Unfreundlicher Schwede, oder die Ausnahme, welche die Regel bestätigt

Nach dem Regen kam die Sonne und wir überquerten den langgezogenen Bergrücken Barturtte. Übernachtung unten am Rande der Baumgrenze im Schutze der ersten Birken und am nächsten Tag der geografische Höhepunkt dieser Etappe, die Überquerung des Polarkreises. Fast hätten wir das kleine Holzschild übersehen, welches ganz dezent auf diese Stelle aufmerksam machte. Weiter südlich kamen wir dann nach Vuonatjviken, die erste Behausung seit 66km.

 

Leider durften wir dann feststellen, dass nicht grundsätzlich alle Menschen im Norden freundlich sind. Ein sehr griesgrämiger und wortkarger Kauz erklärte uns um 13 Uhr nachmittags, dass er schon am Vormittag zwei Wanderer über den See gefahren hätte und somit keine Lust mehr hätte zu fahren, er sei jetzt müde. Wenn er denn überhaupt noch würde, vielleicht am Abend irgendwann, oder sonst halt am nächsten Tag. Nun, so ist man ausgeliefert und wir entschlossen uns auf der Veranda eines Fischerhüttchens Schutz zu suchen (es begann mal wieder zu regnen und ein kühler Wind blies) und zu warten. Gegen 15 Uhr kam noch ein junges schwedisches Pärchen, welches schon im Vorfeld die selbe Erfahrung mit dem alten Kautz gemacht hatte. An der Sprache kann es somit nicht gelegen haben. Trotz allem aber meinte dann seine Frau, dass sie ihn vielleicht dazu überreden könne uns dann doch noch am Abend hinüber zu fahren, in die geheizte und windgeschützte Garage, welche sie Rezeption nannte, bat sie uns trotzdem nicht und so sassen wir dann zu viert auf der Veranda des Fischerhüttchens und kochten Tee. Gegen 18 Uhr erwachte der kauzige Kapitän dann aus seinem Mittagsschlaf und fuhr uns mit einer fast kriminellen Geschwindigkeit über den See, wir waren uns nicht so sicher, ob das der Motor aushält, und waren umso glücklicher, als wir auf der anderen Seite des Sees ankamen und dann wieder aufs Fjäll hochgehen konnten. Auf halber Höhe hörte es auf zu regnen und wir fanden gegen 21 Uhr ein gutes Plätzchen um unser Zelt aufzustellen. An diesem Abend brauchten wir das erste Mal unsere Taschenlampe und wir stellten fest, dass nun die Dämmerung immer früher einsetzte, die Nächte länger wurden. Dieser Effekt setzt hier im Norden merklich schneller ein, aber dennoch ist es noch lange hell, da die Dämmerung viel länger dauert als bei uns.

 

Am kommenden Morgen kein Regen dafür Sicht auf die längsten Schlepplifte Schwedens, oberhalb unseres Etappenzieles, Jäkkvik. Auch wenn meine Füsse inzwischen wieder nass waren (was gemäss einer anderen Wanderin offensichtlich zu Schweden dazugehöre), schmerzten sie untertags nicht allzu sehr, jedoch quälte ich mich die erste Zeit am Morgen sehr und Markus stellte zum ersten Mal die Frage, wie sinnvoll es wohl sei, dass ich meine Füsse weiter strapaziere. Ich entgegnete nur: lass uns den Wetterbericht anschauen und dann entscheiden.

 

Rund 6km vor Jäkkvik kamen wir zur ersten Bootspassage, bei welcher noch nicht auf Motorboote umgestellt worden ist, wohl auch, weil die Passage mit rund 500m vermeintlich recht kurz ist. Aber auch nur auf den ersten Blick, denn hier gilt die eiserne Regel: auf beiden Seiten der Ruderpassage muss ein Boot für die kommenden Wanderer verbleiben. In unserem Falle hiess das: hinüberrudern, Rucksäcke dort lassen, vertäutes Boot von drüben anhängen und damit zurück rudern, um am Ausgangs Ufer ein Boot zu vertäuen, ehe wir erneut zum Ziel Ufer rudern mussten, um der einfachen Rechenaufgabe gerecht zu werden. Dank ausnahmsweise wenig Wind und anständig trockenem Wetter war die Überquerung gut machbar, trotz allem aber waren wir froh, als wir auf der letzten Strecke einen sympathischen 71-jährigen Dänen mitnehmen durften, und dieser sich auch noch anerbot, an die Ruder zu sitzen. Dieser nette Herr entpuppte sich später auch als äusserst angenehmer Zimmergenosse und interessanter Gesprächspartner, als wir in Jäkkvik ankamen und dort vom örtlichen Kirchenverein Kyrkans Fjällgard zu dritt zu einem prima Preis ein wunderschönes, kleines Häuschen mieten konnten, notabene mit eigenem Bad, Küchenzeile und obligatem Stockbett.

 

In diesem kleinen Dörfchen verbrachten wir einen sonnigen Ruhetag und durften für Abklärungen den PC im Büro der Verwalterin nutzen, die zwar kein Wort Englisch sprach, aber so unglaublich freundlich und hilfsbereit war, uns an ihren PC zu lassen, während sie das Kassabuch offen liegen liess und in die Küche ging. Wir liessen uns wiederum vom Vertrauen und der Hilfsbereitschaft hier oben im Norden inspirieren, und hoffen diese Erfahrung mit auf unsere Reise zu nehmen: den Mitmenschen grundsätzlich vertrauen, zuerst an die guten Eigenschaften in jedem von uns glauben und auf jeden mit einem Lächeln zugehen. Das kann Wunder wirken und manchmal Tür und Tor öffnen und somit schöne Begegnungen über die Sprach- und Landesgrenze hinaus ermöglichen.