Fahrt nach Arica und Rückblende Chile

Wir sind auf der Strecke nach Arica, es zieht sich, auch wenn die PanAm gut ausgebaut ist. In der Ferne, da wo die Anden sind, hängen schwarze Wolken, an der Küste bzw. bis zu 1000 Meter höher ist es sehr warm und sonnig. In Arica müssen wir vor dem Grenzübertritt nach Peru noch 5 Dinge erledigen: Geld wechseln, Bobilchen waschen lassen (Bobilchen sieht aus wie ein Wildschwein, dass sich im Dreck gesuhlt hat), im Speziellen der Unterboden, denn da klebt eine rechte Schicht Dreck/Salz, dann müssen wir  tanken, eine E-Mail an Seabridge senden (für die Formalitäten bezüglich Verschiffung ab Cartagena, Kolumbien - USA) und last but not least noch eine Ersatzbirne für den Scheinwerfer kaufen (diese musste in der Zwischenzeit nun doch gewechselt werden, da half auch kein Draufhauen mehr) und passende Ersatzbirnen bekommt man hier ja problemlos in einem Repuesto, in Peru wohl eher nicht.

 

Die Monotonität der Industriewüste mit kaum bis gar keinem Bewuchs ist kein Highlight, manchmal mischt sich eine farblose Stein/Sandwüste ins Bild und wird nur einmal bei Cuya unterbrochen, wo man von rund 1000 Meter Höhe hinunter in eine am Talboden grüne Schlucht fährt, einen der einzigen Flüsse im Norden quert die das Meer erreichen, und dann auf der anderen Seite der Schlucht wieder 1000 Meter hoch fährt. Entlang der Strecke gibt es ab und an Ausblicke auf Geoglyfen, Windhosen und Luftspiegelungen. Zeit um Rückblende zu halten.

 

Chile ist ein Land der verrückten Geographie, mit freudlichen und hilfsbereiten Bewohnern und man fühlt sich in den meisten Gegenden wohl, willkommen und sicher. Auch das Essen ist gut und variantenreich, eher bodenständig und reich an Fleisch. Ob nun Curanto (Schmorbraten), Apfelkuchen oder Torta de Selva Negra, Meeresfrüchte, Fisch oder Pizza, der Einfluss von Region und Einwanderern ist gut spürbar. Cazuela ist ein würziger Eintopf, Pepre eine Sauce aus Chillipfeffer, Knoblauch und (zu Markus Enttäuschung) Koreander. Pastel de Choclo sind herzhafte Küchlein aus Mais, Rindfleisch, Oliven, Rosinen, gekochten Eiern und Zwiebeln, welche im Ofen gebacken werden, manchmal wird auch ein wenig Zucker dazugegeben. Die vegetarische Variante heisst Humita. Natürlich sind auch Empanadas beliebt und für starke Esser wird ein Fleischstück "a lo pobre" angeboten, dann ist das mindestens 300g schwere Steak garniert mit gerösteten Zwiebeln, zwei Spiegeleiern, Salatblatt und Pommes. Zum Trinken gibt es verschiedenste (auch viele Kleinbrauereien) Biere, Pisco Liköre aller Art und Wein.

 

Zum Thema Wein: 1830 wurde eine erste nationale Agrarforschungsanstalt gegründet und bald 70 verschiedene internationale Rebsorten angepflanzt, doch bis Mitte des 19. Jahrhunderts war der chilenische Wein ausserhalb des Landes weitgehend unbekannt, denn weder in Menge noch Qualität konnte er mit den europäischen Gütern mithalten. Dies änderte erst durch den Einfluss eines kleinen Insekts, der Reblaus. Diese zerstörte die meisten Reben in den europäischen und überseeischen Weingütern, ist aber bisher in Chile noch nicht aufgetreten. Das mag an der isolierten geografischen Lage liegen, oder an der Bewässerungsart: die Pflanzungen werden geflutet. Bis in die 70er Jahre hinein produzierte man lediglich für den Binnenmarkt, doch das änderte sich gegen Ende 1980, als die grossen Güter das einzig Richtige machten, sie änderten die Strategie und versuchten Klasse statt Masse zu produzieren. Heute exportiert Chile jährlich rund 800 Millionen Liter Wein in die ganze Welt und ist somit auf Rang 4 der exportierenden Weinländer. Die Traube Carmenère hat das Potenzial zu schwergewichtigen, samtigen Weinen, mit denen sich Chile einen Namen machen möchte, da es seit der Weinpest in Europa das einzige Land ist, wo die Stöcke überlebt haben. Erst vor kurzem wurde entdeckt, dass viele der importierten Merlot Reben in Wahrheit Carmenère sind. Mir haben diese Weine gut geschmeckt, auch wenn sie etwas gewöhnungsbedürftig sind.

 

Autofahren ist so eine Sache in Chile, aber ausserhalb der grossen Städte recht entspannt. Die Verkehrsregeln entsprechen weitgehend den europäischen, allerdings werden sie weniger beachtet. Es wird links und rechts überholt, auch wer links blinkt, biegt plötzlich fröhlich rechts ab und mit Überraschungen ist immer zu rechnen. Immerhin, die Chilenischen Autofahrer sind höflich und zuvorkommend, Lastwagenfahrer setzen den linken Blinker, wenn sie anzeigen wollen, dass überholt werden kann und in der Regel grüssen sie auch freundlich zurück. Auf einigen Autobahnstücken der PanAm wird Maut erhoben, trotz allem muss man aber auch auf diesen Abschnitten mit einem Pferdewagen, kreuzenden Fahrzeugen oder Fussgänger rechnen.

 

Wenn man jemanden kennenlernt, und noch nicht kenn, so begrüssen sich Mann und Frau mit Wangenkuss, Frauen untereinander auch, Männer wiederum reichen sich die Hand. Dies ist gewöhnungsbedürftig aber nicht unsympathisch. Überhaupt empfanden wir die Chilenen durchwegs als freundlich und hilfsbereit, Touristen gegenüber aufgeschlossen und insbesondere Europäern gegenüber. Pünktlichkeit ist keine lateinamerikanische Tugend, aber in Chile empfanden wir den Unterschied zu Südeuropa als nicht sehr gross.

 

Chile ist das Land der verrückten Geographie. Selten kann man solch eine Diversität in einem einzigen Land finden, aber es sind auch die Proportionen des rekordverdächtigen Landes. Mehr als 4300km sind es von Feuerland bis zum Grenzposten bei Arica, bei einer durchschnittlichen Breite von eben mal 180km. Somit ist Chile flächenmässig (757000 km2) eines der kleineren Länder Südamerikas, aber immer noch doppelt so gross wie Deutschland. Chile kommt dem Südpol am nächsten und würde man die Nord-Süd-Ausdehnung koordinatengetreu auf die Nordhalbkugel übertragen, so würde dies der Strecke von Südschweden bis nach Timbuktu in Mali entsprechen. So ist es kaum verwunderlich, dass das Land bei solch einer Ausdehnung auch eine besonders abwechslungsreiche Gestalt besitzt. Zu Chile gehören nicht nur die vielen Inselchen in den Fjorden des Pazifik, sondern auch die küstennahe Insel Chiloé, der Juan-Fernandez Archipel (670km vor dem Festland / Robinson Crusoe Insel) und die sagenumwobenen Osterinseln (3800km vor der Küste).

 

Geografisch wird das Land in fünf Teilräume eingegliedert: den grossen und kleinen Norden, die Zentralzone und der grosse und kleine Süden. Für die Küsten im Norden ist der Humboldt Strom wetterbestimmend. Er bringt kaltes Wasser mit sich, daher sind Küstennebel vorherrschend und es fällt nur wenig Niederschlag. Der grosse Norden besteht hauptsächlich aus Wüsten (im Kernbereich die trockensten Gebiete der Welt) und Hochgebirgen, im kleinen Norden nehmen die Niederschläge zu und so kann man gut den Vegetations- und Landschaftswechsel beobachten, die Vollwüste wird allmählich zur Strauch - und Sukkulenten Wüste. In Mittelchile lässt sich die in Nord-Süd Richtung verlaufende Dreiteilung des Landes am besten beobachten: direkt an die Küste anschliessend das Mittelgebirge der Küstenkordillere, dann das weite, hier sehr fruchtbare Längstal, in dem vorwiegend Obst und Wein angebaut werden, und im Osten die Hochkordillere, die hier ihre höchste Erhebung hat, den Aconcagua (dessen Gipfel mit 6959 Meter jedoch auf argentinischem Gebiet liegt). Der kleine Süden ist relativ dicht besiedelt und ein regenreiches Gebiet mit grossen Seen und Flüssen, schneebedeckten Vulkanen und dem Siedlungsgebiet der wehrhaften Mapuche Indianer, welche der Eroberung weisser Siedler bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts standhielten. Der Grosse Süden wiederum ist das Land der Urwälder, Gletscher und Eisfelder, bizarrer Gipfel, reissenden Bäche, riesiger Seen und tief eingeschnittenen Fjorde mit Tausender kleiner und kleinster Inselchen. Durch eine Fähre verbunden, bzw. durch die Magellanstrasse vom Kontinent getrennt ist der Feuerland Archipel, und natürlich erhebt auch Chile Landansprüche auf Teile der Antarktis. Die Anden sind das Rückgrat Südamerikas und durchziehen Chile auf voller Länge. Dass die Gebirgsbildung hier noch nicht abgeschlossen ist, davon sprechen die zahlreichen, teils sehr aktiven Vulkane.

 

Aufgrund der enormen Nord-Süd Ausdehnung des Landes und der grossen klimatischen Differenzen hat sich in Chile eine sehr artenreiche und je nach Landesteil unterschiedliche Tier- und Pflanzenwelt entwickelt. Da die Andenkette das Land nach Osten zum nächsten Nachbarn Argentinien abschliesst, finden sich in Chile auch heute noch zahlreiche Arten, die ansonsten eher in Neuseeland oder auf den pazifischen Inseln vorkommen. Menschliche Eingriffe haben vor allem in Zentral-und Südchile den Charakter der Landschaft nachhaltig verändert. Wo noch bis vor 50-100 Jahren in dichtem Urwald Pumas und Andenhirsche umherstreiften, erstrecken sich heute vielerorts ausgedehnte Weiden und Flusstäler wurden überflutet. Umso überraschender war die Sichtung eines Pudus für uns, eines vom Aussterben bedrohten Zwerghirsches. Auch überraschend war die vegetationsarme, aber nicht vegetationslose Wüste im Norden. Eine äusserst faszinierende Gegend in welche wir gerne nochmals zurückkehren möchten (idealerweise nicht während der regenreichen Zeit des Bolivianischen Winters). Aber nicht nur die Pflanzenwelt, auch die Tierwelt war facettenreich und faszinierend.  

 

Die präkolumbische Geschichte lässt sich vor allem aus archäologischen Fundstücken rekonstruieren. Seit rund 10.000 vor Christus ist das Gebiet des heutigen Chile durch über die Beringstrasse eingewanderte Menschen besiedelt. Die meisten Völker lebten nomadisch oder halbnomadisch und ab Mitte des 15. Jahrhunderts rückten die Inka mehr und mehr nach Süden vor. Das Land südlich von Santiago verblieb jedoch fest in Händen der Mapuche. Die Spanische Eroberung ist eng mit der Geschichte der übrigen Südamerikanischen Ländern verknüpft und Pedro de Valdivia gründete 1541 die erste Stadt in Chile (Santiago), kurz danach folgte La Serena und Valparaiso. Eine weitere Ausdehnung in den Süden wurde durch den Widerstand der Mapuche verunmöglicht. Chile war damals eine der ärmsten Provinzen in der Neuen Welt und 1543 hatte Spanien das Vizekönigreich Peru gegründet, welche mit Ausnahme von Venezuela das gesamte spanische Südamerika umfasste. Die Unabhängigkeitsbestrebung war ein Ergebnis eines längeren Prozesses, vier Faktoren waren dabei wichtig: Das zunehmende britische Wirtschaftsinteresse an den südamerikanischen Ländern bei gleichzeitiger politischer Schwäche Spaniens, die Veränderung der europäischen Gesellschaft durch den Aufstieg des Bürgertums (neue Märkte mussten erschlossen werden), die Oberschichten Lateinamerikas welche nach freien Handels- und Konsummöglichkeiten strebten sowie der kulturelle Wandel durch die Ideen der Aufklärung, die in Lateinamerika vor allem durch die Freimaurerlogen verbreitet wurden.  Am 18. September 1810 konstituierte sich in Santiago die erste Nationalregierung und am 12. Februar 1818 erklärte Chile seine Unabhängigkeit.

 

Mit dem Ausrufen der Unabhängigkeit war Bernardo OHiggins zum Director Supremo ernannt worden. Er genoss weitgehende Machtbefugnisse und setzte Reformen durch, so schaffte er die Adelstitel und die Erbfolgeregelung ab, förderte den kleinen Landbesitz und verbesserte die Grundbildung und das Gesundheitssystem. Leider folgte diesem guten Start ein stetiges Auf und Ab. 1860 boomte Chiles Wirtschaft, Kupfer, Salpeter und Guano wurden gefördert und britische Kapitalgeber investierten in den Ausbau der Minen und Infrastruktur. 1879 gewannen die Chilenen den "Salpeter Krieg" und Bolivien verlor seinen Zugang zum Meer. Ab 1881 unterlagen die Mapuche der Kolonisierungspolitik und die südlichen Ländereien wurden besiedelt. Anfang des 20. Jahrhunderts wurden die Parteien in der Politik immer wichtiger und es organisierten sich erstmals die Arbeiter in den Minen. Nach dem ersten Weltkrieg schlitterte Chile langsam in die Wirtschaftskrise und 1924 setzte das Miltär den Präsidenten ab, der erstmal eine Sozialversicherung in Chile eingeführt hatte. Zwischen 1930 und 1950 lösten sich linke und konservative Regierungen ab, und den US-amerikanischen Firmen gehörten bei Kriegsende die meisten Kupferminen im Land. Im Zweiten Weltkrieg musste Chile auf Druck der USA den Alliierten beitreten, beteiligte sich jedoch nicht aktiv am Kriegsgeschehen.

 

1959 siegte in Kuba die Revolution und stärkte so auch die Linke in Chile. Da die USA einen Dominoeffekt fürchtete, nahmen sie immer stärker Einfluss. 1964 unterstützten die USA die streng antikommunistische Partei DC. Salvador Allende, der unterlegene Kandidat, beschrieb später die Gräuel der antikommunistischen Propaganda und auch die CIA musst eingestehen, dass sie massgeblich (20mio Doller) an dieser Schreckenskampagne beteiligt gewesen sei. Am 4. September 1970 übernahm dann jedoch erstmalig auf der Welt ein Marxist im Rahmen freier Wahlen die Regierungsgewalt und Salvador Allende wurde Präsident. Seine Massnahmen waren populär und er löste seine Wahlversprechen ein, egal ob Erhöhung der Mindestlöhne, kostenlose Milch in den Schulen, unentgeltliche Gesundheitsfürsorge etc. Die Kupferminen wurden verstaatlicht und sofort stellten die USA jegliche Hilfs- und Kreditprogramme ein. Gleichzeitig begann ein internationaler Kapitalabzug und mit Unterstützung der CIA wurde wild gegen den Kupferpreis an den internationalen Börsen spekuliert. Während der Allende Regierungszeit wühlte die CIA im Untergrund und setzte mehr als 8 Millionen Dollar zur Destabilisierung ein. Diese Destabilisierungspolitik führte direkt in den Putsch des Militärs am 11. September 1973 und der folgenden Diktatur von General Augusto Pinochet. Die Militärjunta übernahm die Macht und leitete einen grenzenlosen Terror ein. Zehntausende wurden verhaftet, in Stadien interniert und gefoltert, verurteilt, lebendig aus Flugzeugen ins Meer gestossen oder sonst getötet und in Massengräbern verscharrt. Hunderttausende flüchteten ins Exil und die Diktatur (der Chilenische Geheimdienst DINA und die CIA arbeiteten Hand in Hand) dauerte offiziell bis 1988. Pinochet wurde nicht wiedergewählt, aber seine Macht wurde nicht gebrochen. Nach der Abdankung als Präsident 1990 verblieb er Oberbefehlshaber der Streitkräfte und Senator auf Lebenszeit. 1998 wird er am Krankenbett unter Arrest gestellt, da ein internationaler Haftbefehl ausgesprochen wurde und nur knapp entgeht er der Auslieferung. Es wurde offiziell Anklage gegen Pinochet erhoben, aber der Prozess wurde letztlich wegen Altersdemenz eingestellt. Er stirbt 2006 im Alter von 91 Jahren. Im selben Jahr kam mit der Sozialistin Michelle Bachelet die erste Frau auf den Präsidentensessels und ihre Wahl war eine Sensation: eine linke, geschiedene, alleinstehende Mutter und Atheistin an der Spitze eines konservativ-katholisch, patriarchal geprägten Landes. Sie hat in den DDR Medizin studiert, ist mit Angela Merkel auf Du und wurde 2013 erneut wiedergewählt. Das Land wird nach deutschem Vorbild regiert. Ihre Bemühungen fruchten, aber auch hier ist nicht alles lupenrein, aber wo in der Politik ist es das schon. Immerhin ist es Chile binnen 20 Jahren nach Ende der Diktatur gelungen, die Demokratie wieder auf feste Füsse zu stellen.

 

Was die Aussenpolitik anbelangt steht Chile in Südamerika etwas im Abseits, mit Peru streitet man sich über die Grenzziehung innerhalb der 200-Meilen Zone im Pazifik, mit Bolivien unterhält man nicht mal diplomatische Beziehungen wegen des Konflikts um den Zugang zum Meer und mit Argentinien ist es sowieso so eine Hassliebe, man streitet sich um Anteile am Patagonischen Festlandeis und ganz allgemein trauen die Argentinier den Chilenen nicht über den Weg und umgekehrt. Dafür hat Chile weltweit gute Kontakte, UN-Friedenseinsätze und Mitgliedschaft in der OECD und Mercosur zeugen davon. Chile gehört zu den wirtschaftlich dynamischsten und stabilsten Länder Südamerikas und ist bekannt für seine klaren, investorenfreundlichen Regeln sowie für die solide Verwaltung der Staatsfinanzen. Für lateinamerikanische Verhältnisse besitzt Chile eine ausgeprägte und grosse Mittelschicht, das durchschnittliche Monatseinkommen liegt bei rund 1200 Euro. Leider bekommt Chile schlechte Noten, wenn es um die Verteilung des Einkommens geht, die Einkommensschere klafft stark auseinander und rund 15% werden als arm eingestuft (Einkommen weniger als 500 Euro im Monat), dafür liegt die Arbeitslosenrate bei nur rund 6%. Wie in allen Ländern Lateinamerikas spielt auch in Chile der sogenannte informelle Sektor eine wichtige Rolle. Es entwickeln sich vorwiegend Dienstleistungen, die nicht in den offiziellen Statistiken auftauchen und daher sind alle Zahlen natürlich relativ. Die Chilenen werden oft als die Preussen Südamerikas bezeichnet und haben eine strikte Aufsteigermentalität verinnerlicht, der Europäische Lebensstil wird als Vorbild genommen. Dennoch spannt die Grossfamilie das soziale Netz, welches der Staat nicht bietet. Innerhalb der Familie sind die Rollen streng verteilt, der Mann hat ausserhalb der vier Wände zu bestimmen, dennoch ist die Frau die letzte Instanz bei allen die Familie betreffenden Fragen. Das Frauenbild ist recht festgefügt, aber längst hat die Emanzipation auch in Chile Fuss gefasst und das Selbstverständnis des Mannes (Machismo) ist angekratzt. Anders gesagt, das Reisen als Frau in Chile ist sehr angenehm und mir wurde zwar charmant aber immer mit Respekt begegnet.

 

Chile hat knapp 18 Millionen Einwohner. Ähnlich wie in der Schweiz ist nur ein Drittel der Landesfläche landwirtschaftlich nutzbar (klimatische und geografische Gründe). Hier wird Ackerbau und Weidewirtschaft betrieben, aber auch Forstwirtschaft, da dank klimatischen und günstigen Bodenverhältnisse z.B. die Kiefer dreimal schneller als in den USA wächst. So sieht man leider auch Monokulturen mit Kiefern und Eukalyptus mit entsprechenden Konsequenzen für Umwelt und Landschaft. Ein weiteres Problem ist die Überfischung der Küstengebiete. Die mageren Fangquoten werden zumindest teilweise durch die Fischzucht wett gemacht. Chile ist inzwischen nach Norwegen der zweitgrösste Lachsexporteur der Welt, aber wir können auch in unseren Supermärkten Frischobst, Gemüse, Tafeltrauben und Wein aus Chile kaufen. Zu den Stars unter den Export Lebensmitteln gehören Oliven, Nüsse und Avocados sowie Kirschen, Pflaumen und Blaubeeren. Nebst der Landwirtschaft ist der Bergbau ein grosser Arbeitgeber. Chile ist mit grossem Abstand vor China und Peru der grösste Kupferproduzent weltweit. Chiles Energiebedarf wird durch Erdöl, Brennkohle, Erdgas und Wasserkraft gedeckt. Auf Kernenergie hat Chile bislang verzichtet und die Nutzung erneuerbarer Energien steckt noch in den Kinderschuhen, obwohl bereits vereinzelt Windparks und Solarkraftwerke zu finden sind.

 

Chile ist berühmt für seine effektive Verwaltung und wir waren wo immer wir damit in Kontakt kamen, positiv überrascht. Strickt aber korrekt und effizient. Chile wird in absehbarer Zeit den Schritt vom Schwellenland zum entwickelten Land schaffen. Unserer Meinung nach hat es diesen bereits geschafft, aber dennoch sieht die ökologische Bilanz nicht so toll aus. Sei es nun die Ausbeutung natürlicher Ressourcen, Pestizideinsatz, vergiftete Abwasser der Zellulose oder Kupferindustrie, das Wirtschaftswachstum hat den höheren Stellenwert als grüne Ideen, obwohl diese langsam aber sicher salonfähig werden und man auch im Alltag Mülltrennung und Sensibilisierungskampagnen antrifft. Was für uns kaum vorstellbar ist, da wir das schöne Städtchen Coyhaique im Sommer besuchten, ist, dass Osorno und Coyhaique in der kühleren Jahreszeit angeblich gefährliche Smogwerte aufweisen, hauptsächlich wegen der massiven Nutzung feuchten Feuerholzes. Nicht alle Umweltprobleme sind hausgemacht, auch der globale Klimawandel macht vor Chile nicht halt. Seit 1950 ist die Durchschnittstemperatur in Santiago um ein Grad angestiegen und überall in Chile schmelzen die Gletscher ab, während andere Gegenden von Dürreperioden heimgesucht werden. Die höheren Temperaturen beeinflussen auch die Verschiebung der traditionellen Weinanbaugebiete. Andererseits besitzt Chile eine Fülle unterschiedlicher Naturschutzgebiete, 36 Nationalparks und weitere Reservate und Naturmonumente stellen ca. 20% der Staatsfläche unter Naturschutz.

 

Und dann noch ein kleiner Exkurs zu einem Frauenthema (Männer können diesen Abschnitt überspringen): Es scheint in Chile keine Ob´s zu geben, nur Tampax. Diese sind zwar hochedel mit Plastikapplikatoren ausgestattet, kosten aber im 8-er Pack doppelt so viel wie eine Maxi Packung Ob´s. Verstehe das einer, ist so ähnlich wie das Thema Duschgel vs. Seife. Noch immer findet man in Südamerika vornehmlich die Blockseife, Duschgel eher selten. Dafür sind andere Nivea Produkte gut zu finden, wobei die Nivea Gesichtscreme schnell zu den Luxusgütern gehören kann und dementsprechend im Verhältnis nicht billig und mit extra Sicherheitsverschluss hinter Glas zum Verkauf ausgestellt wird.

 

Wir haben die Chilenen als hilfsbereit und gegenüber Europäischen Touristen extrem aufgeschlossen und freundlich erlebt. Chile ist das Highlight unserer bisherigen Reise und wir denken, wir haben uns ein ganz wenig in dieses facettenreiche Land verliebt. Es bietet so viele landschaftliche Highlights und ist gleichermassen leicht zu bereisen. Mehr zu unseren persönlichen Highlights findet Ihr in den vorangegangenen Blogs und unseren Bildern zu Chile: Süden, Patagonien, Mitte und Nordchile.

 

In Arica stehen wir 2 Nächte auf einem Campingplatz leicht ausserhalb der Zweckstadt. In der Stadt sehe ich die erste bolivianische Chola, eine Indegene in der traditonellen Kleidung. Überhaupt wuselt es im Dreiländereck von verschiedenen Ethnien, in der Stadt, welche nicht schön, aber heiss und schwühl ist. Wir sind froh, dass wir am 2. Nachmittag, nachdem wir unsere 5 Punkte Liste abgearbeitete hatten, noch im Pool des Camping abkühlen konnten.  Am Abend schenken uns die chilenischen Campingnachbarn (eine Familie, die mit einem Trailer unterwegs sind) ganz unerwartet noch eine Packung Kekse und wünschten eine gute Weiterreise. So geht unser letzter Tag in Chile zu Ende - wir sind schon etwas traurig, denn Chile hat uns ausgesprochen gut gefallen. Morgen heisst es Grenzübertritt nach Peru.