Knapp 300km zu Fuss bis über den Polarkreis

In Jäkkvik haben wir im gut sortierten Lebensmittelladen eingekauft und uns ein deftiges Frühstück zubereitet, sowie den Wetterbericht für die kommenden Tage studiert: 2 Tage noch soll es nicht regnen, danach aber 7 Tage am Stück und zwar durchgehend. Gerne hätte ich unter besseren Wettervoraussagen noch auf die Zähne gebissen, aber Markus insistierte und fragte noch nachdrücklicher, ob ich das unter gegebenen Umständen wirklich für schlau halte, meine Füsse weiter zu strapazieren, zumal ich sicher sein könne, dass ich ab dem 3. Tag wieder nasse Füsse hätte (Goretex Schuhe hin oder her) und keine Möglichkeit diese irgendwo zu trocknen bis wir nach 6 Tagen in Ammarnäs ankommen würden. Auch waren die Wetteraussichten per se für die kommende Passage denkbar ungünstig, denn diese führt hauptsächlich durch eine waldbedeckte Seen- und Teichlandschaft, mit kaum Erhebungen oder trockenen Fjälls. Andererseits gilt die darauffolgende und letzte Etappe von Ammarnäs nach Härmavan als eine der schönsten und bietet zudem eine gute Infrastruktur (Hütten im Falle von schlechtem Wetter). Trotz allem aber ist auch diese letzte Etappe, deren Landschaftsbild sich durch deutlich variierende Höhenlage auszeichnet, nur schön, wenn das Wetter mitmacht und man die Landschaft auch sehen und somit geniessen kann...

 

Also aufhören? Ist aufhören aufgeben? Soll man aufhören wenn es am Schönsten ist? Wenn diese letztere Redensart richtig ist, dann haben wir die richtige Entscheidung gefällt. Der Wetterbericht, den wir die kommenden 2 Wochen aktiv verfolgten, bestätigte unsere Entscheidung und auch die Tatsache, dass mich noch 14 Tage nach unserer Rückkehr aus Schweden meine Füsse am Morgen beim Aufstehen schmerzen. Wir müssen weder uns, noch irgendwem sonst, irgendwas beweisen, ob nun 300 oder 450km. Das Glas ist nicht halbleer, sondern halbvoll; schauen wir doch auf das, was wir erreicht haben, und nicht auf die Kilometer, die wir nicht unter die Füsse genommen haben. Wir waren 18 Tage (inklusive 2 Ruhetage) täglich zu Fuss unterwegs, vom Norden Schwedens gen Süden über den Polarkreis. Der Weg ist das Ziel, und zu guter Letzt muss es ja auch Freude machen, und ehrlich gesagt, keinem von uns zweien macht es sonderlich Freude bei Regen durch den Morast zu gehen und dabei nichts von der verborgenen Schönheit der Landschaft zu sehen.

 

Wir haben es genossen draussen zu sein, das Skandinavische Jedermannsrecht nutzen zu dürfen, die vielseitige Landschaft aktiv, sozusagen Schritt für Schritt, erleben zu dürfen. Wir würden die Erfahrung nicht missen wollen und werden uns wohl bald auch nur noch an die sonnigen Tage erinnern und, naja, vielleicht an ein Liedchen Namens "Bollenstein, oh Bollenstein - matsch, sumpf und platsch"... Werden wir die letzten zwei Abschnitte irgendwann in der Zukunft unter die Füsse nehmen? Vielleicht, vielleicht im Rahmen einer zukünftigen Skandinavien Reise und vielleicht auch nur bei absehbar guten Wetterbedingungen. Vielleicht machen wir aber auch ein ganz anderes Trekking, möglicherweise nicht eine so lange Tour, 7-10 Tage erscheinen uns ideal, und vielleicht auch in einer ganz anderen Gegend dieser Welt. Was wir aber, ganz abgesehen von der körperlichen Erfahrung, von der Wanderung mitnehmen, ist die geistige Haltung. Wir durften wieder einmal feststellen, wie wenige es braucht um glücklich zu sein, wie sehr man sich über einen Sonnenstrahl und andere elementare Dinge freuen kann und wie schön "Digital Detox" ist, kein Mobile Empfang, kein Internet, kein E-Mail, keine Hektik, kein Gefühl immer bereit sein zu müssen, dafür einfach mal sein dürfen.

 

Unsere Heimreise stellte sich als überraschend einfach heraus. Jäkkvik ist ein süsses kleines Örtchen, aber obwohl an einer Strasse nach Norwegen gelegen, sehr abseits von Allem. Daher erstaunt es auch nicht, dass dort nicht täglich Busse fahren. Ein Schulbus fährt von Montag bis Freitag am Morgen früh ins nächste Dorf, das rund 65km entfernte Arjeplog. Da am Wochenende kein Bus fuhr, stellten wir uns also an den Strassenrand und hielten bei trockenem Wetter den Daumen raus. Erst gab es kaum Autos, dann kamen die Bewohner der Umgebung, die ihre Schiffe zum Hafen oder die Verwandtschaft im vollbesetzten Wagen in den nächsten Ort zum Einkaufen fuhren. Nach 1 1/2 erfolglosen Stunden machte ich den Vorschlag nun doch zurück zum Lebensmittelladen im Ort zu gehen und dort Proviant aufzustocken, um dann eben doch in die vierte Etappe zu starten. Gleichzeitig hielt Markus halbherzig den Daumen raus und ein alter Volvo, der die Strasse entlang kam, hielt zu unserer Verwunderung an.

 

Nun waren die Würfel endgültig gefallen und wir lernten einen sympathischen, schwedischen Mitvierziger kennen, der, wie er uns erklärte, eben selbst ein paar Tage in der Wildnis verbracht hatte und daher nur zu gut verstehe, dass wir eine Mitfahrgelegenheit benötigten. Hier draussen sei das eine Selbstverständlichkeit, aber im Süden, wo er wohne, würde wohl keiner mehr halten. Er stieg aus, beseitigte das Puff auf dem Rücksitz, schmiss Kleider, Munitionskasten und Gewehr in den Kofferraum neben die Hundebox und fragte, ob ich genug Platz hätte, wenn er die Ersatzbatterie vorne im Fussraum lasse. Er schwärmte von seinem alten Volvo, in welchem er auch schlafen könne. Allerdings waren die Bremsen in einem bedenklichen Zustand, wie wir später merkten, als er vorausschauend auf eine Baustelle hin abbremste und den langen, sehr langen, Bremsweg einberechnet zu haben schien. Auch die Ersatzbatterie im Fussbereich stimmte nicht eben zuversichtlich, und doch habe ich zu solch alten Fahrzeugen und der Fahrweise derer Besitzer generell sehr viel Vertrauen. Markus und unsere beiden Rucksäcke fanden auf der Rückbank Platz, ich sass vorne und bald begann eine interessante Unterhaltung. Er konnte uns viel über die Natur hier im Norden erzählen, erwähnte, dass er schon als Kind mit seinem Vater hierher zum Jagen kam und dass er dies nach wie vor sehr geniesse. Er sprach erstaunlich gut Englisch und wir sprachen über die Jagt, die Wildtiere, die Natur und den miserablen Sommer in Schweden in diesem Jahr. Wie er erwähnte, sei der Frühling quasi inexistent gewesen, die Schneeschmelze habe erst im Juli begonnen und dann sei kein Sommer sondern eine kühle Regenzeit gekommen. Die Beeren seien an vielen Orten noch nicht reif, verderben aber in den ersten Frostnächten, die nun langsam kämen. Interessanterweise war er auch schon mal in der Schweiz, im Montblanc Gebiet, unterwegs gewesen und kannte sogar unsere Ansiedelungsprogramme für Wolf, Luchs und Bär. Die Stunde Fahrzeit verging wie im Flug und am Ende verabschiedete er uns herzlich und dankte für die gute Gesellschaft.

 

In Arjeplog, einem wirklich schmucken, gepflegten Örtchen gab es ein Glacé (schliesslich war es ja Sommerurlaub) und dann nahmen wir den Bus nach Jörn, von dort den Nachtzug nach Stockholm und dann einen Flug für 150 CHF pro Nase nach Hause. 24 Stunden nachdem wir in Arjeplog abgefahren sind, kamen wir in Winterthur an.

 

unsere Bilder der ganzen Wanderung: Kungsleden 2017