Carretera Austral

Ich frage Markus was er zum Blog „Carretera Austral“ sagen möchte: die kurze Antwort ist: „teilweise befahrbar“. Ist das alles? Natürlich nicht. Um die Strecke von Villa O`Higgins im Süden nach Puerto Montt im Norden der Fjordwelt Südchiles zu fahren, müssen vier Meerengen per Fähre gekreuzt werden (und ein paar mehr, wenn die Strasse teilweise verschüttet ist). Die Carretera ist grösstenteils Schotterpiste, stand da in unserem Führer, doch Tatsache ist, dass die Asphaltierung massiv vorangetrieben wurde und nur noch 1/3 ungeteert ist. Die 1200km lange Südstrasse wurde erst in den 70-ern in die Wildnis geschlagen, für Wanderer, die die Naturparks erkunden und Angler, die aus Fjorden und Seen grosse Lachse und Forellen zeihen wollen.

 

Landschaftlich reizvoll und doch merklich abgelegen zeigt sich uns der Abschnitt von Coihaique nach Chaitén. Coihaique ist ein wirklich schönes Städtchen und gleichzeitig die Hauptstadt der Region Aysen. 1929 als Servicestation gegründet ist es bis heute die einzige wirkliche Stadt der Region geblieben und hat heute rund 50´000 Einwohner. Der Ort zeichnet sich aus durch viel Ruhe und seine ungewöhnliche Plaza, welche fünfeckig und wie ein kleiner Park angelegt ist. Coihaique ist sehr touristisch und dennoch beschaulich mit einem schönen Zentrum und gepflegten Vorgärten. Wir essen eine super gute Pizza (dünner Boden und aus dem Steinofen / Restaurant Mamma Gaucha) und Markus trinkt ein Bier einer einheimischen Kleinbrauerei (Tropera), die hier so typisch sind. Hier lässt es sich verweilen, auf dem Campingplatz, welcher sehr organisiert, sauber und gut geleitet ist, wird es aber eng und wir merken zum ersten Mal, dass wir nun in der Hauptreisezeit der Argentinier und Chilenen unterwegs sind. Die haben hier ja im Januar und Februar Sommerferien und somit sind die zwei Monate auch Hauptsaison, weswegen es an gewissen Orten übervoll und eng werden kann. So dann auch am ersten Abend auf dem Camping, als die israelischen Backpacker beim Kochen ihres Essens mit den Füssen quasi unter unserem Campingtischchen hockten… zum Glück haben wir ein Dachzelt, die anderen Zelte stehen Wand an Wand. In Coihaique können wir auch die obligaten weiss/roten Leuchtstreifen für das Popo unseres Bobils kaufen, sowie ein Kompressor, welchen wir hoffentlich nie brauchen werden, aber nützlich sein kann, wenn man für gewisse Strecken Luft aus den Pneus ablassen und dann später wieder zuführen will. Beim Thema Gas sind wir auch hier nicht weitergekommen und so haben wir uns nun endgültig dafür entschlossen, Gaskartuschen zu kaufen und unsere Flasche nicht auffüllen zu lassen. Allerdings kommt hier im Ort erst nächste Woche wieder eine Lieferung Campingkartuchen.

 

Am nächsten Tag war es vorbei mit der Sonne, in Puerto Aisen regnete es und wir verzogen uns in eine kleine Bäckerei, wo es an zwei Tischchen auch Instantkaffee gab. Was anderes habe er halt nicht, erklärte uns der Bäcker, dafür würde er zwei Päckli Instantpulver reinmachen, dann würde es eher nach Kaffee schmecken. Irgendwie liebenswert der Typ. Am Nachbartisch sass ein Herr aus Puerto Montt, der beruflich jeweils für einige Wochen in der Fjordregion unterwegs ist und viel Zeit auf dem Meer verbringt. Wir kamen ins Gespräch und er schwärmte von Puerto Cisnes aber auch von der gesamten zerklüfteten Küste mit ihren Fjorden und vorgelagerten Inseln. Wildromantisch, wie er sagte, als er uns ein paar Händyföteli mit verschwommenen Bildern von Nebel umwogenden Felsen im grauen Meer zeigte. Naja, wir sind mal gespannt.

 

Die Gegend hier könnte man auch als Land der regnenden Sonne bezeichnen (wir sagen dem Aprilwetter, hier ist das Sommer, wie der gute Herr aus der Bäckerei erklärte). Wir hatten ein schönes Plätzchen am Fluss gefunden, unweit einer Brücke an der kaum befahrenen Strasse, ein schöner Flussstrand nur für uns alleine. Wir legten uns auf einen flachen Stein, genossen die Sonnenstrahlen, die immer wieder tropften (verstehe das einer) und schauten den schnell vorbeiziehenden Wolken zu, während wir wie Katzen eingekuschelt dem Rauschen des Flusses zuhörten.

 

Am Tag darauf fahren wir durch gepflegte Landwirtschaftszone mit Magerwiesen, Heuwirtschaft und Milchkühen und denken manchmal, kommt da vorne jetzt bald Chur? Doch ist das Bild nicht ganz stimmig, die Kühe werden nicht zu Fuss von Weide zu Weide geführt, sondern hoch zu Ross, auch kennen wir bei uns keine Rodeo Arenen oder Auktionskräle in den Ansiedlungen. Eine kurze Weile später ändert sich dann das Bild und der Baumbestand. Die Vegetation wird dichter und Urwaldähnlicher. Am Strassenrand wachsen baumhohe Fuchsia und eine Art riesiger Rabarber, Nalca genannt. Ihr Stil wird angeblich genauso gekocht wie Rabarber und kann gegessen werden, die Blätter werden aber Sonnenschirmgross. Mehr davon bekommen wir bei der Fahrt durch den Parque Nacional Queulat zu sehen, der voller Farn- und Lianen Gewächse sowie Bambus und grossen, hohen Bäumen ist. Vorher zweigen wir aber noch nach Puerto Cisnes ab, wo es leider inzwischen wieder regnet. Das Dörfchen ist nicht mehr als eine Ansammlung von ein paar bunt gestrichenen Holzhäusern mit Giebeldach, und dennoch geht eine gewisse Harmonie von dem Dorf aus, das da an einer nebligen, natürlich sanften Fjordbucht mit bunten Fischerbooten gebaut ist. Wir finden ein erstaunlich gutes Kaffee (dazu selbstgemachte Pralinen), mit hervorragenden hausgemachten lauwarmen Chabatta Sandwiches, kuschliger Sofaecke, kleiner Bibliothek und Schwedenofen. Wirklich anheimelnd, heisst es passend zum Wetter „Viva la Lluvia“ (es lebe der Regen).

 

Wir fahren weiter und finden unweit der Strasse hinter einem grossen Felsen und umgeben von Regenwald eine ruhige Stelle für die Nacht. Es ist stockfinster und die Pflanzen rund um unser Bobil sind riesig und schwer vom Regen. Irgendwie erinnert mich das alles an Buchtexte von Jules Vernes Reise zum Mittelpunkt der Erde, aber bevor ich über riesige Tazzelwürmer nachdenke, die bald zwischen den riesigen Blättern auftauchen, versuche ich an was anderes zu denken, sonst traue ich mich am Ende gar nicht mehr raus zum Zähneputzen… Draussen niesselt es, drinnen beschlagen die Fenster: kalter Regenwald.

 

Am nächsten Morgen nieselt es, kalter Urwald ist auch auf der Weiterfahrt Programm. Erst über einen kleinen Pass, dann hinunter an einen Fjord, wo es Delfine zu sehen geben soll, aber die halten sich nicht an den Reiseführer und doch sind wir nicht sicher ob wir weit draussen nicht doch was sehen, suchen die Bucht mit dem Feldstecher ab und warten eine Weile. Wir fahren durch Puyuguapi. Ein interessantes Buch („Entre Curanto y Kuchen“ oder zu deutsch „Zwischen Curanto und Kuchen“ von Luise Ludwig, einer Nachfahrin der ersten Siedler) wurde über diese Siedlung geschrieben, doch die Siedlung selbst wirkt nicht sehr interessant. Ich hatte das Buch in der Bibliothek des kleinen Kaffees entdeckt. Puyuguapi ist ein Pionierdorf geblieben, eine Handvoll niedriger, holzverkleideter Häuser verlieren sich am Ende eines langgezogenen Fjords. 1935 wurde diese Siedlung von vier sudetendeutschen Junggesellen gegründet, welche als Vorhut einer grösseren Gruppe auswanderungswilliger Deutschen kamen und diese Siedlung mit Hilfe von einigen Arbeitern aus Chiloe, der grössten der vorgelagerten Inseln gegründet haben. 1935 ist nicht lange her, mein Vater wurde 1938 geboren…

 

Die Fahrt über die Naturstrasse ging weiter Richtung La Junta, einem Verkehrsknotenpunkt, mit vier Strassen in vier Himmelsrichtungen, welcher erst in den 1980ern erbaut wurde. Von Süden kommen wir, nach Norden geht es wegen eines Erdrutsches nicht weiter, nach Osten ginge es nach Argentinien und nach Westen zum Hafen Raul Marin Balmaceda von wo die (kostenlose) Strassenersatzfähre nach Norden fährt. Wir nehmen also die Strasse nach Westen, welche dank trockenem Wetter in gutem Zustand ist. Dort angekommen stellen wir uns in die lange Schlange, etwa eine halbe Stunde später kommt ein netter junger Herr der nach unseren Tickets fragt. Tickets? Frage ich und er meint, es sei zwar gratis, aber wir müssten doch Tickets im Dorf gekauft haben. Haben wir nicht und so nickt er verständnisvoll und meint, er nehme uns einfach auf die Liste drauf, es hätte eh noch Platz auf der Fähre. Allerdings, die Fähre hätte derzeit ein technisches Problem und die Abfahrt verzögere ich um ein paar Stunden. Nun gut… wir warten und am Ende bekommen wir eine Nachtfahrt nach Chaiten. Vom Fjord sehen wir nicht viel, aber dank „Stugeron“ (einer Tablette gegen Seekrankheit) werden wir kurz nach der Abfahrt der Fähre in sanften Schlaf gewiegt, und dösen im unteren Bereich des Bobils friedlich vor uns hin, bis die Fähre 7 Stunden später, gegen 4h30 in Chaiten anlandet. Im Pijama fahren wir noch bis zu einem in der Dunkelheit gut erkennbaren Parkplatz rund 5km ausserhalb des Ortes am Strand und schlafen dort noch ein paar Stunden länger.