Lange Fahrt gen Süden und Gedanken zum Land

Auf längeren Fahrten lese ich meist (sofern der Strassenzustand dies zulässt) irgendwas vor, oder wir tauschen unsere Eindrücke aus, manchmal hören wir auch einfach Musik bis ich irgendwo wieder sage: oh, schau mal… und wir, falls möglich, anhalten, damit ich so das eine oder andere Bild schiessen kann.

 

Irgendwo im Nirgendwo sehen wir einen Flughafen, mit kleinem Tower und allem pipapo, allerdings weit und breit kein einziges Dorf oder sonst einen Grund dafür – ein reicher Grossgrundbesitzer mit eigenem Flughafen? Oder dann plötzlich wieder eine offene Mülldeponie, keine gute Idee hier draussen, wo alles recht flach ist und der Wind immer weht… so sehen dann auch die Sträucher noch kilometerweiter recht unschön mit Plastikmüll dekoriert aus. Strassenbau wird stark vorangetrieben, viele Abschnitte der berühmten Abenteuer Strasse R40 sind inzwischen geteert, dann wieder urplötzlich eine Baustelle irgendwo im Nirgendwo und dann wieder ein ungeteerter oder alter Abschnitt mit vielen Schlaglöchern. Interessanterweise stellt man hier auch viel lieber tausend Warnschilder auf, oder baut sogar Strassenschwellen ein, um auf die Schlaglöcher hinzuweisen, anstelle diese zu flicken. Eine andere Kuriosität, die uns bisher mit Systematik aufgefallen ist, ist die, dass Tankstellen meist sehr modern sind, sowie gute, saubere Toiletten bieten, sprich: Türen, die in den Rahmen passen und manchmal sogar ein Schloss haben, Toilettenpapier, Seife, manchmal sogar Papiertücher und Sitzringe auf den Schüsseln. Campingplätze scheinen diesen Standard in der Regel jedoch nicht zu erreichen, irgendwie scheint das hier aber auch keinen zu stören. Natürlich stehen neben den Toiletten überall grosse Eimer, in welche man das benützte Toilettenpapier werfen muss, da die Toiletten Spülungen sonst verstopfen. Eine weitere Kuriosität hat mit Rückgeld und Inflation zu tun. Es hat schlicht zu wenig Kleingeld und so wird man beim Bezahlen oft gefragt: «Caramelo?» Man bejaht und schon bekommt man das Rückgeld in Scheinen, sowie je nach Betrag ein paar Bonbons (anstelle 1 Peso Münzen) in die Hand gedrückt. Ich habe sogar schon mal beobachtet wie jemand anstelle einer 1 Peso Münze einer Kassiererin ebenfalls ein Bonbon hingestreckt hat, tja, seither schmecken mir diese leider nicht mehr so gut…

 

Die Inflation merken wir schon nach 6 Wochen im Land, Preise für Brot und andere Grundnahrungsmittel, geschweige Luxusgüter wie Bier, Diesel etc. steigen stetig, wenig, aber dennoch spürbar, der «Einkaufswagen» enthält für das gleiche Geld weniger. Das muss für die Einwohner bedeutend schlimmer sein, denn die Löhne steigen niemals so schnell wie die Teuerung und somit fallen immer mehr Einheimische von der Mittel in die Unterschicht, Kriminalität und Überschuldung nehmen zu, und natürlich kümmert man sich nicht mehr so sehr um das Aussehen der Häuser, oder repariert dementsprechend auch nicht mehr so viel. Auch haben uns Einheimische erzählt, dass sie sich, wenn immer möglich, Campingartikel in Chile kaufen, da es in Argentinien extrem überteuert sei, was wir nur bestätigen können: eine Trockenmahlzeit welche wir in der Schweiz für CHF 7.50 kaufen können, kostet hier sage und schreibe CHF 21.00 – wer kann und will sich sowas denn leisten?! Ich hoffe, die Politiker hier bekommen das irgendwie in den Griff, scheint aber, als seien diese etwas überfordert, überhaupt ist die Geschichte Argentiniens ein stetes auf und ab, stabile Zeiten eher dünn gesät, was für so ein schönes und kulturell reiches Land sehr schade ist. Die wirtschaftliche Misere wird auch Tango Krise genannt: schwache Regierung, verstärkte Kapitalflucht, Einführung und wieder Abschaffung von Parallelwährungen, Versickern enormer Mittel in einen ineffizienten Staatsapparat und Verschlechterung der sozialen Situation durch radikale Sparmaßnahmen.  

 

Nebst den offenen Mülldeponien stimmt uns auch die Tatsache traurig, dass hier die Landwirtschaft größtenteils nicht auf Nachhaltigkeit setzt, sondern die Natur auswringt bis nix mehr rauszuholen ist. Überdüngung und grosser Herbizid- und Pestizideinsatz werden mehr und mehr zu Umwelt- und Gesundheitsproblemen. Mit dem jährlich steigenden Einsatz des Pflanzenvernichtungsmittel Glyphosat, das beim Sojabohnenanbau eingesetzt wird, vernichtet man alles Pflanzliche, bis auf die gentechnisch resistent gemachten Sojabohnen. Ganz abgesehen davon wirkt es krebserregend und wird mittlerweile in bestimmten Gegenden auch im Grundwasser nachgewiesen. Die meisten landwirtschaftlichen Betriebe sind Großbetriebe und der wichtigste Teil ist Viehzucht, nicht nur Fleischproduktion, sondern auch Milchwirtschaft und Lederproduktion. Wiesen und Weidewirtschaft sind dabei auf dem Rückzug, "Feedlot" heisst das Zauberwort, also Mastbetriebe. Nicht zu vergessen bei der Wirtschaft, die enormen Bodenschätze. Bei der Ausbeutung dieser, werden gerne die Fehler wiederholt, die man nun in anderen Ländern zu korrigieren versucht, Fracking ist auch in Argentiniens Energiebranche ein Zauberwort.

 

Oft sehen wir Schilder «Früchtekontrolle», meist ist da keiner, doch dann werden wir doch mal angehalten. Auf die Frage, ob ich Früchte dabeihabe, meine Antwort: nur diese Banane (welche in der Führerkabine als Snack bereit lag) – diese jedoch interessierte nicht und so konnten wir gleich weiterfahren. Das zweite Mal (übrigens keine 50km später) werden wir wieder angehalten. Diesmal bittet eine nette junge Frau, einen Blick in unseren Wagen werfen zu dürfen. Ich frage sie, was sie genau suche, ob es sich um Früchte handle. Sie bejahrt und nachdem ich ihr sage: Oh, die letzten Früchte haben wir zum Frühstück gegessen (was sogar stimmte), war die Kontrolle beendet und wir durften weiterfahren. Uns ist nicht ganz klar was diese Früchtekontrollen sollen, logischerweise sollten sie die Übertragung von Krankheiten verhindern, aber entgegen den mir bekannten Kontrollen aus Australien, wo man durch eine Chemielösung fahren muss und ein Hund als Kontrolleur eingesetzt wird, kann man hier quasi gleich hinter der Früchtekontrolle an einem (natürlich nicht kontrollierten) Stand wieder Früchte und Gemüse kaufen. Irgendwie sinnlos das ganze!

 

Famous R40, die Teerung und Vermarktung dieser Strasse wird stetig vorangetrieben. Diese 5144km lange Strasse ist quasi das Rückgrat Argentiniens und verläuft hauptsächlich im Westen entlang der Andenkordillere. Die längste Strasse der Welt (über 1000km länger als die Route 66 in den USA) wird durch die R3 ergänzt, welche dann aus dem Süden, entlang des Atlantik, wieder «zurück» nach Buenos Aires verläuft. Das schöne Städchen Malargüe mit grünen Alleen und aufgeräumt sauber wirkenden Gehsteigen liegt schon weit hinter uns und wir fahren weiter gen Süden. Mäandernde Flüsse prägen nun das Landschaftsbild und obwohl der Boden immer noch sehr trocken und staubig/sandig ist, scheint die Farbe grün häufiger aufzutreten. Endlose Weiten… das Land ist riesig!

 

Die Landschaft wechselt langsam und unmerklich, mal fahren wir durch ein Gebiet mit Lava Steinen, dann wieder durch ewige, monotone Pampa-Buschsteppe. Das schon bald «kühle Regenwälder» auftauchen sollten, oder gar Schneeberge, können wir uns nicht vorstellen, als wir mal wieder für die Nacht anhalten: versteckt von der Strasse, aber unweit davon, mit Blick über die Ebene, Markus im Sessel, ohne T-Shirt und Bier in der Hand. Ich mache Sonnen Yoga und freue mich, dass ich dabei mal keine Sand-/Windstösse abbekomme. Ein herrlicher Abend und Markus macht in der selben Nacht fantastische «Startrail» Aufnahmen, das sind Langzeitbelichtungen in windstillen, mondlosen Nächten, bei welchen man die Erdrotation als Kreise der Sterne festhalten kann…