unsere Pässe und lässt ab 23 Uhr im 10- Minuten Takt immer wieder rund 10 Touristen hinein. Keine Frage, dass das der wartenden Menschenmasse nicht passt, es wird gejohlt, gepfiffen und an den Absperrungsgitter gerüttelt, jedes Mal wenn wieder ein paar Touristen ins Gebäude durften. Kurz vor Mitternacht kommen auch wir ins Gebäude und bekommen kurze Zeit danach den Einreisestempel in unseren Pass. Damit konnten wir dann zum Getränkekiosk spazieren und die vom DIAN (temporäre Einfuhr von Bobilchen) Beamten geforderten Kopien machen lassen. Damit ging es zurück zum DIAN Gebäude. Zum Glück ist die Grenzstelle Tulcan/Ipiales (und der Getränkekiosk mit Kopiermaschine) 24h geöffnet.

 

Der Nachtbeamte der DIAN war wohl etwas überfordert mit 5 ausländischen Fahrzeugen, nein 6, denn nun kam auch noch der frierende Argentinier mit dem Mini Auto daher. Der gesamte Prozess für all unsere Papiere dauerte dann gute 1.5 Stunden, aber dies wohl auch, weil hier nicht (wie bei allen vorangegangenen Grenzübertritten) die Fahrzeugpapiere ausreichend waren, nein, hier wollte man die Chassis Nummer kontrollieren und kopieren, richtig, kopieren und zwar mit Kohlepapier und einem Klebeband. In welchem Jahrhundert leben wir denn? Den Motorradfahrern haben sie den Kleber vom Fahrzeug abgerissen, da die Nummer nicht eingestanzt war, bzw. die eingestanzte Nummer nicht für das Klebeband erreichbar war. Das dies zu Problemen bei der Fahrzeugkontrolle in der Schweiz führen könnte, interessierte den Beamten erst wenig, am Ende wurde der zerrissene Kleber jedoch wieder hin geklebt. Paul, der Neuseeländer, war noch immer recht angesäuselt, der Uruguayische Motorradfahrer bei seiner x-ten Zigarettenschachtel angelangt und wir Schweizer einfach froh, dass alle Papiere (bis auf die SOAT Versicherung) unter Dach und Fach waren und so fuhren wir um 2 Uhr in der Früh zusammen mit den zwei Argentinischen Backpackerinnen in unserem Bobilchen die 4km nach Ipiales. Am Hauptplatz lassen wir die Mädels raus, selbst fahren wir einmal um den Block und finden tatsächlich den im IOverlander beschriebenen Zugang zum gesicherten Hotelparkplatz. Zu unserem Glück finden wir auch eine Klingel und diese betätige ich beherzt für sicher eine Minute. Und es wurde Licht, der Nachtwächter macht auf und lässt 4 Motorräder und 1 Jeep rein. Wir schnappen die wichtigsten Sachen aus dem Auto, die Motorradfahrer schnallen ihr Softgepäck ab und als wir die Lobby betreten, stehen da schon die beiden Backpackerinnen. Zum Glück hatte das Hotel noch genügend Zimmer und um 2h30 Uhr knallten wir uns aufs Bett.

 

Für weniger als 15 CHF pro Zimmer haben wir die erste Nacht in Kolumbien in einem bequemen, sauberen Bett verbracht (Hotel Reina Isabella) und wurden kurz vor 9 Uhr durch eine kalte Dusche erfrischt. Frühstück mit Paul, Ralph, Dennis und dem Uruguayer ausserhalb des Hotels in einem lokalen Restaurant. Während wir ein preiswertes und reichhaltiges Frühstück genossen, verabschiedete sich der Uruguayer nach einem schnellen Kaffee - seine Freundin wartet in Costa Rica und er war noch immer ganz durch den Wind wegen des Grenzüberganges. Paul, Ralph und Dennis fuhren am selben Tag noch Richtung Cali und wir lösten im Supermarkt um die Ecke bei einer netten Dame unsere SOAT (obligatorische Autoversicherung) und hoben am Geldautomaten im selben Supermarkt noch Geld ab. Viele Scheine für 200 CHF, denn 30^000 COP sind rund 10 CHF. Was für ein Grenzübergang, aber zum Glück in netter Gesellschaft.