Vom Atlanik zum Pazifik

Wir fahren weiter dem Atlantik nach an Caleta Olivia vorbei bis Comodoro Rivadavia. Von dort geht die Reise durch den Kontinent, von Ost nach West, via Saramiento und Rio Mayo in Argentinien, nach Coihaique in Chile, unweit der Pazifikküste.

 

Kurz vor Caleta Olivia halten wir an der Küste Ausschau nach Seelöwen. Und da liegen die auch, unmittelbar neben der Küstenstrasse am unverbauten Strand. Was wir da zu sehen bekommen ist in zweierlei Art faszinierend. Erstens, die Tiere so nahe zu sehen und zweitens, zu sehen, wie nahe die einheimischen Touristen an die nicht ungefährlichen Tiere herangehen. Kein Witz, da ist ein Schild, welches davor warnt den Tieren nicht zu nahe zu kommen, und nicht an den Strand hinunter zu gehen, dieses Schild wird aber allenfalls noch zum Posieren benutzt, nachdem man den Tieren 50cm vor der Nase herumgetanzt ist, um ein Selfi zu machen. Die Tiere scheint dies interessanterweise genauso wenig zu stören wie der Strassenlärm, aber ich frage mich, was passiert, wenn sich so ein 3.5 Meter langer und 300kg schwerer Koloss plötzlich von dem Kleinkind belästigt fühlt, das da auf ihn zu stapft, während Mama mit dem Schosshund im Arm, den zwei anderen Kleinkindern und dem Seelöwenbullen 50cm hinter sich ein Selfi schiesst. Gleichzeitig komme ich mir blöd vor, mit meinem Teleobjektiv in gebührendem Abstand. Erstaunlicherweise kommt niemand auf die Idee die Tiere streicheln zu wollen. Die Familien kommen und gehen, auch ein Lastwagenchauffeur hält für ein Selfi an, wir jedoch verweilen länger und schauen den Tieren zu, welche an Land nicht die schnellsten sind, im Wasser jedoch faszinierende Sprünge vollbringen. Die Männchen sind fast doppelt so gross und schwer wie die Weibchen und jedes Männchen hält sich ein Harem, welches er lautstark und mit Imponiergehabe verteidigt. Die Männchen haben eine kastanienrote Mähne, welcher die Tieren den Namen Seelöwen zu verdanken haben. Erwachsene Tiere sind erdbraun, Jungtiere fast schwarz. Entgegen den Seehunden sind sie nicht nur grösser, sondern können sich an Land auch besser bewegen. Die uns besser bekannten Seehunde sind eher schwarz als erdbraun und haben auch keine sichtbaren Öhrchen wie die Seelöwen, welche zur Gattung Ohrenrobben gehören.

 

In Comodoro Rivadavia kommen wir fast ins Shoppingfieber, bei Jumbo hat es nicht nur eine Mischung aus „do it yourself und Ikea“ Abteilung, nein, sie haben auch noch auf fast allen Produkten den „2 für 1“ Tag. So spazieren wir nicht nur mit 2 Flaschen Wein heraus, sondern auch mit zwei Espressotässchen, gemahlenem Kaffee, zwei farblich abgestimmten Sofakissen fürs Bobilchen und ebenfalls fürs Bobilchen noch 2x 5 Meter Fensterabdichtungsband, welches nun bei der Hintertüre die Ritzen abdeckt und den feinen Staub etwas besser aus dem Innenraum fernhält. Nachdem wir Fleisch und Gemüse eingekauft, den Tank gefüllt und die Brauchwasservorräte aufgefüllt haben, ging es gut 15km der Küste entlang zurück, wo wir ein schönes Plätzchen gefunden hatten, eine kleine Nische zwischen Dünen und Klippe mit Blick auf das Meer. Markus konnte grillieren, und wir genossen ein feines Essen mit Fleisch & Gemüsepäckli.

 

Die Nacht war ruhig und begleitet vom Wellengang der Gezeiten, mal gab das Meer Grossteile der Küste frei, dann wieder kamen die Wellen hoch auf den Strand. Das Licht der Mondsichel schimmerte über dem Ozean und verzauberte den Küstenabschnitt. Sirius, der hellste Stern am Himmel, leuchtete pulsierend am Himmel und ich bin wiederum fasziniert vom Nachthimmel, obwohl dank dem Mondlicht weniger Sterne zu sehen sind. Sirius ist in der nördlichen Hemisphäre vom Nordpol bis 68° nördliche Breite nie zu sehen, vom Südpol bis zum 67° südlicher Breite jedoch immer. Wo am Firmament er jedoch auftaucht ist je nach Breitengrad unterschiedlich. Ich erinnere mich an die Sternkunde im Nationalpark Leoncito und daran, dass der pulsierende Stern eigentlich ein Doppelsternsystem ist, was man aber nur mit dem Teleobjektiv sehen kann. Sirius B, der Begleiter von Sirius ist ein weisser Zwerg. Ein Stern dessen Brennstoff fast aufgebraucht ist, bläht sich zum grossen Riesen, dann, wenn aller Wasserstoff verbraucht ist, fällt er in sich zusammen und wird zum weissen Zwerg, welcher einen extrem dichten Kern hat. Eigentlich egal, denk ich mir, schön ist dieser Stern allemal, nur Sonne, Mond, Venus, Jupiter, Mars und Merkur sind, wenn sie denn am Himmel erscheinen, heller.

 

Hier ist ja witzigerweise alles verkehrt herum, der Mond steht auf dem Kopf und somit wird hier der zunehmende Mond auf der linken Seite beleuchtet, der abnehmende Mond auf der rechten Seite, genau umgekehrt wie auf der Nordhalbkugel. So kommt man mit der einfachen Regel (Schnürlischrift) „z wie zunehmend / a wie abnehmend“ hier nicht weiter. Auch der ganze Spass mit dem „meine Uhr ist auch ein Kompass“ (Stundenzeiger zur Sonne und halber Winkel zur 12 = Süden) steht hier irgendwie Kopf, denn natürlich zeigt der halbe Winkel in der südlichen Hemisphäre nicht nach Süden, sondern nach Norden. Das ist so, weil zwar auch hier die Sonne im Osten auf und im Westen untergeht, aber tagsüber nicht über Süden, sondern über Norden wandert.

 

Wir fahren durch das „Texas“ von Argentinien, überall Ölförderpumpen. Bei Saramiento, im Zentrum der Pampa und dennoch durch geschickt angelegte Bewässerungskanäle sehr grün wirkend, besuchen wir den Naturpark Bosques Petrificados. Auch hier bekommen wir versteinertes Holz zu sehen, aber es gibt tatsächlich Unterschiede zum Nationalpark 200km weiter unten im Süden. Die Gegend ist bizarr, eine kahle Hügellandschaft in der verstreut bis zu 65 Mio. Jahre alte versteinerte Baumstämme und Stein-Holz-Splitter herumliegen.

 

Im Nationalpark weiter südlich handelt es sich um einen versteinerten Wald, welcher vor rund 150 Mio Jahren auf einmal durch die heftigen Winde eines Vulkanausbruches gefällt und danach von Ascheregen bedeckt wurde. Es ist also das ältere Gebiet und auch das einheitliche. Dieser Aurakienwald, welcher zur Zeit des Superkontinents Gondwana hier wuchs, wurde somit von Vulkanasche bedeckt, was die Verrottung verhinderte, da kein Sauerstoff an die organischen Stoffe herankam. Regenwasser wusch die Mineralien in die Baumstämme, wo diese langsam die organische Struktur kopierten und ersetzten. Silicium (das Material aus dem auch Fensterscheiben sind) spielt bei diesem Prozess eine wichtige Rolle, daher heisst dieser Prozess der Versteinerung auch Silicification. Über Jahrtausende lagerten sich Sedimente über den Versteinerungen ab und erst jetzt kommen diese durch die Erosion durch Wind und Wetter wieder ans Tageslicht. Diese Versteinerungen weisen heute keine organischen Stoffe mehr auf, wirken aber wie 3D Kopien (man kann alles erkennen, Astlöcher genauso wie Jahresringe), sind einfach viel härter und schwerer als Holz, da sie ja aus mineralischen Stoffen, also Stein bestehen. Interessanterweise stimmen manchmal sogar die Färbungen, erinnern an die warmen Farbtöne von Holz, doch dies ist einzig den eingeschlossenen Mineralien zu verdanken und ist keine Kopie der ursprünglichen Maserung des Holzes, Eisensulfat gibt eine z.B. eine rötliche Farbe. In der Gegend werden sogar versteinerte Fruchtstände mit Samen etc. gefunden, quasi eine Momentaufnahme in der Zeitgeschichte. Und dies in einer skurrilen Umgebung, Tafelberge mit Basaltsäulen, welche ebenfalls durch die ewige Erosion freigelegt werden und wie Haarbüschel auf den Bergen wirken.

 

Im versteinerten Wald bei Saramiento handelt es sich nun eigentlich nicht um einen einheitlichen Wald, die Versteinerungen sind jünger, „nur“ 65 Millionen Jahre, und ausserdem war auch der Versteinerungsprozess ein anderer, eher mit dem von Fossilien zu vergleichen. In diesem Gebiet war vor langer Zeit einmal das Mündungsdelta eines grossen Flusses der in ein urzeitliches Meer floss. In dieses Mündungsgebiet wurden viele Baumstämme angespült, unterschiedlichster Art, auch Palmen und Nadelhölzer. Auch hier spielte Silicium eine wichtige Rolle, der Meeresboden überdeckte schnell die organischen Strukturen und bildete so eine Art Sarkofag. Dieser Versteinerungsprozess wird „Osmosis“ genannt: Der Baumstamm, begraben in Böden reich mit Mineralsalz und wenig Kontakt zu Bakterien und Sauerstoff, eliminiert nun, ohne seine ursprüngliche Struktur zu verlieren all seine Flüssigkeit, welche dann durch die mineralische Lösung ersetzt wird und später aushärtet. Erosion von Wind und Wasser tragen dazu bei, dass diese Versteinerungen heute wieder freigelegt werden, also quasi wie aus dem Boden wachsen. Dies sieht wirklich extrem eindrücklich aus und erschliesst sich einem in einem längeren Spaziergang durch die unwirkliche Landschaft.

 

Ebenfalls eindrücklich war der Blick auf einen überaus farbenreichen Berg im Hintergrund dieser archäologischen Stätte, welcher quasi ein Blick in ein offenes Buch der Erdgeschichte ist: Die Spitze des Berges ockerfarben: Vulkanasche der Ausbrüche während der Andenfaltung vor rund 23 Millionen Jahren. Darunter rot: Reste von Urwaldboden mit grossen Mengen oxidiertem Eisen. In dieser Schicht findet man auch Reste von primitiven Säugetieren, älter als 23 Millionen Jahre. Eine Schicht tiefer ist es schwarz: ehemaliges Schwemmland, Sumpfgrund nachdem sich das Meer vor rund 62 Jahr Millionen zurückgezogen hatte. Dann Grün: Grund des Deltas, rund 65 Millionen Jahre, in dieser Schicht finden sich die versteinerten Hölzer, Haifischzähne und andere Ablagerungen. Die Dinosaurier waren damals schon ausgestorben. Und zu guter Letzt ganz unten am Fusse des Berges grau: Dies ist der Boden des Valle Luna, in dieser Schicht, rund 90 Millionen Jahre alt, finden sich Dinosaurier Knochen.

 

Auf der Weiterfahrt sahen wir ein Piche, das kleine Gürteltier, und endlich durfte ich es auch fotografieren, wie es da ungestört in der Erde buddelte. In einer Kiesgrube eine Stunde nördlich von Rio Mayo, an der Ruta 40 endete unsere südliche Rundfahrt und gleichzeitig war es die letzte Nacht in Argentinien, bevor wir am nächsten Tag über eine Kiessstrasse Richtung Grenzübergang Coihaique Alto losfuhren. Staubige Angelegenheit, je näher wir jedoch der Grenze kommen, umso grüner scheint es zu werden. Langsamer Grenzübergang in Argentinien, Markus bekommt sogar einen Einreisestempel bei der Ausreise, was erst bei unsererseitigem Nachfragen korrigiert wird, und schneller, korrekter Grenzübergang in Chile. Der Unterschied ist merklich, und umso erstaunlicher. Aber nicht nur die Mentalität der Menschen scheint mit dem Grenzübergang zu ändern, schon kurz danach wird die Vegetation eindeutig grüner, aber auch kühler, trotz Sonne pur suche ich nach meinem Faserpelz. Eine liebliche Landschaft, Nadelbäume und Buchen, grüne Kuhweiden und sprudelnde Bäche und in der Ferne schneegeküsste Berggipfel. Die Landschaft erinnert uns ans Appenzellerland, nur ohne Häuser. Und dann ein vertrauter Sommergeruch: frisch gemähtes Heu, artig zum Trocknen in Mädli gerecht. Ein paar Kurven entlang der Bergstrasse und wir sehen hinunter nach Coihaique. Eigentlich könnte es auch ein Blick ins Bündnerland sein – es sieht aus wie zu Hause im Kanton Graubünden, die Häuser, die Landschaft, die Berge, die Bauernhäuser, die Landwirtschaftszone. Verwirrend vertraut und doch so anheimelnd.