Süsse Nager und quietschende Bremsbeläge

Wir fahren entlang der Ruta de Cristallo, Kristalle bekommen wir natürlich keine zu sehen, aber es hat wohl viele kleine Mienen und früher wurden hier Quarze gefördert. Bis 1950 war diese Strasse die einzige Verbindung von Süd nach Nord und führt durch einsame Kakteenschluchten, über schmale Eisenbrücken und enge, dunkle zum Teil sogar kurvige und einspurige Tunnel. So ein Tunnel zu durchfahren ist nicht ganz so spassig, da man nie weiss was entgegenkommt, aber nach dem Passo Los Cristales kommen wir an einem netten Café vorbei, wo wir willkommen geheissen und mit Kaffee und wirklich leckeren, leicht warmen Ziegenkäse Sandwiches bewirtet werden. Die Gastgeberin hat in ihrem Garten zwei Steintische unter einer Bergola aufgestellt und ihr Mann trug eben riesige Quarzkristalle ins Haus hinein, mit der Bemerkung, die seien zum Vollmond gewaschen und im Mondlicht zum Trocknen und Energie aufnehmen draussen gewesen. Aha, also leicht esoterisch der Ort: Energia Natural heisst das Café und am Ende bat uns die sympatische Senora auch noch um ein Bild von den zwei Schweizern für ihre Facebook Seite. Wer Facebook hat kann ja mal schauen, was die für ein Foto von uns hochgestellt hat ;-) 

Für die Nacht richteten wir uns auf dem einfachen aber sympatischen Camping des Reserva Nacional Las Chinchillas ein, spontan wurden dann aus einer, zwei Nächte, es war einfach erholsam, wir konnten Wäsche machen und im Wind trocknen lassen und die süssen kleinen Nager beobachten. Es gab zwei Wege durch die Gegend, mit schönen Ausblicken und Erklärungen zu den verschiedenen Kakteen und anderen Gewächsen in der Umgebung. Ganz abgesehen davon haben wir zwei nette, nicht mehr ganz junge Schweizer kennen gelernt, welche ebenfalls seit einigen Wochen in Argentinien und Chile unterwegs waren, nicht zum ersten und nicht zum letzten Mal. Hans und Ruedi sind viel gereist und haben interessantes und spannendes erlebt. Ruedi, pensionierter Optiker, war nicht nur einige Zeit in Afrika tätigt, sondern auch auf den Lofoten... ich höre solche Geschichten ja unglaublich gerne. 

 

Im Reserva Nacional wurden wir vom Guardaparque Victor begrüsst, der uns gleich alles mögliche zeigte, ja am Ende übergab er uns sogar den Schlüssel für die Dusche, welche eigentlich nur für die Angestellten wäre. Super nett und mit einem breiten Wissen zu den Bewohnern und Pflanzen des Reservates. Er machte uns auch mit einer Familie Degus bekannt, das sind kleine Mäuschen mit einem buschigen Schwanz. Entgegen den Chinchillas sind diese tagaktiv und unglaublich putzig anzuschauen. Wir durften sie mit ein paar Apfelschnitzchen füttern, und zuschauen, wie sie blitzschnell in einem Loch verschwanden und im nächsten wieder auftauchten, sich im Schatten eines Busches ausruhten und sich mit den Vögeln zusammen am Vogelbad erfrischten. Ich gebe zu, auch wenn die Umgebung sehr an den Afrikanischen Busch erinnerte, so ist das nicht Big Safari, aber allerliebst anzuschauen. Ihr grösster Fessfeind ist das Kaninchen, welches hier eigentlich nicht heimisch ist, aber langsam aber sicher zu einer Plage wird. Das Kaninchen frisst auch den Chinchillas, für die dieses Reservat eingerichtet wurde, alles weg. 

 

Ursprünglich lebten Chinchillas zu Millionen im Norden von Chile, wurden jedoch wegen ihres dichten, weichen Felles ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gnadenlos gejagt. Um 1900 sollen bis zu 500.000 Chinchilla Felle jährlich exportiert worden sein, die kleinen, nachtaktiven Nager wurden dadurch fast ausgerottet. Wir durften im liebevoll betreuten Nocturama eben solche Chincillas anschauen, daneben auch Darwinmäuse und Beutelmäuse sowie irgend so eine Art Siebenschläfer. Viktor erklärte alles ausführlich, er scheint die putzigen Genossen wirklich gerne zu haben. Anscheinend gibt es zwei Chinchillas: Chinchilla Laniger (hat einen längeren Schwanz und ist das ursprüngliche und endemisch vorkommende Chinchilla) sowie das etwas grössere Tierchen mit kürzerem Schwanz, welches auch als Haustier in Zoohandlungen erhältlich ist. Seit 1929 sind die Tiere per Gesetz geschützt, doch wurden sie illegal gejagt, bis sie fast ausgerottet waren. Mehrere hundert Tiere benötigt man für einen Pelzmantel oder Bettüberwurf wie man ihn auch in Europa noch lange kaufen konnte. Auch die Inkas machten Mäntel aus den Tierfellen, da dieser Luxus jedoch nur den Herrscher Familien vorbehalten war, wurden die Tiere nicht an den Rand der Ausrottung gebracht. Zwei Mal im Jahr wird das Weibchen für rund 4 Tage empfängnisbereit und nur dann lässt das grössere Weibchen das kleine Männchen in seine Nähe. An allen anderen Tagen muss das Männchen damit rechnen vom Weibchen zu Tode gebissen zu werden. Somit sind Männchen Einzelgänger und die Weibchen leben in Gruppen und mit den Jungtieren. Diese nicht eben nette Umgangsform unter den Tieren macht auch das Züchten extrem schwierig. Trotz allem versuchen sie im Nocturama eben dies, entlassen dann aber die Tiere nach einiger Zeit wieder in die freie Natur. Da nur etwa 1500 der Tiere überlebten, ist der Genpool der Chinchilla Laniger sehr anfällig für Defekte und somit gibt es heute viel Chinchillas mit zwei unterschiedlich farbigen Augen. Der Bestand hat sich derweil auf rund 12.000 Tiere erhöht. 

 

Wie wir weiterfahren, stellen wir fest, dass eines der Bremslichter nicht mehr funktioniert, dann auch noch einer der Scheinwerfer und zudem beginnen auch noch die Bremsen zu quietschen. Wie es unser Glück will, ist es Sonntag, und da müssen wir uns nicht auf die Suche nach einem vertrauenswürdigen Mechaniker machen, auch die haben am Sonntag frei. Die Bremsen quietschen zwar, aber bremsen noch, die Bremsscheiben sind heiss und so fahren wir nicht all zuweit aufs mal und finden ein schönes abgelegenes Tal (Monte Patria nach Combarbal via Caren und Tulahuen) wo wir auf einem natürlichen Aussichtsplateau mit Blick auf Berg und Tal nächtigen. Die Blaue Stunde, die die Bergkette in feinste Abstufungen aus Blautönen hüllt, ist genauso schön wie der Sternenhimmel in der Nacht.

 

Am Montag fahren wir zeitig nach Ovalle, wo wir vormittags Jorge Diaz und seinen Bruder Sergio fanden. Zwei ältere Herren in einer einfachen Werkstatt. Sofort bereit uns zu helfen, wollten sie nur wissen, warum denn in letzter Zeit so viele ausländische Overlander mit eben solchen Fahrzeugen zu ihnen kommen würden und ob wir die alle kennen. Ich erklärte ihnen, dass sie in einem online Verzeichnis namens IOverlander auftauchen würden und dort drin seien vertrauenswürdige Werkstätten (Taller) und eben weniger vertrauenswürdige aufgelistet und sie seien unter den ersteren notiert. Das freute die beiden ungemein, sie waren super freundlich und gaben uns quasi Nachhilfeunterricht zu unserem Bobilchen. Erst wurden alle Bremsen kontrolliert, die Stossdämpfer etc. Dabei stellte Jorge fest, dass unsere vorderen Bremsbeläge sehr abgefahren waren, die hinteren und die Stossdämpfer jedoch in gutem Zustand sein. Den Scheinwerfer brachte er mit einem beherzten (fast medizinisch anmutenden) Schlag wieder zum Laufen. Danach hob er wie Maradonna die Hand in den Himmel, küsste sie und grinste. Wackelkontakt, sei bei älteren Autos ab und an der Fall. Trotz allem empfahl er uns eine passende Ersatzbirne zu kaufen und ebenso für das Bremslicht, denn diese Birne war wirklich hinüber.  Markus konnte unter Anleitung mitarbeiten, ich fuhr mit dem Bruder zu einem Ersatzteile Geschäft (Repuesto) und nach einem Mittagessen (Siesta muss sein und wir wurden dafür zum örtlichen Markt geschickt wo wir ein einfaches aber gutes Menu genossen) wurde weitergearbeitet. Erstaunlich ist wirklich, was man in diesen Repuestos alles bekommt. Nachdem uns die leider nicht mehr so geschätzte Emil Frey Garage in der Schweiz unfähigerweise auch noch die falsche Ersatzbirne für unsere Scheinwerfer verkauft hat (gegen sehr viel Geld) genügte hier ein Blick ins Typenbuch sowie ein Gang durch das Lager um die preiswerten und richtigen Ersatzteile zu greifen. Super Sache. Werkstätten haben keine Ersatzteile, die muss man selbst besorgen, der Einbau jedoch findet dann wiederum bei der Werkstatt statt und für die geleistete Arbeit wollten sie nicht viel, die Summe haben wir mit einem guten Trinkgeld aufgerundet. Gegen 16 Uhr fuhren wir mit allen funktionierenden Lichtern, neuen Bremsbelägen und vielen guten Wünschen von "neuen Freunden" wieder vom Hof. Eine sehr positive und lehrreiche Erfahrung. 

 

Am gleichen Abend, fanden wir entlang eines Feldweges auf der gegenüberliegenden Seite des Tales, an welcher die geteerte Strasse nach Rio Hurtado führt, ein schönes, abgelegenes Plätzchen zum Übernachten. Eben hatten wir unter unserer Bobilchen Aussendusche fertig geduscht, fährt ein Auto mit Wohnaufbau und chilenischem Nummernschild heran. Das Auto hält, der Fahrer steigt aus und sagt in breitestem Dialekt: Hoi Zämä! So lernten wir Thomas und seine Partnerin Yvonne kennen. Beide touren in regelmässigen Abständen und seit 15 Jahren durch Chile und Argentinien, haben inzwischen Freunde in beiden Ländern und daher auch ein in Chile immatrikuliertes Fahrzeug. Er ist Feuerwehrmann und sie arbeitet im Controlling, beide aber schaffen es immer wieder für mehrere Monate zu verreisen. Echt ein Vorbild! Auch was seine Fotos anbelangt, wirklich sehr professionell! Da könnten wir noch viel lernen. Am besten gefällt mir aber seine Aussage: "Früher hatte ich eher das Gefühl ständig fotografieren zu müssen, in der Hoffnung, einige gute Fotos erwischt zu haben. Heute habe ich jedoch die innere Ruhe gefunden, um nur dann zu fotografieren, wenn ich das Gefühl habe, das es ein gutes Bild wird." Schaut Euch die Bilder an: www.tierra-foto.ch - vielleicht entdeckt ihr ja auch irgendwo eine Anzeige oder einen Aushang, denn er macht in der Schweiz immer wieder professionelle Vorträge von seinen Reisen. 

 

Wir fahren die mittlerweile gut ausgebaute Erdstrasse nach Vicuna im Valle Pisco Elqui. Und oh weh, die Bremsen quitschen wieder, lauter denn je zuvor. Viele Autos hier quitschen, aber in Vicuna haben uns die einen oder anderen Personen schon nachgeschaut. Herrje, haben Jorge und Sergio Mist gebaut? Die Bremsen funktionieren, aber den Lärm können wir weder uns noch sonstwem zumuten. In Vicuna finden wir ein schönes Hostal mit kolonialem Innenhof sowie sicherer Garage für unser Bobilchen. Zum Glück haben wir da auch einigermassen guten W-Lan Empfang und dies ermöglicht ein WhatsApp Telefonat zwischen Markus und Adi in der Schweiz. Er beruhigt uns und meint, dass das bei neuen Bremsbelägen nicht ungewöhnlich sei, diese aber an den Bremsscheiben reiben würden und daher abgeschliffen werden müssten, allenfalls auch noch mit einer Paste behandelt werden sollten. Somit fuhren wir nicht nach Pisco Elqui weit ins Tal hinein, sondern nach La Serena. Dort (IOverlander Liste sei Dank) fanden wir ebenfalls Hilfe für unser Problem, wir wurden ohne Voranmeldung bedient und unsere Bremsbelege wurden in einer moderneren Garage, welche wie eine Boxengasse anmutete, geschliffen, mit einer hitzeunempfindlichen Paste bestrichen und wieder eingesetzt. Eine Stunde später waren wir wieder ohne quietschende aber mit funktionierenden Bremsen unterwegs.

 

Das Valle Elqui übrigens, ein fruchtbares Tal in einer Halbwüste, ist für den Pisco (Traubenschnaps) bekannt, welcher hier produziert wird. Den Namen "Pisco Elqui" bekam der Ort 1939 per Dekret, als Chile den Versuch der Peruaner abwehren wollte, Pico als Wareneichen schützen zu lassen. Noch heute streiten sich die Länder wer denn nun den Schnaps erfunden hat, den Pisco Sour trinkt man aber in beiden Ländern gerne. Aus dem Valle Elqui heraus führt auch die Passstrasse über den schönen Paso del Agua Negra, mit 4779 MüM einer der höchsten Andenpässe, und ideal, sofern man danach eine nicht zu lange, aber interessante Strecke in Argentinien fahren möchte, um dann wieder via Paso San Francisco (4748 MüM) nach Chile zurück zu kehren. Da wir diesen Streckenabschnitt in Argentinien aber bereits Anfang Dezember gefahren sind, entscheiden wir uns in Chile zu bleiben und fahren der Küste entlang nordwärts.