Albtraum Viecher in Traum Kulisse

Nach ein paar Stunden zusätzlichen Schlafes am Beach von Chaiten, weckten uns ein paar freundliche Sonnenstrahlen und Markus machte draussen heisses Wasser während ich drinnen die Betten machte. Irgendwas brummte ums Bobil, klang wie Hummeln und so fragte ich Markus ob irgendwelche lästigen Viecher herumfliegen würden. Er sagte nur, irgendwas wie Hummeln, aber nicht viele, wir könnten das Tischchen rausnehmen, den Feldstecher und schauen ob wir Delfine erkennen können vor der Küste. Klang vielversprechen, doch noch während er Wasser heiss machte, wurden die behäbigen Viecher immer zahlreicher und lästiger. Langsam wurde es unangenehm und irgendwann kam er ins Auto und sagte: das sind ganz unangenehme Dinger und ich glaube, eben hat mich etwas gestochen. Wir haben so rasch es ging, Tisch und Stühle ins Auto gepackt und dann drinnen gefrühstückt, das Abwaschen wurde zur Tortur, plötzlich waren da mehrere Duzend dieser grossen hummelartigen stechenden Viecher. Wir verzogen uns alsbald in die Ortschaft Chaiten und bildeten uns ein, dass es dort weniger davon gab, allerdings wedelten alle Leute die wir sahen verzweifelt mit den Armen. Einzig ins Fährschiffbüro wagte sich keines dieser Tiere und wir kauften die erste Fährpassage gen Norden die wir bekommen konnten, noch für den selben Nachmittag.

 

Am 2. Mai 2008 kurz nach Mitternacht weckten starke Erdstösse und eine Explosion die Einwohner von Chaiten, nicht ahnend, dass dies der Anfang des Ende dieser kleinen Stadt sein sollte. Im Dunkeln sahen sie das Leuchten und die Asche Wolke einer Eruption und meinten zunächst es handle sich um einen bekannten Vulkan rund 35km von der Stadt entfernt, doch es war der Hausvulkan.  Eigentlich für erloschen gehalten brach dieser nur 10km von der Stadt entfernt aus. Der Vulkan schleuderte seine Asche bis zu 20km hoch und seine enorme Rauchsäule wurde vom Wind westwärts getrieben und verdunkelte nach einigen Tagen sogar Buenos Aires. In der Umgebung des Vulkans ging eine 20cm dicke Ascheschicht nieder und darauf wurden die Bewohner in einer Blitzaktion evakuiert. Schliesslich trat der Fluss, der direkt unterhalb des Vulkans entspringt über die Ufer und überschwemmte grosse Teile der Stadt mit Asche, Schlamm und Geröll. Ganze Strassenzüge wurden verwüstet und Häuser weggespült. Monatelang stritt man erbittert über die Zukunft der Stadt, etliche Bewohner kehrten bereits nach weinigen Monaten zurück und befreiten die Strassen von der Asche und setzten die Häuser wieder in Stand. Schliesslich lenkte die Regierung ein und half beim Wiederaufbau der Stadt, die heute wieder den Anschein der Normalität gibt, auch wenn das Meer nun weiter entfernt ist als die Hafenanlage und ein Teil der Stadt noch immer verwüstet ist.

 

Auf dem Weg nach Caleta Gonzalo durchfuhren wir den Park Pumalin. Der Gründer von North Face und Mitbesitzer von Esprit, Douglas Tompkins, verkaufte 1990 ein Grossteil seiner Aktien und realisierte ein Naturpark mit Vorbildcharakter, den 550.000ha grossen Park Pumalin, grösstes privates Naturschutzgebiet der Welt. Eigentlich ein Wanderparadis, schreckte uns die Anzahl dieser schwirrenden Viecher ab, die jedes Mal auftauchten, wenn man irgendwo auch nur 3 Minuten aus dem Auto stieg. So beschränkten wir uns darauf den herrlichen Naturwald links und rechts der Kiessstrasse nach Caleta Gonzalo zu bewundern. Auf einem der Wanderparkplätze fand sich auch die Möglichkeit Wasser abzufüllen und – man glaube es nicht – eine erfrischende Dusche in einer sauberen, frei zugänglichen Dusche zu nehmen. In der Schlange vor der Fähre in Caleta Gonzalo unterhielten wir uns mit einer einheimischen Familie auf Urlaub, Tante, Onkel, Vater, Mutter und zwei Kinder sowie ein unglaublicher Hausrat festgezurrt unter einer Plache auf dem Pickup der Familie. Gleich wurde der 12 oder maximal 14-jährige Sohn vorgeschoben, er spreche gut Englisch und freue sich, seine Kenntnisse auch anzuwenden. Ob er sich so freute, sei dahingestellt. Er bemühte sich sehr, aber vor lauter Aufregung stotterte er ziemlich und irgendwie waren seine Kenntnisse wohl nicht ganz so gut, über standardmässige Floskeln reichten diese nicht heraus. Als ich ihn nach den Viechern, die hier so lästig rumfliegen fragte, erklärte er mir am Ende in einer Mischung aus Englisch und Spanisch, dass wir keine Angst haben müssen, die Viecher sehr langsam seien, man aber nix Schwarzes tragen dürfe und auf keinen Fall mit den Armen fuchteln. Aha – guter Ratschlag, wenn der Faserpelz schwarz ist und man ein Duzend dieser Viecher abwehren muss. Später habe ich online in einem Fischerportal für Chile nachgelesen, dass diese Viecher tatsächlich eine regelrechte Plage sind. Colihuachos heissen die Dinger, sind Bremen (Pferdebremsen) aber behäbiger als die normalen, dafür so gross wie Hummeln. Die Stiche sind zwar harmlos aber tun natürlich weh und die guten Dinger lassen sich zwar einfach erschlagen, dafür kommen dann drei neue dazu. Mückenmilch (nicht Spray) soll angeblich helfen und das Wichtigste überhaupt: hell, am besten weiss anziehen, auch keine dunkle Unterwäsche oder sonst was mit dunklen Farben tragen… und zu guter Letzt, möglichst ignorieren, denn das Herumfuchteln zieht die Dinger magisch an. Wir hoffen einfach, dass wir bald aus dem Gebiet dieser Viecher herauskommen, für die der Nationalpark Petrohue (offensichtlich pflanzen sich diese Bremen in herumliegendem Totholz fort) und die Gegend des Vulkan Osorno bekannt ist. Auch hoffen wir, dass die guten Dinger wissen, dass sie nur von Mitte Dezember bis ca. 20. Januar vorkommen… mal sehen, können uns nicht vorstellen, dass alle am 21. Januar tot vom Himmel fallen.

 

Die 5-stündige Fährfahrt nach Hornopiren ist entspannend und wir geniessen die Colihuachos freie Fahrt und den frischen Seewind auf Oberdeck. Unweit von Hornopiren finden wir wiederum ein gutes Plätzchen zum frei stehen, aber auch hier müssen wir uns am Morgen verziehen, sobald sich der Nebel verzieht und die Sonne durchkommt. Wir geniessen die Küstenfahrt, entdecken einige Delfine von Weitem und essen in einem der kleinen Fischerdörfchen in einem erstaunlich guten Restaurant ein einfaches, regionales Mittagessen (Merluza Frita mit Kartoffeln und Salat). Die Fahrt führt uns weiter entlang der Küstenstrasse durch einfache Holzhäuschen Dörfer mit bunten Holzschindelkirchen bis an den Fjord bei Caleta Puelche, wo wir uns entschliessen, nicht die Fähre nach Puerto Montt zu nehmen, sondern dem langegezogenen Fjord über Ralun zu folgen. In Puelo winkt uns die Familie vom Vortag wieder zu und wir zurück, auch sie suchen ein Plätzchen zum Übernachten. Wir werden fündig am Fluss Puelo, wo einheimische Fischer ein Fischercamp aufgebaut haben und ungerührt von den verflixten Colihuachos riesige Fische rausziehen. Wir hingegen verziehen uns ins Bobilchen, öffnen die mit Moskitonetz geschützten Fenster im Zeltdach und geniessen dort die Abendsonne.

 

Die Weiterfahrt am nächsten Tag führt uns weiter dem Fjord entlang, der eigentlich wie ein See wirkt, dem man bei Ebbe den Stöpsel gezogen hat, und nun liegen alle Boote in den Buchten auf dem Trockenen. Waldbedeckte Berge bis an den Fjord, es könnte ein Nebenarm des 4-Waldstättersee sein. Wieder vermehrt Laubwald und blühende Magerwiesen sowie Heuwirtschaft. Dann kommt ein kurzer Abschnitt ohne Wasser, bevor vor uns der Lago Llanquihue auftaucht, wunderbares blau, Butterblümchen in saftigen Wiesen und überall wird „kuchen“ angeboten. Man glaubt sich irgendwo in Mitteleuropa, am Bodensee. Badestrände, Fahrradstreifen und adrette Häuser, teilweise echte Villen am See. Nun haben wir uns in einer einfachen, aber gepflegten Pension in Puerto Varas eingenistet und in der Gemeinschaftsküche mit dem Delikatessenknoblauch aus Chiloe ein feines Abendessen bereitet. Das beste überhaupt: hier in Puerto Varas scheint es keine Colihuachos zu geben.