Fahrt ins Zentrum von Chile

Zurück im Inland und die Wolken hängen tief wodurch die nördliche Seenroute ein unspektakuläres, tristes Bild abgibt. Der Blick fällt wieder vermehrt auf die negativen Aspekte, dieser dicht besiedelten und enorm gut besuchten Region. Aussichtspunkte mit WC Papier im Gebüsch, achtlos hingeworfener Abfall und streunende Tiere. In den Dörfern entlang der Strecke stehen Kleinkinder mit Schildern „Empanadas, Pan, Queso“, die Mütter dahinter warten an den Ständen auf Kundschaft. Irgendwie erinnert es mich an Bilder der alten Gotthardstrasse, als die Bauern entlang der Passstrasse auf Zusatzeinnahmen warteten.

 

Wir entschliessen uns, der Terme Geometrico einen Besuch abzustatten. Nicht billig, aber wirklich ein Höhepunkt auf dieser Strecke, denn die Steinbecken, welche von natürlichen heissen Quellen gefüllt werden sind wunderschön in die schwarze, mit dichtem Regenwald bewachsene Schlucht eingebettet. Holzstege führen durch die ganze Schlucht, vorbei an den über 20 Becken, mit Wasser zwischen 36 und 45 Grad. Einige Becken dazwischen sind gesperrt, das Wasser ist zu heiss und manchmal blubbert das Wasser und es stinkt nach faulen Eiern. Ganz oben in der Schlucht fällt ein grosser Wasserfall in ein flaches Becken, eine herrliche Abkühlung. Auf dem Gelände selbst finden sich auch Sitzgelegenheiten, kleine Kaltwasserbecken und ein kleines Café, welches gut eingebettet in die Landschaft eine gemütliche Atmosphäre rings um ein offenes Kaminfeuer bietet. Als es eindunkelt, werden Kerzen angezündet und das Ganze wirkt wirklich romantisch und entspannend.

 

Nach einer kurzen Nacht nahe der Strasse unweit der Therme sind wir früh aufgestanden und als erstes Auto beim Nationalpark Villarica angekommen. Der Wärter schlief wohl noch, doch die Schranke stand offen und so fuhren wir durch den nebligen Wald, durch dessen Blätterdach die ersten Sonnenstrahlen schienen. Eine wunderschöne Stimmung aber keine einfache Strecke, denn Teile dieser Erdstrasse sind recht ausgespült und wir waren das erste Mal froh um 4x4 und genügend Bodenfreiheit. Bei Regen wäre diese Strecke wohl kein Spass gewesen, aber auf der anderen Seite des kleinen Parkes am Fusse des Vulkanes Villarica, begrüsste uns der Ranger in bester Morgenlaune, erkundigte sich nach dem Zustand der Strasse und wir plauderten über dies und das. Kurz danach erreichen wir wieder eine befestigte Strasse und den Ferienort Pucon.

 

Unglaublich, aber die gesamte entgegenkommende Strasse bis nach Villarica (eine Ortschaft welche mit Sandstrand und Sonnenschirmreihen an eine Touristenburg an der Adria erinnert) standen die Autos in Kolone wie zur Stosszeit auf dem Nordring um Zürich. So verzogen wir uns über Nebenstrasse als bald Richtung Nationalpark Conguillo bzw. dem Örtchen Melipeuco an dessen Südufer. Obwohl hier in der gross ausgeschilderten Ferienanlage alle Zimmer und Bungalows ausgebucht waren, hatten wir den Bereich fürs Camping ganz für uns alleine und durften sogar den Pool mitbenutzen. Man sieht dieser Anlage an, dass offensichtlich immer mehr Touristen dazu tendieren, ein Bungalow (hier nennt sich das Cabana) zu mieten, und das campieren eher aus der Mode kommt, zumindest wenn man die Mittelschicht auf Urlaub beobachtet. Markus hat alsbald eine Grillstelle entdeckt und ist dann in die Ortschaft gefahren, um Fleisch zu kaufen. So gab es dann den ersten Abend seit langem mit Grilladen, allerdings noch immer mit Faserpelz und langer Hose am Abend.

 

Der Nationalpark Conguillo hat uns sehr gut gefallen. Auf einer gut befahrbaren Erdstrasse durchquert man den Park am Fusse des Llaima, welcher durch seine aussergewöhnliche landschaftliche Schönheit besticht. Auf verhältnismässig engem Raum findet sich hier alles, was die Einmaligkeit der Landschaft Araukaniens ausmacht. Zwischen dem 3125m hohen Vulkan Llaima und der gegenüberliegenden, vergletscherten Bergkette der Sierra Nevada erstrecken sich ausgedehnte Araukarienwälder und zauberhafte Seen. Man kommt nahe an ausgekühlten Lavaströmen vorbei, kann die bizarren Formen bewundern und blickt auf kristallklare Seelein, welche sich durch diese Lavaströme aufgestaut haben. Der grösste See im Park ist der Lago Conguillio und von dort aus führt eine schöne Wanderung zum Aussichtspunkt Sierra Nevada. Rund 500 Höhenmeter und 2.5 Stunden später steht man auf einem wunderbaren Bergrücken mit Weitsicht auf die Vulkanlandschaft. Der Pfad führt kontinuierlich durch Wald aufwärts, in tieferen Lagen spenden riesige Südbuchen Schatten, höher oben dominieren die wie riesige Sonnenschirme wirkenden Araukarien und es werden immer wieder schöne Ausblicke auf den türkisfarbenen See ermöglicht. Am Abend stehen wir mit 3 weiteren Campern an einem kleinen Wasserfall ausserhalb des Parks und genehmigen uns hinter dem Bobilchen eine Dusche aus dem Wassersack, mit frischem Flusswasser.

 

Am nächsten Tag fahren wir zum ersten Mal auf der Panamericana, der Autobahn von Süd nach Nord. In einer Ortschaft namens Los Angeles (hier in der Gegend hat es viele Ortsnamen, die an Kalifornien erinnern) können wir dann auch wirklich nach amerikanischem Vorbild Wäsche in einem Waschsalon waschen und die Wartezeit mit Lesen überbrücken. Normalerweise lässt man hier ja waschen, aber Sport-Tech-Wäsche sollten ja den Kontakt mit Tumbler und Weichspüler meiden, damit sie ihre technischen Eigenschaften nicht verlieren. Wenn man selbst wäscht hat man darüber Kontrolle, in einer Wäscherei eher nicht, obwohl man dort dann alles gewaschen und getrocknet zum vereinbarten Termin zurückbekommt.

 

Die Autobahn ist eine Autobahn wie bei uns, mit super modernen Tankstellen, Shops und Schnellimbiss. Die grösseren Tankstellen bieten auch Duschen wie am HB Zürich, allerdings, und das kostet manchmal Überredungskünste, sind diese Duschen auf Männer ausgerichtet (Fernfahrer sind zu 99.9% männlich) und als Frau hat man das Duschen wohl nicht nötigt… Es gibt keine Duschen für Frauen, aber Frauen werden hineingelassen, wenn keine Männer drin sind. Ein Unterschied zu unseren Autobahnen gibt es allerdings schon. Wie zum Beispiel in Frankreich, gibt es Zahlstellen wo man für einen Streckenabschnitt unterschiedlich viel Geld abdrücken muss, um diesen Streckenabschnitt zu fahren. Dort werden dann auch immer Getränke und Snacks und sonstigen Krimskrams von den fliegenden Händlern verkauft. Ausserdem muss man sich auch hier daran gewöhnen, dass Fussgänger über die Fahrbahn laufen, sich mal ein Fahrradfahrer auf die Fahrbahn verirrt oder man links und rechts überholt wird. Die Angewohnheit, dass man die Warnblinker setzt, wenn man bremst oder irgendwo einparken will, haben wir inzwischen schon übernommen.

 

Die Fahrt führt durch landwirtschaftliches Anbaugebiet, welches nicht unbedingt lieblich wirkt. Bei San Javier biegen wir von der Panamericana ab und fahren gegen die untergehende Sonne an die Pazifikküste. Die Landschaft ändert sich, wirkt zunehmend trostloser, denn hier trifft man auf zwei unschöne Gesichter Chiles: einerseits die organisierte Holzwirtschaft, wo schwer beladene Lastwagen schlecht aufgeforstete Plantagen im Viertelstundentakt verlassen und die Sägewerke und Bioenergiefabriken beliefern, andererseits die Bauern in ärmlichen Behausungen, welche ihre wenigen Güter in Ochsenkarren transportieren. Wir finden ein hochgelobtes Plätzchen an der Küste, doch hier sieht man leider auch die Schattenseiten der Overlander Reiserei. Ein wunderschönes Küstenstücklein, nur erreichbar durch eine versteckte Waldstrasse, präsentiert ein wunderschönes Panorama, doch leider haben auch hier viele, wohl einheimische wie auch ausländische Touristen, die Hinterlassenschaft der letzten Übernachtung nicht mitgenommen. Teilweise versuchen irgendwelche Idioten Glas oder Büchsen zu verbrennen, teilweise auch Windeln und anderen Haushaltsrat. In diesen Ecken muffelt es zudem nach Plumsklo, nur hat es keines und die Papierfetzen hängen in den Büschen.

 

Wir überlegen kurz ob wir bleiben, entschliessen uns dann aber vorne bei der Klippe und einem schönen Pinienbaum zu bleiben. Am nächsten Morgen erkunden wir die Gegend und finden etwas näher an der privaten Bucht mit schwarzem Sand ein weniger verschandeltes Plätzchen und entschliessen uns den Tag und die darauffolgende Nacht ebenfalls hier zu verbringen, denn die Aussicht über das Meer und die Gezeiten ist einfach umwerfend. In der Ferne sehen wir Delfine und unterschiedliche Wasservögel, darunter sogar Pelikane, über das Wasser ziehen. Die Brandungswellen klatschen an die Klippen und Möven und Geier streiten sich über die Köstlichkeiten welche die Ebbe freigibt. Im Tagesverlauf kommen auch ein paar Einheimische vorbei und sammeln Algen und Kelp. Diese werden zum Trocknen auf den Felsen ausgelegt und am Abend eingesammelt. Ich spreche einen von ihnen am Abend an und er erklärt mir, dass man die gekräuselte Sorte nirgends kaufen könne, man daraus aber eine Art Seife herstellen könne und diese gerne in Plastik abgefüllt und verkauft werde. Die längliche, wie ein Veloschlauch aussehende Alge, könne man essen, auch im Supermarkt kaufen und schmecke zusammen mit Bratkartoffeln und in der Pfanne frittiert wirklich gut. Und den Stil des grossen Kelp könne man in Scheiben schneiden und zu einem guten Gericht im Ofen verarbeiten. Leider sprach der gute Herr mit starkem Akzent und auch recht schnell, so dass ich nicht ganz soviel verstand wie ich gerne hätte, denn er hat mir sehr freundlich und bereitwillig das Rezept erklärt und ebenfalls, unter welchen Bedingungen man diese Köstlichkeiten sammeln könne. Das ginge nämlich nur kurz vor Vollmond und bei einem Flut/Ebbe Tiefstand des Meeres.

 

Nun, uns schmeckten unsere Spaghetti und der Rotwein auf dem privaten Klippenbalkon vorzüglich und wir fühlten uns wie Susi und Strolch beim romantischen Dinner.